Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung etc. schauer könne schwerlich seine gantze Erkentniß,die er von der Geschichte hat, in seiner Erzeh- lung vortragen (§. 3. C. 6.): ingleichen, daß un- vermeidlich mancherley Veränderung der Vor- stellungen vorgehen, ehe das Anschauen ei- ner Geschichte zu einer Erzehlung wird (§. 12. C. 1.). Hieraus nun lässet sich zuverläßig schlüs- sen, daß die Erkentniß einer Begebenheit, die bey dem Zuschauer anzutreffen ist, gar sehr unterschieden sey von derjenigen, die man aus seiner Erzehlung erlangt: zumahl bey cörperlichen Dingen, wobey es auf Figur, Farben, Gestalt, Annehmlichkeit und Heßlichkeit ankommt, als welches grossen Theils von dem Geschmacke des Zuschauers abhanget. Unterdes- sen ist die erste Erzehlung, oder die von dem Zuschauer selbst herkommt, der Grund aller übri- gen Erkentniß, die sich von der Geschichte in der Welt ausbreiten kan. Dies ist die Urkunde, auf welche sich nicht allein die völligen und unver- änderten Nachsagen und Abschrifften dersel- ben, sondern auch alle daraus entstehende ver- änderte Erzehlungen, als auf ihre gemeinschafft- liche Quelle beziehen müssen. §. 13. Warum schrifftliche Urkunden besonders geschätzt werden. Da wir durch die Urkunde nichts anders, ter L 4
v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. ſchauer koͤnne ſchwerlich ſeine gantze Erkentniß,die er von der Geſchichte hat, in ſeiner Erzeh- lung vortragen (§. 3. C. 6.): ingleichen, daß un- vermeidlich mancherley Veraͤnderung der Vor- ſtellungen vorgehen, ehe das Anſchauen ei- ner Geſchichte zu einer Erzehlung wird (§. 12. C. 1.). Hieraus nun laͤſſet ſich zuverlaͤßig ſchluͤſ- ſen, daß die Erkentniß einer Begebenheit, die bey dem Zuſchauer anzutreffen iſt, gar ſehr unterſchieden ſey von derjenigen, die man aus ſeiner Erzehlung erlangt: zumahl bey coͤrperlichen Dingen, wobey es auf Figur, Farben, Geſtalt, Annehmlichkeit und Heßlichkeit ankommt, als welches groſſen Theils von dem Geſchmacke des Zuſchauers abhanget. Unterdeſ- ſen iſt die erſte Erzehlung, oder die von dem Zuſchauer ſelbſt herkommt, der Grund aller uͤbri- gen Erkentniß, die ſich von der Geſchichte in der Welt ausbreiten kan. Dies iſt die Urkunde, auf welche ſich nicht allein die voͤlligen und unver- aͤnderten Nachſagen und Abſchrifften derſel- ben, ſondern auch alle daraus entſtehende ver- aͤnderte Erzehlungen, als auf ihre gemeinſchafft- liche Quelle beziehen muͤſſen. §. 13. Warum ſchrifftliche Urkunden beſonders geſchaͤtzt werden. Da wir durch die Urkunde nichts anders, ter L 4
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v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc.
ſchauer koͤnne ſchwerlich ſeine gantze Erkentniß,
die er von der Geſchichte hat, in ſeiner Erzeh-
lung vortragen (§. 3. C. 6.): ingleichen, daß un-
vermeidlich mancherley Veraͤnderung der Vor-
ſtellungen vorgehen, ehe das Anſchauen ei-
ner Geſchichte zu einer Erzehlung wird (§. 12.
C. 1.). Hieraus nun laͤſſet ſich zuverlaͤßig ſchluͤſ-
ſen, daß die Erkentniß einer Begebenheit,
die bey dem Zuſchauer anzutreffen iſt, gar
ſehr unterſchieden ſey von derjenigen, die
man aus ſeiner Erzehlung erlangt: zumahl
bey coͤrperlichen Dingen, wobey es auf Figur,
Farben, Geſtalt, Annehmlichkeit und Heßlichkeit
ankommt, als welches groſſen Theils von dem
Geſchmacke des Zuſchauers abhanget. Unterdeſ-
ſen iſt die erſte Erzehlung, oder die von dem
Zuſchauer ſelbſt herkommt, der Grund aller uͤbri-
gen Erkentniß, die ſich von der Geſchichte in der
Welt ausbreiten kan. Dies iſt die Urkunde,
auf welche ſich nicht allein die voͤlligen und unver-
aͤnderten Nachſagen und Abſchrifften derſel-
ben, ſondern auch alle daraus entſtehende ver-
aͤnderte Erzehlungen, als auf ihre gemeinſchafft-
liche Quelle beziehen muͤſſen.
§. 13.
Warum ſchrifftliche Urkunden beſonders
geſchaͤtzt werden.
Da wir durch die Urkunde nichts anders,
als die erſte Erzehlung oder die erſte Nachricht
verſtehen (§. 12.); ſo begreiffen wir ſowohl die
muͤndlichen als ſchrifftlichen Nachrichten darun-
ter
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