beyleget (§. 41. C. 2.). Eine solche Verduncke- lung veranlasset freylich gar leicht eine falsche Vor- stellung von der Sache, welche daher, wenn sie vorsätzlich und zu Verleitung anderer gebraucht wird, zu denen Verdrehungen der Geschichte gehöret; wovon hernach soll gehandelt werden.
§. 25. Geschichte verstümmeln.
Ausser der unvermeidlichen Auslassung vieler Umstände bey einer Erzehlung (§. 3.), und der weißlichen Auslassung des Unnöthigen (§. 20.), giebt es noch eine dritte Art, die man die Ver- stümmelung einer Geschichte nennet; welche aber zu erklären keine so leichte Sache ist, weil sie noch einen andern Begriff, nehmlich der Ge- stalt der Geschichte voraus setzt. Daran liegt in Ansehung der historischen Wahrheit nichts; ob man eine Geschichte aus Unwissenheit ver- stümmelt, weil man nehmlich meinet, dieser oder jener Umstand trüge zur Absicht der Erzehlung nichts bey; wie einem Ungelehrten und Einfälti- gen gar leicht begegnen kan, wenn er dem Advo- caten seinen Handel, oder dem Artzte seine Kranck- heit erzehlet: oder ob er vorsätzlich, nehmlich der Geschichte eine andere Gestalt zu geben, nö- thige Umstände weglässet. Jn beyden Fällen aber kan eine Weglassung gewisser Umstände nicht eher einer Verstümmelung beschuldiget werden, als wenn durch Weglassung die Gestalt der Sa- che würcklich geändert wird. Statum caussae pflegt man bey einem Proceß, und was dem ähn-
lich
Sechſtes Capitel,
beyleget (§. 41. C. 2.). Eine ſolche Verduncke- lung veranlaſſet freylich gar leicht eine falſche Vor- ſtellung von der Sache, welche daher, wenn ſie vorſaͤtzlich und zu Verleitung anderer gebraucht wird, zu denen Verdrehungen der Geſchichte gehoͤret; wovon hernach ſoll gehandelt werden.
§. 25. Geſchichte verſtuͤmmeln.
Auſſer der unvermeidlichen Auslaſſung vieler Umſtaͤnde bey einer Erzehlung (§. 3.), und der weißlichen Auslaſſung des Unnoͤthigen (§. 20.), giebt es noch eine dritte Art, die man die Ver- ſtuͤmmelung einer Geſchichte nennet; welche aber zu erklaͤren keine ſo leichte Sache iſt, weil ſie noch einen andern Begriff, nehmlich der Ge- ſtalt der Geſchichte voraus ſetzt. Daran liegt in Anſehung der hiſtoriſchen Wahrheit nichts; ob man eine Geſchichte aus Unwiſſenheit ver- ſtuͤmmelt, weil man nehmlich meinet, dieſer oder jener Umſtand truͤge zur Abſicht der Erzehlung nichts bey; wie einem Ungelehrten und Einfaͤlti- gen gar leicht begegnen kan, wenn er dem Advo- caten ſeinen Handel, oder dem Artzte ſeine Kranck- heit erzehlet: oder ob er vorſaͤtzlich, nehmlich der Geſchichte eine andere Geſtalt zu geben, noͤ- thige Umſtaͤnde weglaͤſſet. Jn beyden Faͤllen aber kan eine Weglaſſung gewiſſer Umſtaͤnde nicht eher einer Verſtuͤmmelung beſchuldiget werden, als wenn durch Weglaſſung die Geſtalt der Sa- che wuͤrcklich geaͤndert wird. Statum cauſſæ pflegt man bey einem Proceß, und was dem aͤhn-
lich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0178"n="142"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Sechſtes Capitel,</hi></fw><lb/>
beyleget (§. 41. C. 2.). Eine ſolche Verduncke-<lb/>
lung veranlaſſet freylich gar leicht eine falſche Vor-<lb/>ſtellung von der Sache, welche daher, wenn ſie<lb/>
vorſaͤtzlich und zu Verleitung anderer gebraucht<lb/>
wird, zu denen <hirendition="#fr">Verdrehungen</hi> der Geſchichte<lb/>
gehoͤret; wovon hernach ſoll gehandelt werden.</p></div><lb/><divn="2"><head>§. 25.<lb/>
Geſchichte verſtuͤmmeln.</head><lb/><p>Auſſer der unvermeidlichen Auslaſſung vieler<lb/>
Umſtaͤnde bey einer Erzehlung (§. 3.), und der<lb/>
weißlichen Auslaſſung des Unnoͤthigen (§. 20.),<lb/>
giebt es noch eine dritte Art, die man die <hirendition="#fr">Ver-<lb/>ſtuͤmmelung</hi> einer Geſchichte nennet; welche<lb/>
aber zu erklaͤren keine ſo leichte Sache iſt, weil<lb/>ſie noch einen andern Begriff, nehmlich der <hirendition="#fr">Ge-<lb/>ſtalt</hi> der Geſchichte voraus ſetzt. Daran liegt<lb/>
in Anſehung der hiſtoriſchen Wahrheit nichts;<lb/>
ob man eine Geſchichte aus <hirendition="#fr">Unwiſſenheit</hi> ver-<lb/>ſtuͤmmelt, weil man nehmlich meinet, dieſer oder<lb/>
jener Umſtand truͤge zur Abſicht der Erzehlung<lb/>
nichts bey; wie einem Ungelehrten und Einfaͤlti-<lb/>
gen gar leicht begegnen kan, wenn er dem Advo-<lb/>
caten ſeinen Handel, oder dem Artzte ſeine Kranck-<lb/>
heit erzehlet: oder ob er <hirendition="#fr">vorſaͤtzlich,</hi> nehmlich<lb/>
der Geſchichte eine andere Geſtalt zu geben, noͤ-<lb/>
thige Umſtaͤnde weglaͤſſet. Jn beyden Faͤllen<lb/>
aber kan eine Weglaſſung gewiſſer Umſtaͤnde nicht<lb/>
eher einer Verſtuͤmmelung beſchuldiget werden,<lb/>
als wenn durch Weglaſſung die <hirendition="#fr">Geſtalt</hi> der Sa-<lb/>
che wuͤrcklich geaͤndert wird. <hirendition="#aq">Statum cauſſæ</hi><lb/>
pflegt man bey einem Proceß, und was dem aͤhn-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">lich</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[142/0178]
Sechſtes Capitel,
beyleget (§. 41. C. 2.). Eine ſolche Verduncke-
lung veranlaſſet freylich gar leicht eine falſche Vor-
ſtellung von der Sache, welche daher, wenn ſie
vorſaͤtzlich und zu Verleitung anderer gebraucht
wird, zu denen Verdrehungen der Geſchichte
gehoͤret; wovon hernach ſoll gehandelt werden.
§. 25.
Geſchichte verſtuͤmmeln.
Auſſer der unvermeidlichen Auslaſſung vieler
Umſtaͤnde bey einer Erzehlung (§. 3.), und der
weißlichen Auslaſſung des Unnoͤthigen (§. 20.),
giebt es noch eine dritte Art, die man die Ver-
ſtuͤmmelung einer Geſchichte nennet; welche
aber zu erklaͤren keine ſo leichte Sache iſt, weil
ſie noch einen andern Begriff, nehmlich der Ge-
ſtalt der Geſchichte voraus ſetzt. Daran liegt
in Anſehung der hiſtoriſchen Wahrheit nichts;
ob man eine Geſchichte aus Unwiſſenheit ver-
ſtuͤmmelt, weil man nehmlich meinet, dieſer oder
jener Umſtand truͤge zur Abſicht der Erzehlung
nichts bey; wie einem Ungelehrten und Einfaͤlti-
gen gar leicht begegnen kan, wenn er dem Advo-
caten ſeinen Handel, oder dem Artzte ſeine Kranck-
heit erzehlet: oder ob er vorſaͤtzlich, nehmlich
der Geſchichte eine andere Geſtalt zu geben, noͤ-
thige Umſtaͤnde weglaͤſſet. Jn beyden Faͤllen
aber kan eine Weglaſſung gewiſſer Umſtaͤnde nicht
eher einer Verſtuͤmmelung beſchuldiget werden,
als wenn durch Weglaſſung die Geſtalt der Sa-
che wuͤrcklich geaͤndert wird. Statum cauſſæ
pflegt man bey einem Proceß, und was dem aͤhn-
lich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/178>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.