Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

v. d. Verwandelung der Geschichte etc.
beschaffen, darinnen die Menschen, ohngeachtet
sie einerley Worte brauchen, gar nicht mit einan-
der übereinkommen. Durch solche allgemeine
Ausdrücke nun werden die Sachen in der Erzeh-
lung bald vergrössert, bald verkleinert, nicht so-
wohl durch die Schuld des Erzehlers, als wel-
cher sich nach seiner Empfindung richtet (§. 1.);
als durch die Schuld dessen, der sich die Sache
erzehlen lässet, und die gehörige Vorsicht nicht
braucht. Man muß nehmlich, wie bey den all-
gemeinen Anmerckungen, auf die Exempel sehen,
worauf sich des Erzehlers seine Begriffe gründen,
(§. 40. 41. C. 2.), daß man daraus urtheilen kan,
was er groß, was er schön u. s. w. heisset. Wenn
Leute aus kleinen Städten von Pracht oder Reich-
thum erzehlen, so muß es von denen, die in der
Residentz wohnhafft sind, und in Handelsstädten
wohnen, cum grano salis angenommen werden.

§. 7.
Vermengung der Begebenheit mit der all-
gemeinen Anmerckung.

Eine nicht minder gewöhnliche Veränderung,
die der Zuschauer mit dem, was er gesehen, vor-
nimmt, ist, daß er eine allgemeine Anmer-
ckung
macht, und solche statt der Begebenheit
selbst vorträget. So sagt man von jemanden:
er stehe früh auf, er gehe dem andern vor, er
sey reich, er sey gelassenen Gemüths, an statt,
daß man eigentlich nicht mehr weiß, als daß er
diesen oder jenen Tag früh aufgestanden, er sey
dem andern bey einer gewissen Gelegenheit vor-

gegan-
H 5

v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc.
beſchaffen, darinnen die Menſchen, ohngeachtet
ſie einerley Worte brauchen, gar nicht mit einan-
der uͤbereinkommen. Durch ſolche allgemeine
Ausdruͤcke nun werden die Sachen in der Erzeh-
lung bald vergroͤſſert, bald verkleinert, nicht ſo-
wohl durch die Schuld des Erzehlers, als wel-
cher ſich nach ſeiner Empfindung richtet (§. 1.);
als durch die Schuld deſſen, der ſich die Sache
erzehlen laͤſſet, und die gehoͤrige Vorſicht nicht
braucht. Man muß nehmlich, wie bey den all-
gemeinen Anmerckungen, auf die Exempel ſehen,
worauf ſich des Erzehlers ſeine Begriffe gruͤnden,
(§. 40. 41. C. 2.), daß man daraus urtheilen kan,
was er groß, was er ſchoͤn u. ſ. w. heiſſet. Wenn
Leute aus kleinen Staͤdten von Pracht oder Reich-
thum erzehlen, ſo muß es von denen, die in der
Reſidentz wohnhafft ſind, und in Handelsſtaͤdten
wohnen, cum grano ſalis angenommen werden.

§. 7.
Vermengung der Begebenheit mit der all-
gemeinen Anmerckung.

Eine nicht minder gewoͤhnliche Veraͤnderung,
die der Zuſchauer mit dem, was er geſehen, vor-
nimmt, iſt, daß er eine allgemeine Anmer-
ckung
macht, und ſolche ſtatt der Begebenheit
ſelbſt vortraͤget. So ſagt man von jemanden:
er ſtehe fruͤh auf, er gehe dem andern vor, er
ſey reich, er ſey gelaſſenen Gemuͤths, an ſtatt,
daß man eigentlich nicht mehr weiß, als daß er
dieſen oder jenen Tag fruͤh aufgeſtanden, er ſey
dem andern bey einer gewiſſen Gelegenheit vor-

gegan-
H 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0157" n="121"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">v. d. Verwandelung der Ge&#x017F;chichte &#xA75B;c.</hi></fw><lb/>
be&#x017F;chaffen, darinnen die Men&#x017F;chen, ohngeachtet<lb/>
&#x017F;ie einerley Worte brauchen, gar nicht mit einan-<lb/>
der u&#x0364;bereinkommen. Durch &#x017F;olche allgemeine<lb/>
Ausdru&#x0364;cke nun werden die Sachen in der Erzeh-<lb/>
lung bald vergro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ert, bald verkleinert, nicht &#x017F;o-<lb/>
wohl durch die Schuld des Erzehlers, als wel-<lb/>
cher &#x017F;ich nach &#x017F;einer Empfindung richtet (§. 1.);<lb/>
als durch die Schuld de&#x017F;&#x017F;en, der &#x017F;ich die Sache<lb/>
erzehlen la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et, und die geho&#x0364;rige Vor&#x017F;icht nicht<lb/>
braucht. Man muß nehmlich, wie bey den all-<lb/>
gemeinen Anmerckungen, auf die Exempel &#x017F;ehen,<lb/>
worauf &#x017F;ich des Erzehlers &#x017F;eine Begriffe gru&#x0364;nden,<lb/>
(§. 40. 41. C. 2.), daß man daraus urtheilen kan,<lb/>
was er groß, was er &#x017F;cho&#x0364;n u. &#x017F;. w. hei&#x017F;&#x017F;et. Wenn<lb/>
Leute aus kleinen Sta&#x0364;dten von Pracht oder Reich-<lb/>
thum erzehlen, &#x017F;o muß es von denen, die in der<lb/>
Re&#x017F;identz wohnhafft &#x017F;ind, und in Handels&#x017F;ta&#x0364;dten<lb/>
wohnen, <hi rendition="#aq">cum grano &#x017F;alis</hi> angenommen werden.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 7.<lb/>
Vermengung der Begebenheit mit der all-<lb/>
gemeinen Anmerckung.</head><lb/>
          <p>Eine nicht minder gewo&#x0364;hnliche Vera&#x0364;nderung,<lb/>
die der Zu&#x017F;chauer mit dem, was er ge&#x017F;ehen, vor-<lb/>
nimmt, i&#x017F;t, daß er eine <hi rendition="#fr">allgemeine Anmer-<lb/>
ckung</hi> macht, und &#x017F;olche &#x017F;tatt der Begebenheit<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t vortra&#x0364;get. So &#x017F;agt man von jemanden:<lb/>
er &#x017F;tehe fru&#x0364;h auf, er gehe dem andern vor, er<lb/>
&#x017F;ey reich, er &#x017F;ey gela&#x017F;&#x017F;enen Gemu&#x0364;ths, an &#x017F;tatt,<lb/>
daß man eigentlich nicht mehr weiß, als daß er<lb/>
die&#x017F;en oder jenen Tag fru&#x0364;h aufge&#x017F;tanden, er &#x017F;ey<lb/>
dem andern bey einer gewi&#x017F;&#x017F;en Gelegenheit vor-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 5</fw><fw place="bottom" type="catch">gegan-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0157] v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. beſchaffen, darinnen die Menſchen, ohngeachtet ſie einerley Worte brauchen, gar nicht mit einan- der uͤbereinkommen. Durch ſolche allgemeine Ausdruͤcke nun werden die Sachen in der Erzeh- lung bald vergroͤſſert, bald verkleinert, nicht ſo- wohl durch die Schuld des Erzehlers, als wel- cher ſich nach ſeiner Empfindung richtet (§. 1.); als durch die Schuld deſſen, der ſich die Sache erzehlen laͤſſet, und die gehoͤrige Vorſicht nicht braucht. Man muß nehmlich, wie bey den all- gemeinen Anmerckungen, auf die Exempel ſehen, worauf ſich des Erzehlers ſeine Begriffe gruͤnden, (§. 40. 41. C. 2.), daß man daraus urtheilen kan, was er groß, was er ſchoͤn u. ſ. w. heiſſet. Wenn Leute aus kleinen Staͤdten von Pracht oder Reich- thum erzehlen, ſo muß es von denen, die in der Reſidentz wohnhafft ſind, und in Handelsſtaͤdten wohnen, cum grano ſalis angenommen werden. §. 7. Vermengung der Begebenheit mit der all- gemeinen Anmerckung. Eine nicht minder gewoͤhnliche Veraͤnderung, die der Zuſchauer mit dem, was er geſehen, vor- nimmt, iſt, daß er eine allgemeine Anmer- ckung macht, und ſolche ſtatt der Begebenheit ſelbſt vortraͤget. So ſagt man von jemanden: er ſtehe fruͤh auf, er gehe dem andern vor, er ſey reich, er ſey gelaſſenen Gemuͤths, an ſtatt, daß man eigentlich nicht mehr weiß, als daß er dieſen oder jenen Tag fruͤh aufgeſtanden, er ſey dem andern bey einer gewiſſen Gelegenheit vor- gegan- H 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/157
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/157>, abgerufen am 21.12.2024.