haben können. Nun aber bestehet auch die al- lerweitläufftigste Erzehlung aus solchen allgemei- nen Worten: man kan also daraus ermessen, wie vieles der Zuschauer bey Erzeugung seiner Erzeh- lung bey sich und im Sinne behalten habe; weil nehmlich solches alles zu erzehlen nicht möglich ist.
§. 5. Vermengung seiner Empfindungen mit den innerlichen Eigenschafften.
Wenn wir eine Sache nicht ohne Bewe- gung empfunden haben, so pflegen wir an statt die blosse Sache zu beschreiben, die Bewegung, die wir gehabt, in die Sache mit einzuflechten. So sagt man: Der Löwe macht ein fürchterli- ches Gebrülle: man siehet eine schreckliche Feuersbrunst: der Fisch Torpedo hat eine wun- derbare Würckung, nehmlich durch das blosse Anrühren Krampff zu verursachen: dieses oder jenes hat eine altväterische Gestalt. Man sie- het, daß alle diese Beywörter nicht die innerli- chen Eigenschafften der Dinge, sondern die Be- wegungen, die durch ihre Vorstellung in der Seele entstehen, anzeigen. Solche Verwicke- lungen sind in Geschichten nicht zu vermeiden: weil nehmlich in der Erzehlung nicht sowohl un- mittelbar die Begebenheit selbst, als die Vor- stellung davon (§. 14. C. 1.), und zwar wie sie in dem Gedächtnisse hafften bleibet (§. 1.), aus- gedruckt wird. Wer hierbey einen Anstoß hat, der darf sich nur erinnern, daß der Zuschauer ein- mahl eine Hauptsache bey der Geschichte ist (§. 1.
C. 5.):
H 4
v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc.
haben koͤnnen. Nun aber beſtehet auch die al- lerweitlaͤufftigſte Erzehlung aus ſolchen allgemei- nen Worten: man kan alſo daraus ermeſſen, wie vieles der Zuſchauer bey Erzeugung ſeiner Erzeh- lung bey ſich und im Sinne behalten habe; weil nehmlich ſolches alles zu erzehlen nicht moͤglich iſt.
§. 5. Vermengung ſeiner Empfindungen mit den innerlichen Eigenſchafften.
Wenn wir eine Sache nicht ohne Bewe- gung empfunden haben, ſo pflegen wir an ſtatt die bloſſe Sache zu beſchreiben, die Bewegung, die wir gehabt, in die Sache mit einzuflechten. So ſagt man: Der Loͤwe macht ein fuͤrchterli- ches Gebruͤlle: man ſiehet eine ſchreckliche Feuersbrunſt: der Fiſch Torpedo hat eine wun- derbare Wuͤrckung, nehmlich durch das bloſſe Anruͤhren Krampff zu verurſachen: dieſes oder jenes hat eine altvaͤteriſche Geſtalt. Man ſie- het, daß alle dieſe Beywoͤrter nicht die innerli- chen Eigenſchafften der Dinge, ſondern die Be- wegungen, die durch ihre Vorſtellung in der Seele entſtehen, anzeigen. Solche Verwicke- lungen ſind in Geſchichten nicht zu vermeiden: weil nehmlich in der Erzehlung nicht ſowohl un- mittelbar die Begebenheit ſelbſt, als die Vor- ſtellung davon (§. 14. C. 1.), und zwar wie ſie in dem Gedaͤchtniſſe hafften bleibet (§. 1.), aus- gedruckt wird. Wer hierbey einen Anſtoß hat, der darf ſich nur erinnern, daß der Zuſchauer ein- mahl eine Hauptſache bey der Geſchichte iſt (§. 1.
C. 5.):
H 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0155"n="119"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc.</hi></fw><lb/>
haben koͤnnen. Nun aber beſtehet auch die al-<lb/>
lerweitlaͤufftigſte Erzehlung aus ſolchen allgemei-<lb/>
nen Worten: man kan alſo daraus ermeſſen, wie<lb/>
vieles der Zuſchauer bey Erzeugung ſeiner Erzeh-<lb/>
lung bey ſich und im Sinne behalten habe; weil<lb/>
nehmlich ſolches alles zu erzehlen nicht moͤglich iſt.</p></div><lb/><divn="2"><head>§. 5.<lb/>
Vermengung ſeiner Empfindungen mit den<lb/>
innerlichen Eigenſchafften.</head><lb/><p>Wenn wir eine Sache nicht ohne <hirendition="#fr">Bewe-<lb/>
gung</hi> empfunden haben, ſo pflegen wir an ſtatt<lb/>
die bloſſe Sache zu beſchreiben, die Bewegung,<lb/>
die wir gehabt, in die Sache mit einzuflechten.<lb/>
So ſagt man: Der Loͤwe macht ein <hirendition="#fr">fuͤrchterli-<lb/>
ches</hi> Gebruͤlle: man ſiehet eine <hirendition="#fr">ſchreckliche</hi><lb/>
Feuersbrunſt: der Fiſch Torpedo hat eine <hirendition="#fr">wun-<lb/>
derbare</hi> Wuͤrckung, nehmlich durch das bloſſe<lb/>
Anruͤhren Krampff zu verurſachen: dieſes oder<lb/>
jenes hat eine <hirendition="#fr">altvaͤteriſche</hi> Geſtalt. Man ſie-<lb/>
het, daß alle dieſe <hirendition="#fr">Beywoͤrter</hi> nicht die innerli-<lb/>
chen Eigenſchafften der Dinge, ſondern die Be-<lb/>
wegungen, die durch ihre Vorſtellung in der<lb/>
Seele entſtehen, anzeigen. Solche Verwicke-<lb/>
lungen ſind in Geſchichten nicht zu vermeiden:<lb/>
weil nehmlich in der Erzehlung nicht ſowohl un-<lb/>
mittelbar die <hirendition="#fr">Begebenheit</hi>ſelbſt, als die <hirendition="#fr">Vor-<lb/>ſtellung</hi> davon (§. 14. C. 1.), und zwar wie ſie<lb/>
in dem Gedaͤchtniſſe hafften bleibet (§. 1.), aus-<lb/>
gedruckt wird. Wer hierbey einen Anſtoß hat,<lb/>
der darf ſich nur erinnern, daß der <hirendition="#fr">Zuſchauer</hi> ein-<lb/>
mahl eine Hauptſache bey der Geſchichte iſt (§. 1.<lb/><fwplace="bottom"type="sig">H 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">C. 5.):</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[119/0155]
v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc.
haben koͤnnen. Nun aber beſtehet auch die al-
lerweitlaͤufftigſte Erzehlung aus ſolchen allgemei-
nen Worten: man kan alſo daraus ermeſſen, wie
vieles der Zuſchauer bey Erzeugung ſeiner Erzeh-
lung bey ſich und im Sinne behalten habe; weil
nehmlich ſolches alles zu erzehlen nicht moͤglich iſt.
§. 5.
Vermengung ſeiner Empfindungen mit den
innerlichen Eigenſchafften.
Wenn wir eine Sache nicht ohne Bewe-
gung empfunden haben, ſo pflegen wir an ſtatt
die bloſſe Sache zu beſchreiben, die Bewegung,
die wir gehabt, in die Sache mit einzuflechten.
So ſagt man: Der Loͤwe macht ein fuͤrchterli-
ches Gebruͤlle: man ſiehet eine ſchreckliche
Feuersbrunſt: der Fiſch Torpedo hat eine wun-
derbare Wuͤrckung, nehmlich durch das bloſſe
Anruͤhren Krampff zu verurſachen: dieſes oder
jenes hat eine altvaͤteriſche Geſtalt. Man ſie-
het, daß alle dieſe Beywoͤrter nicht die innerli-
chen Eigenſchafften der Dinge, ſondern die Be-
wegungen, die durch ihre Vorſtellung in der
Seele entſtehen, anzeigen. Solche Verwicke-
lungen ſind in Geſchichten nicht zu vermeiden:
weil nehmlich in der Erzehlung nicht ſowohl un-
mittelbar die Begebenheit ſelbſt, als die Vor-
ſtellung davon (§. 14. C. 1.), und zwar wie ſie
in dem Gedaͤchtniſſe hafften bleibet (§. 1.), aus-
gedruckt wird. Wer hierbey einen Anſtoß hat,
der darf ſich nur erinnern, daß der Zuſchauer ein-
mahl eine Hauptſache bey der Geſchichte iſt (§. 1.
C. 5.):
H 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/155>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.