Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertes Capitel,
mand am meisten beschäfftiget; 2. der Stand,
welcher uns am meisten einträgt; 3. der Stand,
der am meisten Ehre hat. Der letztere wird ge-
meiniglich den andern vorgezogen, und im gemei-
nen Leben der Stand eines Menschen genennet:
wovon wir die Ursache denen Moralisten zu un-
tersuchen und zu beurtheilen überlassen. Jn die-
ser Abhandlung aber können wir uns an diesen ge-
meinen
Maaßstab des Standes nicht halten,
sondern der eine wird uns in den meisten Fällen
so gut seyn als der andere.

§. 7.
Viele Begebenheiten verstehen sich von selbst,
andere nicht?

Weil die Beschaffenheit derer verschiedenen
Arten von Ständen, aus der Erfahrung schon
längst unter den Leuten bekannt ist; so kan man
von jedem, wenn uns sein Stand bekannt, gleich
aus diesem unsern Begriffe, und a priori vieles
einsehen, was ihm, vermöge seines Standes,
zu thun oblieget, und was ihm, vermöge dessel-
ben, begegnen kan. Hingegen kan es auch ge-
schehen, daß in einem Stande sich, wegen der
Umstände der Zeit, manches zuträgt, welches
man bloß aus dem allgemeinen Begriffe von sol-
chem Stande nicht hat einsehen können: als daß
eine Gemeinde eine Verfolgung überfällt, dar-
auf rechnet jetzo wohl nicht leicht jemand, der ein
Predigtamt annimmt. Ueberhaupt aber kommen
bey eintzeln Personen auch individuelle Umstände
vor, die mir der allgemeine Begriff nicht an die

Hand

Viertes Capitel,
mand am meiſten beſchaͤfftiget; 2. der Stand,
welcher uns am meiſten eintraͤgt; 3. der Stand,
der am meiſten Ehre hat. Der letztere wird ge-
meiniglich den andern vorgezogen, und im gemei-
nen Leben der Stand eines Menſchen genennet:
wovon wir die Urſache denen Moraliſten zu un-
terſuchen und zu beurtheilen uͤberlaſſen. Jn die-
ſer Abhandlung aber koͤnnen wir uns an dieſen ge-
meinen
Maaßſtab des Standes nicht halten,
ſondern der eine wird uns in den meiſten Faͤllen
ſo gut ſeyn als der andere.

§. 7.
Viele Begebenheiten verſtehen ſich von ſelbſt,
andere nicht?

Weil die Beſchaffenheit derer verſchiedenen
Arten von Staͤnden, aus der Erfahrung ſchon
laͤngſt unter den Leuten bekannt iſt; ſo kan man
von jedem, wenn uns ſein Stand bekannt, gleich
aus dieſem unſern Begriffe, und a priori vieles
einſehen, was ihm, vermoͤge ſeines Standes,
zu thun oblieget, und was ihm, vermoͤge deſſel-
ben, begegnen kan. Hingegen kan es auch ge-
ſchehen, daß in einem Stande ſich, wegen der
Umſtaͤnde der Zeit, manches zutraͤgt, welches
man bloß aus dem allgemeinen Begriffe von ſol-
chem Stande nicht hat einſehen koͤnnen: als daß
eine Gemeinde eine Verfolgung uͤberfaͤllt, dar-
auf rechnet jetzo wohl nicht leicht jemand, der ein
Predigtamt annimmt. Ueberhaupt aber kommen
bey eintzeln Perſonen auch individuelle Umſtaͤnde
vor, die mir der allgemeine Begriff nicht an die

Hand
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0116" n="80"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Viertes Capitel,</hi></fw><lb/>
mand am mei&#x017F;ten be&#x017F;cha&#x0364;fftiget; 2. der Stand,<lb/>
welcher uns am mei&#x017F;ten eintra&#x0364;gt; 3. der Stand,<lb/>
der am mei&#x017F;ten Ehre hat. Der letztere wird ge-<lb/>
meiniglich den andern vorgezogen, und im gemei-<lb/>
nen Leben der <hi rendition="#fr">Stand</hi> eines Men&#x017F;chen genennet:<lb/>
wovon wir die Ur&#x017F;ache denen Morali&#x017F;ten zu un-<lb/>
ter&#x017F;uchen und zu beurtheilen u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en. Jn die-<lb/>
&#x017F;er Abhandlung aber ko&#x0364;nnen wir uns an die&#x017F;en <hi rendition="#fr">ge-<lb/>
meinen</hi> Maaß&#x017F;tab des Standes nicht halten,<lb/>
&#x017F;ondern der eine wird uns in den mei&#x017F;ten Fa&#x0364;llen<lb/>
&#x017F;o gut &#x017F;eyn als der andere.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 7.<lb/>
Viele Begebenheiten ver&#x017F;tehen &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
andere nicht?</head><lb/>
          <p>Weil die Be&#x017F;chaffenheit derer ver&#x017F;chiedenen<lb/><hi rendition="#fr">Arten von Sta&#x0364;nden,</hi> aus der Erfahrung &#x017F;chon<lb/>
la&#x0364;ng&#x017F;t unter den Leuten bekannt i&#x017F;t; &#x017F;o kan man<lb/>
von jedem, wenn uns &#x017F;ein Stand bekannt, gleich<lb/>
aus die&#x017F;em un&#x017F;ern Begriffe, und <hi rendition="#aq">a priori</hi> vieles<lb/>
ein&#x017F;ehen, was ihm, <hi rendition="#fr">vermo&#x0364;ge &#x017F;eines Standes,</hi><lb/>
zu thun oblieget, und was ihm, vermo&#x0364;ge de&#x017F;&#x017F;el-<lb/>
ben, begegnen kan. Hingegen kan es auch ge-<lb/>
&#x017F;chehen, daß in einem Stande &#x017F;ich, wegen der<lb/>
Um&#x017F;ta&#x0364;nde der Zeit, manches zutra&#x0364;gt, welches<lb/>
man bloß aus dem allgemeinen Begriffe von &#x017F;ol-<lb/>
chem Stande nicht hat ein&#x017F;ehen ko&#x0364;nnen: als daß<lb/>
eine Gemeinde eine Verfolgung u&#x0364;berfa&#x0364;llt, dar-<lb/>
auf rechnet jetzo wohl nicht leicht jemand, der ein<lb/>
Predigtamt annimmt. Ueberhaupt aber kommen<lb/>
bey eintzeln Per&#x017F;onen auch <hi rendition="#aq">individuelle</hi> Um&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
vor, die mir der allgemeine Begriff nicht an die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Hand</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0116] Viertes Capitel, mand am meiſten beſchaͤfftiget; 2. der Stand, welcher uns am meiſten eintraͤgt; 3. der Stand, der am meiſten Ehre hat. Der letztere wird ge- meiniglich den andern vorgezogen, und im gemei- nen Leben der Stand eines Menſchen genennet: wovon wir die Urſache denen Moraliſten zu un- terſuchen und zu beurtheilen uͤberlaſſen. Jn die- ſer Abhandlung aber koͤnnen wir uns an dieſen ge- meinen Maaßſtab des Standes nicht halten, ſondern der eine wird uns in den meiſten Faͤllen ſo gut ſeyn als der andere. §. 7. Viele Begebenheiten verſtehen ſich von ſelbſt, andere nicht? Weil die Beſchaffenheit derer verſchiedenen Arten von Staͤnden, aus der Erfahrung ſchon laͤngſt unter den Leuten bekannt iſt; ſo kan man von jedem, wenn uns ſein Stand bekannt, gleich aus dieſem unſern Begriffe, und a priori vieles einſehen, was ihm, vermoͤge ſeines Standes, zu thun oblieget, und was ihm, vermoͤge deſſel- ben, begegnen kan. Hingegen kan es auch ge- ſchehen, daß in einem Stande ſich, wegen der Umſtaͤnde der Zeit, manches zutraͤgt, welches man bloß aus dem allgemeinen Begriffe von ſol- chem Stande nicht hat einſehen koͤnnen: als daß eine Gemeinde eine Verfolgung uͤberfaͤllt, dar- auf rechnet jetzo wohl nicht leicht jemand, der ein Predigtamt annimmt. Ueberhaupt aber kommen bey eintzeln Perſonen auch individuelle Umſtaͤnde vor, die mir der allgemeine Begriff nicht an die Hand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/116
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/116>, abgerufen am 13.11.2024.