Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Die Entstehung einer neuen Welt. Mit den Auseinandersetzungen dieses Abschnittes hoffe ich etwas 3. Industrie (von der Einführung des Papieres bis zu Watt's Dampfmaschine). Vergänglichkeitaller Civilisation. Wir betreten jetzt das Gebiet der Civilisation; hier kann ich und Gestalt, nicht der Stoff, ist das Grundprinzip alles Lebens. Und so musste denn der
früher so kühne Herbert Spencer vor Kurzem als ehrlicher Forscher gestehen: "Die Theorie einer besonderen Lebenskraft ist unzulässig, die physikalisch-chemische Theorie hat sich aber ebenfalls als unhaltbar erwiesen, woraus sich die Folgerung mit Not- wendigkeit ergiebt, dass das Wesen des Lebens überhaupt unerforschlich ist" (Brief vom 12. Oktober 1898 in der Zeitschrift Nature, Bd. 58, S. 593). Auch hier hätte ein bischen metaphysisches Denken den schmerzhaften Rückzug erspart. In dem Sinne wie Spencer es hier meint, ist überhaupt die gesamte empirische Welt un- erforschlich. Das Mysterium erscheint nur darum beim Leben in so besonders schlagender Gestalt, weil gerade das Leben das einzige ist, was wir aus un- mittelbarer Erfahrung selber wissen. Kraft des Lebens treten wir an das Problem des Lebens heran und müssen nun bekennen, dass die Katze sich zwar in die Spitze des Schwanzes beissen kann (falls dieser lang genug ist), aber mehr nicht; sie kann sich nicht selber aufessen und verdauen. Welchen stolzen Flug wird unsere Wissenschaft an dem Tage nehmen, wo der letzte Rest semitischen Er- kenntniswahnes von ihr abgestreift sein wird, und sie zur reinen, intensiven An- schauung übergeht, verbunden mit der freien, bewusst-menschlichen Gestaltung. Dann wahrlich "wird der Mensch durch den Menschen in das Tageslicht des Lebens eingetreten sein"! (Siehe das Motto zu Kapitel 1.) Die Entstehung einer neuen Welt. Mit den Auseinandersetzungen dieses Abschnittes hoffe ich etwas 3. Industrie (von der Einführung des Papieres bis zu Watt’s Dampfmaschine). Vergänglichkeitaller Civilisation. Wir betreten jetzt das Gebiet der Civilisation; hier kann ich und Gestalt, nicht der Stoff, ist das Grundprinzip alles Lebens. Und so musste denn der
früher so kühne Herbert Spencer vor Kurzem als ehrlicher Forscher gestehen: »Die Theorie einer besonderen Lebenskraft ist unzulässig, die physikalisch-chemische Theorie hat sich aber ebenfalls als unhaltbar erwiesen, woraus sich die Folgerung mit Not- wendigkeit ergiebt, dass das Wesen des Lebens überhaupt unerforschlich ist« (Brief vom 12. Oktober 1898 in der Zeitschrift Nature, Bd. 58, S. 593). Auch hier hätte ein bischen metaphysisches Denken den schmerzhaften Rückzug erspart. In dem Sinne wie Spencer es hier meint, ist überhaupt die gesamte empirische Welt un- erforschlich. Das Mysterium erscheint nur darum beim Leben in so besonders schlagender Gestalt, weil gerade das Leben das einzige ist, was wir aus un- mittelbarer Erfahrung selber wissen. Kraft des Lebens treten wir an das Problem des Lebens heran und müssen nun bekennen, dass die Katze sich zwar in die Spitze des Schwanzes beissen kann (falls dieser lang genug ist), aber mehr nicht; sie kann sich nicht selber aufessen und verdauen. Welchen stolzen Flug wird unsere Wissenschaft an dem Tage nehmen, wo der letzte Rest semitischen Er- kenntniswahnes von ihr abgestreift sein wird, und sie zur reinen, intensiven An- schauung übergeht, verbunden mit der freien, bewusst-menschlichen Gestaltung. Dann wahrlich »wird der Mensch durch den Menschen in das Tageslicht des Lebens eingetreten sein«! (Siehe das Motto zu Kapitel 1.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0287" n="808"/> <fw place="top" type="header">Die Entstehung einer neuen Welt.</fw><lb/> <p>Mit den Auseinandersetzungen dieses Abschnittes hoffe ich etwas<lb/> Nützliches zum Verständnis der Geschichte unserer germanischen Wissen-<lb/> schaften und zu der genauen Beurteilung ihrer Erscheinungen in unserem<lb/> Jahrhundert beigetragen zu haben. Wir sahen, dass Wissenschaft — nach<lb/> unserer durchaus neuen und individuellen Auffassung — die mensch-<lb/> liche Gestaltung eines Aussermenschlichen ist; wir stellten in einigen<lb/> Hauptzügen und an der Hand einzelner Beispiele fest, wie diese Ge-<lb/> staltung bisher bei uns stattgefunden hat. Mehr kann man von einer<lb/> »Notbrücke« nicht fordern.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="4"> <head>3. <hi rendition="#b">Industrie (von der Einführung des Papieres bis zu Watt’s Dampfmaschine).</hi></head><lb/> <note place="left">Vergänglichkeit<lb/> aller<lb/> Civilisation.</note> <p>Wir betreten jetzt das Gebiet der Civilisation; hier kann ich und<lb/> werde ich mich äusserst kurz fassen, denn das Verhältnis der Gegen-<lb/> wart zur Vergangenheit ist hier ein gänzlich anderes als bei Wissen<lb/> und Kultur. Bei der Besprechung des Wissens habe ich Boden auf-<lb/> brechen und Grundlagen im Interesse des Verständnisses unseres Jahr-<lb/> hunderts vorbereiten müssen; denn unser heutiges Wissen hängt mit<lb/> der Arbeit der vorangegangenen sechs Jahrhunderte so eng zusammen,<lb/> entwächst ihr so genau bedingt, dass sich die Gegenwart nur im Zu-<lb/> sammenhang mit der Vergangenheit dem Urteil erschliesst; ausserdem<lb/><note xml:id="seg2pn_22_2" prev="#seg2pn_22_1" place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Gestalt,</hi> nicht der Stoff, ist das Grundprinzip alles Lebens. Und so musste denn der<lb/> früher so kühne Herbert Spencer vor Kurzem als ehrlicher Forscher gestehen: »Die<lb/> Theorie einer besonderen Lebenskraft ist unzulässig, die physikalisch-chemische Theorie<lb/> hat sich aber ebenfalls als unhaltbar erwiesen, woraus sich die Folgerung mit Not-<lb/> wendigkeit ergiebt, dass das Wesen des Lebens überhaupt unerforschlich ist« (Brief<lb/> vom 12. Oktober 1898 in der Zeitschrift <hi rendition="#i">Nature,</hi> Bd. 58, S. 593). Auch hier hätte<lb/> ein bischen metaphysisches Denken den schmerzhaften Rückzug erspart. In dem<lb/> Sinne wie Spencer es hier meint, ist überhaupt die gesamte empirische Welt un-<lb/> erforschlich. Das Mysterium erscheint nur darum beim Leben in so besonders<lb/> schlagender Gestalt, weil gerade das <hi rendition="#g">Leben</hi> das einzige ist, was wir aus un-<lb/> mittelbarer Erfahrung selber wissen. Kraft des Lebens treten wir an das Problem<lb/> des Lebens heran und müssen nun bekennen, dass die Katze sich zwar in die<lb/> Spitze des Schwanzes beissen kann (falls dieser lang genug ist), aber mehr nicht;<lb/> sie kann sich nicht selber aufessen und verdauen. Welchen stolzen Flug wird<lb/> unsere Wissenschaft an dem Tage nehmen, wo der letzte Rest semitischen Er-<lb/> kenntniswahnes von ihr abgestreift sein wird, und sie zur reinen, intensiven An-<lb/> schauung übergeht, verbunden mit der freien, bewusst-menschlichen Gestaltung.<lb/> Dann wahrlich »wird der Mensch durch den Menschen in das Tageslicht des<lb/> Lebens eingetreten sein«! (Siehe das Motto zu Kapitel 1.)</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [808/0287]
Die Entstehung einer neuen Welt.
Mit den Auseinandersetzungen dieses Abschnittes hoffe ich etwas
Nützliches zum Verständnis der Geschichte unserer germanischen Wissen-
schaften und zu der genauen Beurteilung ihrer Erscheinungen in unserem
Jahrhundert beigetragen zu haben. Wir sahen, dass Wissenschaft — nach
unserer durchaus neuen und individuellen Auffassung — die mensch-
liche Gestaltung eines Aussermenschlichen ist; wir stellten in einigen
Hauptzügen und an der Hand einzelner Beispiele fest, wie diese Ge-
staltung bisher bei uns stattgefunden hat. Mehr kann man von einer
»Notbrücke« nicht fordern.
3. Industrie (von der Einführung des Papieres bis zu Watt’s Dampfmaschine).
Wir betreten jetzt das Gebiet der Civilisation; hier kann ich und
werde ich mich äusserst kurz fassen, denn das Verhältnis der Gegen-
wart zur Vergangenheit ist hier ein gänzlich anderes als bei Wissen
und Kultur. Bei der Besprechung des Wissens habe ich Boden auf-
brechen und Grundlagen im Interesse des Verständnisses unseres Jahr-
hunderts vorbereiten müssen; denn unser heutiges Wissen hängt mit
der Arbeit der vorangegangenen sechs Jahrhunderte so eng zusammen,
entwächst ihr so genau bedingt, dass sich die Gegenwart nur im Zu-
sammenhang mit der Vergangenheit dem Urteil erschliesst; ausserdem
1)
1) Gestalt, nicht der Stoff, ist das Grundprinzip alles Lebens. Und so musste denn der
früher so kühne Herbert Spencer vor Kurzem als ehrlicher Forscher gestehen: »Die
Theorie einer besonderen Lebenskraft ist unzulässig, die physikalisch-chemische Theorie
hat sich aber ebenfalls als unhaltbar erwiesen, woraus sich die Folgerung mit Not-
wendigkeit ergiebt, dass das Wesen des Lebens überhaupt unerforschlich ist« (Brief
vom 12. Oktober 1898 in der Zeitschrift Nature, Bd. 58, S. 593). Auch hier hätte
ein bischen metaphysisches Denken den schmerzhaften Rückzug erspart. In dem
Sinne wie Spencer es hier meint, ist überhaupt die gesamte empirische Welt un-
erforschlich. Das Mysterium erscheint nur darum beim Leben in so besonders
schlagender Gestalt, weil gerade das Leben das einzige ist, was wir aus un-
mittelbarer Erfahrung selber wissen. Kraft des Lebens treten wir an das Problem
des Lebens heran und müssen nun bekennen, dass die Katze sich zwar in die
Spitze des Schwanzes beissen kann (falls dieser lang genug ist), aber mehr nicht;
sie kann sich nicht selber aufessen und verdauen. Welchen stolzen Flug wird
unsere Wissenschaft an dem Tage nehmen, wo der letzte Rest semitischen Er-
kenntniswahnes von ihr abgestreift sein wird, und sie zur reinen, intensiven An-
schauung übergeht, verbunden mit der freien, bewusst-menschlichen Gestaltung.
Dann wahrlich »wird der Mensch durch den Menschen in das Tageslicht des
Lebens eingetreten sein«! (Siehe das Motto zu Kapitel 1.)
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