Die Menschheit hat sich allmählich von einer kindlich rührenden Anschauung des Thierreichs, als dessen Glied sie sich fühlte, zu einer objectiveren Stellung ihm gegenüber durchgearbeitet, um in einem ver- ständnißvollen Eingehen auf die sich immer unverhüllter offenbarenden Heimlichkeiten der Thiere und auf die oft nur geahnten Gesetzen folgen- den Geheimnisse des Lebens jene höhere Freude wieder zu finden, welche das bewußte Erfassen allgemeiner Wahrheiten stets mit sich bringt. Noch liegt aber das zu erstrebende Ziel weit in der Zukunft. Ob es erreicht wird? -- es ist zu hoffen, da ja alle Naturwissenschaften, ihnen oft unbewußt, Materialien zum Aufführen des einstigen Baues einer Lehre vom Leben liefern. Beim Anbruch einer neuen Periode der Ge- schichte der Zoologie ziemt es sich wohl, in kurzen Zügen den jetzigen Stand und die weiteren Aufgaben der Wissenschaft zu bezeichnen. Es hat sich gezeigt, daß man vom Ausgange des Mittelalters an versuchte, die Kenntnisse von den Thieren in einer nicht immer von der Natur der Thiere selbst bestimmten Ordnung in Gesammtübersichten darzustellen. Die Wirkung dieser Sammelwerke sowie die, in Folge anderer oft frem- der Anregungen, allmählich tiefer eindringende Kenntniß thierischer Form und thierischen Baues führte zu dem Bedürfnisse, systematische Ordnung in die Mannichfaltigkeit der Thierwelt zu bringen. Logisch ganz richtig griff man hierbei zu den von den Thieren gebotenen Merk- malen. Die Bestrebungen, das System immer natürlicher zu machen, ließen immer weitere Merkmalsgruppen heranziehn, bis endlich das Thier in seiner äußern und innern Form, in seiner Entwickelung und Verbreitung, seiner zeitlichen und räumlichen Geschichte erfaßt und mit andern verglichen wurde. Da erschloß sich dem Blicke Cuvier's das Vorhandensein einer im Verhältniß zur äußern Formenmannichfaltig- keit nur geringen Zahl allgemeiner Baupläne. Die hier zuletzt geschil- derte Periode hat die Begründung dieser Typen, ihre Begrenzung, ihre gegenseitigen Beziehungen ergeben. Die Auffassung derselben als ge- wissermaßen persönlicher Gewalten, die Neigung in ihnen ideale Gesetze zu erblicken, welche den Bau der Thiere regelten und leiteten, hat eher
Schlußbemerkungen.
Schlußbemerkungen.
Die Menſchheit hat ſich allmählich von einer kindlich rührenden Anſchauung des Thierreichs, als deſſen Glied ſie ſich fühlte, zu einer objectiveren Stellung ihm gegenüber durchgearbeitet, um in einem ver- ſtändnißvollen Eingehen auf die ſich immer unverhüllter offenbarenden Heimlichkeiten der Thiere und auf die oft nur geahnten Geſetzen folgen- den Geheimniſſe des Lebens jene höhere Freude wieder zu finden, welche das bewußte Erfaſſen allgemeiner Wahrheiten ſtets mit ſich bringt. Noch liegt aber das zu erſtrebende Ziel weit in der Zukunft. Ob es erreicht wird? — es iſt zu hoffen, da ja alle Naturwiſſenſchaften, ihnen oft unbewußt, Materialien zum Aufführen des einſtigen Baues einer Lehre vom Leben liefern. Beim Anbruch einer neuen Periode der Ge- ſchichte der Zoologie ziemt es ſich wohl, in kurzen Zügen den jetzigen Stand und die weiteren Aufgaben der Wiſſenſchaft zu bezeichnen. Es hat ſich gezeigt, daß man vom Ausgange des Mittelalters an verſuchte, die Kenntniſſe von den Thieren in einer nicht immer von der Natur der Thiere ſelbſt beſtimmten Ordnung in Geſammtüberſichten darzuſtellen. Die Wirkung dieſer Sammelwerke ſowie die, in Folge anderer oft frem- der Anregungen, allmählich tiefer eindringende Kenntniß thieriſcher Form und thieriſchen Baues führte zu dem Bedürfniſſe, ſyſtematiſche Ordnung in die Mannichfaltigkeit der Thierwelt zu bringen. Logiſch ganz richtig griff man hierbei zu den von den Thieren gebotenen Merk- malen. Die Beſtrebungen, das Syſtem immer natürlicher zu machen, ließen immer weitere Merkmalsgruppen heranziehn, bis endlich das Thier in ſeiner äußern und innern Form, in ſeiner Entwickelung und Verbreitung, ſeiner zeitlichen und räumlichen Geſchichte erfaßt und mit andern verglichen wurde. Da erſchloß ſich dem Blicke Cuvier's das Vorhandenſein einer im Verhältniß zur äußern Formenmannichfaltig- keit nur geringen Zahl allgemeiner Baupläne. Die hier zuletzt geſchil- derte Periode hat die Begründung dieſer Typen, ihre Begrenzung, ihre gegenſeitigen Beziehungen ergeben. Die Auffaſſung derſelben als ge- wiſſermaßen perſönlicher Gewalten, die Neigung in ihnen ideale Geſetze zu erblicken, welche den Bau der Thiere regelten und leiteten, hat eher
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Schlußbemerkungen.
Schlußbemerkungen.
Die Menſchheit hat ſich allmählich von einer kindlich rührenden
Anſchauung des Thierreichs, als deſſen Glied ſie ſich fühlte, zu einer
objectiveren Stellung ihm gegenüber durchgearbeitet, um in einem ver-
ſtändnißvollen Eingehen auf die ſich immer unverhüllter offenbarenden
Heimlichkeiten der Thiere und auf die oft nur geahnten Geſetzen folgen-
den Geheimniſſe des Lebens jene höhere Freude wieder zu finden, welche
das bewußte Erfaſſen allgemeiner Wahrheiten ſtets mit ſich bringt.
Noch liegt aber das zu erſtrebende Ziel weit in der Zukunft. Ob es
erreicht wird? — es iſt zu hoffen, da ja alle Naturwiſſenſchaften, ihnen
oft unbewußt, Materialien zum Aufführen des einſtigen Baues einer
Lehre vom Leben liefern. Beim Anbruch einer neuen Periode der Ge-
ſchichte der Zoologie ziemt es ſich wohl, in kurzen Zügen den jetzigen
Stand und die weiteren Aufgaben der Wiſſenſchaft zu bezeichnen. Es
hat ſich gezeigt, daß man vom Ausgange des Mittelalters an verſuchte,
die Kenntniſſe von den Thieren in einer nicht immer von der Natur der
Thiere ſelbſt beſtimmten Ordnung in Geſammtüberſichten darzuſtellen.
Die Wirkung dieſer Sammelwerke ſowie die, in Folge anderer oft frem-
der Anregungen, allmählich tiefer eindringende Kenntniß thieriſcher
Form und thieriſchen Baues führte zu dem Bedürfniſſe, ſyſtematiſche
Ordnung in die Mannichfaltigkeit der Thierwelt zu bringen. Logiſch
ganz richtig griff man hierbei zu den von den Thieren gebotenen Merk-
malen. Die Beſtrebungen, das Syſtem immer natürlicher zu machen,
ließen immer weitere Merkmalsgruppen heranziehn, bis endlich das
Thier in ſeiner äußern und innern Form, in ſeiner Entwickelung und
Verbreitung, ſeiner zeitlichen und räumlichen Geſchichte erfaßt und mit
andern verglichen wurde. Da erſchloß ſich dem Blicke Cuvier's das
Vorhandenſein einer im Verhältniß zur äußern Formenmannichfaltig-
keit nur geringen Zahl allgemeiner Baupläne. Die hier zuletzt geſchil-
derte Periode hat die Begründung dieſer Typen, ihre Begrenzung, ihre
gegenſeitigen Beziehungen ergeben. Die Auffaſſung derſelben als ge-
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zu erblicken, welche den Bau der Thiere regelten und leiteten, hat eher
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 727. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/738>, abgerufen am 21.11.2024.
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