Versteinerungen als Leitfossilien gezogen hat, ist nur ein äußerlich mit den letzteren zusammenhängender Umstand und hebt die Thatsache nicht auf, daß die Kenntniß eines Thieres, mag es auch versteinert sein, Gegenstand der Zoologie ist. Verdankt die Wissenschaft auch die Schil- derung vieler Thier- und Pflanzenreste den Geologen, so findet die naturgemäße Ansicht doch immer weitere Verbreitung, daß die Hebung und Nutzung der in den Gesteinen eingeschlossenen botanischen und zoologischen Schätze Sache der Botaniker und Zoologen ist; letztere können ohne Kenntniß der fossilen Entwickelungsstufen nicht zum Ver- ständniß des jetzt lebenden Formenreichthums gelangen.
Erweiterung der Thierkenntniß durch Reisen und Faunen.
So lange es in der Zoologie an leitenden wissenschaftlichen Ge- sichtspunkten fehlte, war eine Bereicherung der speciellen Thierkenntniß nur eine Zahlenzunahme der bekannten Arten, welche als solche ohne Einfluß auf den Fortgang der Wissenschaft war. Es hatten sich indeß während der letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts mehrere Fragen in den Vordergrund gedrängt, deren Beantwortung nur durch eine möglichst allseitige Durchmusterung der Thierwelt im Ganzen er- reichbar zu sein schien. Dahin gehörte z. B. das Auffinden von Thie- ren, welche in der alten Welt nur fossil vorkamen, im lebenden Zustande auf andern Continenten, ferner die mögliche Ausfüllung mancher im System auffälliger Lücken, mochte man nun eine einreihige Anordnung des Thierreichs annehmen oder nicht; endlich eine Einsicht in die Ge- setzmäßigkeit der geographischen Verbreitung der Thiere. Außer diesen allgemeinen Gesichtspunkten ließen es mancherlei specielle Fragen wün- schenswerth erscheinen, Beobachtungen an Ort und Stelle anstellen zu können, so das Leben pelagischer Thiere, die Korallenbauten u. ähnl. Der Stand der Zoologie veranlaßte es daher, daß sich allmählich ein immer gesteigertes Interesse an die zoologische Ausbeute größerer Reisen knüpfte, obschon nur darauf aufmerksam gemacht zu werden braucht, daß sich die Umgestaltung in der Gesammtauffassung des Thierreichs, die Einführung der Typen durch Cuvier, ganz unabhängig von den Resultaten der Reisen vollzog.
Reiſen und Faunen.
Verſteinerungen als Leitfoſſilien gezogen hat, iſt nur ein äußerlich mit den letzteren zuſammenhängender Umſtand und hebt die Thatſache nicht auf, daß die Kenntniß eines Thieres, mag es auch verſteinert ſein, Gegenſtand der Zoologie iſt. Verdankt die Wiſſenſchaft auch die Schil- derung vieler Thier- und Pflanzenreſte den Geologen, ſo findet die naturgemäße Anſicht doch immer weitere Verbreitung, daß die Hebung und Nutzung der in den Geſteinen eingeſchloſſenen botaniſchen und zoologiſchen Schätze Sache der Botaniker und Zoologen iſt; letztere können ohne Kenntniß der foſſilen Entwickelungsſtufen nicht zum Ver- ſtändniß des jetzt lebenden Formenreichthums gelangen.
Erweiterung der Thierkenntniß durch Reiſen und Faunen.
So lange es in der Zoologie an leitenden wiſſenſchaftlichen Ge- ſichtspunkten fehlte, war eine Bereicherung der ſpeciellen Thierkenntniß nur eine Zahlenzunahme der bekannten Arten, welche als ſolche ohne Einfluß auf den Fortgang der Wiſſenſchaft war. Es hatten ſich indeß während der letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts mehrere Fragen in den Vordergrund gedrängt, deren Beantwortung nur durch eine möglichſt allſeitige Durchmuſterung der Thierwelt im Ganzen er- reichbar zu ſein ſchien. Dahin gehörte z. B. das Auffinden von Thie- ren, welche in der alten Welt nur foſſil vorkamen, im lebenden Zuſtande auf andern Continenten, ferner die mögliche Ausfüllung mancher im Syſtem auffälliger Lücken, mochte man nun eine einreihige Anordnung des Thierreichs annehmen oder nicht; endlich eine Einſicht in die Ge- ſetzmäßigkeit der geographiſchen Verbreitung der Thiere. Außer dieſen allgemeinen Geſichtspunkten ließen es mancherlei ſpecielle Fragen wün- ſchenswerth erſcheinen, Beobachtungen an Ort und Stelle anſtellen zu können, ſo das Leben pelagiſcher Thiere, die Korallenbauten u. ähnl. Der Stand der Zoologie veranlaßte es daher, daß ſich allmählich ein immer geſteigertes Intereſſe an die zoologiſche Ausbeute größerer Reiſen knüpfte, obſchon nur darauf aufmerkſam gemacht zu werden braucht, daß ſich die Umgeſtaltung in der Geſammtauffaſſung des Thierreichs, die Einführung der Typen durch Cuvier, ganz unabhängig von den Reſultaten der Reiſen vollzog.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0662"n="651"/><fwplace="top"type="header">Reiſen und Faunen.</fw><lb/>
Verſteinerungen als Leitfoſſilien gezogen hat, iſt nur ein äußerlich mit<lb/>
den letzteren zuſammenhängender Umſtand und hebt die Thatſache nicht<lb/>
auf, daß die Kenntniß eines Thieres, mag es auch verſteinert ſein,<lb/>
Gegenſtand der Zoologie iſt. Verdankt die Wiſſenſchaft auch die Schil-<lb/>
derung vieler Thier- und Pflanzenreſte den Geologen, ſo findet die<lb/>
naturgemäße Anſicht doch immer weitere Verbreitung, daß die Hebung<lb/>
und Nutzung der in den Geſteinen eingeſchloſſenen botaniſchen und<lb/>
zoologiſchen Schätze Sache der Botaniker und Zoologen iſt; letztere<lb/>
können ohne Kenntniß der foſſilen Entwickelungsſtufen nicht zum Ver-<lb/>ſtändniß des jetzt lebenden Formenreichthums gelangen.</p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b">Erweiterung der Thierkenntniß durch Reiſen und Faunen.</hi></head><lb/><p>So lange es in der Zoologie an leitenden wiſſenſchaftlichen Ge-<lb/>ſichtspunkten fehlte, war eine Bereicherung der ſpeciellen Thierkenntniß<lb/>
nur eine Zahlenzunahme der bekannten Arten, welche als ſolche ohne<lb/>
Einfluß auf den Fortgang der Wiſſenſchaft war. Es hatten ſich indeß<lb/>
während der letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts mehrere<lb/>
Fragen in den Vordergrund gedrängt, deren Beantwortung nur durch<lb/>
eine möglichſt allſeitige Durchmuſterung der Thierwelt im Ganzen er-<lb/>
reichbar zu ſein ſchien. Dahin gehörte z. B. das Auffinden von Thie-<lb/>
ren, welche in der alten Welt nur foſſil vorkamen, im lebenden Zuſtande<lb/>
auf andern Continenten, ferner die mögliche Ausfüllung mancher im<lb/>
Syſtem auffälliger Lücken, mochte man nun eine einreihige Anordnung<lb/>
des Thierreichs annehmen oder nicht; endlich eine Einſicht in die Ge-<lb/>ſetzmäßigkeit der geographiſchen Verbreitung der Thiere. Außer dieſen<lb/>
allgemeinen Geſichtspunkten ließen es mancherlei ſpecielle Fragen wün-<lb/>ſchenswerth erſcheinen, Beobachtungen an Ort und Stelle anſtellen zu<lb/>
können, ſo das Leben pelagiſcher Thiere, die Korallenbauten u. ähnl.<lb/>
Der Stand der Zoologie veranlaßte es daher, daß ſich allmählich ein<lb/>
immer geſteigertes Intereſſe an die zoologiſche Ausbeute größerer Reiſen<lb/>
knüpfte, obſchon nur darauf aufmerkſam gemacht zu werden braucht,<lb/>
daß ſich die Umgeſtaltung in der Geſammtauffaſſung des Thierreichs,<lb/>
die Einführung der Typen durch <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118677578">Cuvier</persName>, ganz unabhängig von den<lb/>
Reſultaten der Reiſen vollzog.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[651/0662]
Reiſen und Faunen.
Verſteinerungen als Leitfoſſilien gezogen hat, iſt nur ein äußerlich mit
den letzteren zuſammenhängender Umſtand und hebt die Thatſache nicht
auf, daß die Kenntniß eines Thieres, mag es auch verſteinert ſein,
Gegenſtand der Zoologie iſt. Verdankt die Wiſſenſchaft auch die Schil-
derung vieler Thier- und Pflanzenreſte den Geologen, ſo findet die
naturgemäße Anſicht doch immer weitere Verbreitung, daß die Hebung
und Nutzung der in den Geſteinen eingeſchloſſenen botaniſchen und
zoologiſchen Schätze Sache der Botaniker und Zoologen iſt; letztere
können ohne Kenntniß der foſſilen Entwickelungsſtufen nicht zum Ver-
ſtändniß des jetzt lebenden Formenreichthums gelangen.
Erweiterung der Thierkenntniß durch Reiſen und Faunen.
So lange es in der Zoologie an leitenden wiſſenſchaftlichen Ge-
ſichtspunkten fehlte, war eine Bereicherung der ſpeciellen Thierkenntniß
nur eine Zahlenzunahme der bekannten Arten, welche als ſolche ohne
Einfluß auf den Fortgang der Wiſſenſchaft war. Es hatten ſich indeß
während der letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts mehrere
Fragen in den Vordergrund gedrängt, deren Beantwortung nur durch
eine möglichſt allſeitige Durchmuſterung der Thierwelt im Ganzen er-
reichbar zu ſein ſchien. Dahin gehörte z. B. das Auffinden von Thie-
ren, welche in der alten Welt nur foſſil vorkamen, im lebenden Zuſtande
auf andern Continenten, ferner die mögliche Ausfüllung mancher im
Syſtem auffälliger Lücken, mochte man nun eine einreihige Anordnung
des Thierreichs annehmen oder nicht; endlich eine Einſicht in die Ge-
ſetzmäßigkeit der geographiſchen Verbreitung der Thiere. Außer dieſen
allgemeinen Geſichtspunkten ließen es mancherlei ſpecielle Fragen wün-
ſchenswerth erſcheinen, Beobachtungen an Ort und Stelle anſtellen zu
können, ſo das Leben pelagiſcher Thiere, die Korallenbauten u. ähnl.
Der Stand der Zoologie veranlaßte es daher, daß ſich allmählich ein
immer geſteigertes Intereſſe an die zoologiſche Ausbeute größerer Reiſen
knüpfte, obſchon nur darauf aufmerkſam gemacht zu werden braucht,
daß ſich die Umgeſtaltung in der Geſammtauffaſſung des Thierreichs,
die Einführung der Typen durch Cuvier, ganz unabhängig von den
Reſultaten der Reiſen vollzog.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 651. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/662>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.