gewesen, so hätte schon ihm sich die ganze Wesenheit dieser Verhältnisse erschließen müssen. Ihm war nämlich der Unterschied des bewußten und unbewußten Seelenlebens allerdings aufgegangen und ganz treffend sagte er: "Das Unbewußte und Unwillkürliche im Organismus geschehe zwar auch ratione oder logo, aber nicht ratiocinio oder logismo, welche Erkenntniß ihn denn auch so erfüllte und befriedigte, daß er mit einer gewissen Verachtung auf die Physiologie seines Zeitgenossen F. Hoffmann herabblickte und selbst mit Leibnitz in entschiedene Differenzen gerieth, als welcher letztere zwar die Seele an und für sich in ihrer Immaterialität gewiß richtiger erfaßt hatte als er, allein, da ihm nun wieder ihr Verhältniß zum Organismus ferner lag, noch eine zweite Entelechie, die Kraft der Bewegung, außer der Seele, im Organismus annahm, welche Stahl allerdings verwerfen mußte, da ihm der Begriff der Ein¬ heit des Organismus einmal wahrhaft aufgegangen und deutlich geworden war.
a.Vom Wesen der ersten Bildungsvorgänge des menschlichen Organismus.
Ein wahres Unheil, welches der Psychologie daraus erwuchs, daß in neuerer Zeit größtentheils Männer mit ihrer Bearbeitung sich beschäftigten, welche von den Bil¬ dungsvorgängen und dem Leben des Organismus gar keine oder nur höchst unvollkommene, aus Büchern geschöpfte Begriffe hatten, lag darin, daß, wenn sie sich darüber deutlich machen wollten, was sie das Verhältniß von Seele und Körper nannten, ihnen immer nur ein ungefähres Bild von der gesammten gegliederten Mannichfaltigkeit des erwachsenen Leibes vorschwebte, und daß sie ganz der rechten Vorstellung seiner einfachsten frühesten Verhältnisse
geweſen, ſo hätte ſchon ihm ſich die ganze Weſenheit dieſer Verhältniſſe erſchließen müſſen. Ihm war nämlich der Unterſchied des bewußten und unbewußten Seelenlebens allerdings aufgegangen und ganz treffend ſagte er: „Das Unbewußte und Unwillkürliche im Organismus geſchehe zwar auch ratione oder λόγω, aber nicht ratiocinio oder λόγιςμῷ‚ welche Erkenntniß ihn denn auch ſo erfüllte und befriedigte, daß er mit einer gewiſſen Verachtung auf die Phyſiologie ſeines Zeitgenoſſen F. Hoffmann herabblickte und ſelbſt mit Leibnitz in entſchiedene Differenzen gerieth, als welcher letztere zwar die Seele an und für ſich in ihrer Immaterialität gewiß richtiger erfaßt hatte als er, allein, da ihm nun wieder ihr Verhältniß zum Organismus ferner lag, noch eine zweite Entelechie, die Kraft der Bewegung, außer der Seele, im Organismus annahm, welche Stahl allerdings verwerfen mußte, da ihm der Begriff der Ein¬ heit des Organismus einmal wahrhaft aufgegangen und deutlich geworden war.
a.Vom Weſen der erſten Bildungsvorgänge des menſchlichen Organismus.
Ein wahres Unheil, welches der Pſychologie daraus erwuchs, daß in neuerer Zeit größtentheils Männer mit ihrer Bearbeitung ſich beſchäftigten, welche von den Bil¬ dungsvorgängen und dem Leben des Organismus gar keine oder nur höchſt unvollkommene, aus Büchern geſchöpfte Begriffe hatten, lag darin, daß, wenn ſie ſich darüber deutlich machen wollten, was ſie das Verhältniß von Seele und Körper nannten, ihnen immer nur ein ungefähres Bild von der geſammten gegliederten Mannichfaltigkeit des erwachſenen Leibes vorſchwebte, und daß ſie ganz der rechten Vorſtellung ſeiner einfachſten früheſten Verhältniſſe
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geweſen, ſo hätte ſchon ihm ſich die ganze Weſenheit dieſer
Verhältniſſe erſchließen müſſen. Ihm war nämlich der
Unterſchied des bewußten und unbewußten Seelenlebens
allerdings aufgegangen und ganz treffend ſagte er: „Das
Unbewußte und Unwillkürliche im Organismus geſchehe
zwar auch ratione oder λόγω, aber nicht ratiocinio oder
λόγιςμῷ‚ welche Erkenntniß ihn denn auch ſo erfüllte und
befriedigte, daß er mit einer gewiſſen Verachtung auf die
Phyſiologie ſeines Zeitgenoſſen F. Hoffmann herabblickte
und ſelbſt mit Leibnitz in entſchiedene Differenzen gerieth,
als welcher letztere zwar die Seele an und für ſich in ihrer
Immaterialität gewiß richtiger erfaßt hatte als er, allein,
da ihm nun wieder ihr Verhältniß zum Organismus ferner
lag, noch eine zweite Entelechie, die Kraft der Bewegung,
außer der Seele, im Organismus annahm, welche Stahl
allerdings verwerfen mußte, da ihm der Begriff der Ein¬
heit des Organismus einmal wahrhaft aufgegangen und
deutlich geworden war.
a. Vom Weſen der erſten Bildungsvorgänge des menſchlichen
Organismus.
Ein wahres Unheil, welches der Pſychologie daraus
erwuchs, daß in neuerer Zeit größtentheils Männer mit
ihrer Bearbeitung ſich beſchäftigten, welche von den Bil¬
dungsvorgängen und dem Leben des Organismus gar keine
oder nur höchſt unvollkommene, aus Büchern geſchöpfte
Begriffe hatten, lag darin, daß, wenn ſie ſich darüber
deutlich machen wollten, was ſie das Verhältniß von Seele
und Körper nannten, ihnen immer nur ein ungefähres
Bild von der geſammten gegliederten Mannichfaltigkeit des
erwachſenen Leibes vorſchwebte, und daß ſie ganz der
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/36>, abgerufen am 23.11.2024.
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