Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.fort und fort durch jene bestimmt und angeregt, doch durch¬ a. Zur Geschichte der Gefühle. Wie es gewisse zarte Gebilde unsers leiblichen Orga¬ 1 Zu diesen Gebilden gehören z. B. namentlich jene feinsten Pri¬
mitivfasern im Rückenmark und Hirn, welche nur durch sorgfältigste Be¬ handlung unter dem Mikroskope, und nur wenig Stunden nach dem Tode sichtbar gemacht werden können, und welche deßhalb, nachdem man sich Jahrhunderte mit Anatomie beschäftigt hatte, erst in dem neuesten Zeiten entdeckt wurden. fort und fort durch jene beſtimmt und angeregt, doch durch¬ α. Zur Geſchichte der Gefühle. Wie es gewiſſe zarte Gebilde unſers leiblichen Orga¬ 1 Zu dieſen Gebilden gehören z. B. namentlich jene feinſten Pri¬
mitivfaſern im Rückenmark und Hirn, welche nur durch ſorgfältigſte Be¬ handlung unter dem Mikroſkope, und nur wenig Stunden nach dem Tode ſichtbar gemacht werden können, und welche deßhalb, nachdem man ſich Jahrhunderte mit Anatomie beſchäftigt hatte, erſt in dem neueſten Zeiten entdeckt wurden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0281" n="265"/> fort und fort durch jene beſtimmt und angeregt, doch durch¬<lb/> aus als eine eigenthümliche Strahlung des Seelenlebens<lb/> ſich darſtellt. Dieſer <hi rendition="#g">Wille</hi>, welcher zuerſt als <hi rendition="#g">Willkür</hi><lb/> ſich ankündigt und zuhöchſt zur <hi rendition="#g">Freiheit der That</hi> er¬<lb/> wächst, er wirkt am wenigſten im Bereiche des Gefühls,<lb/> welches, wie geſagt, das in ſich Nothwendige und Unwill¬<lb/> kürliche aus der Nacht des abſoluten Unbewußtſeins mit<lb/> herübernimmt, dagegen durchdringt und beſtimmt er die<lb/> Sphäre der Erkenntniß durch und durch. Wenn wir daher<lb/> bedenken, daß alles Denken nur dadurch bedingt wird, daß<lb/> die Vorſtellungsreihen nach dem Lichte des ſelbſtbewußten<lb/> Geiſtes <hi rendition="#g">willkürlich</hi> und <hi rendition="#g">mit Freiheit</hi> aufgerufen und<lb/> in ihrer Folge beſtimmt werden, ſo darf man allerdings<lb/> den Willen und ſein Freiſein in ſo fern eben ſo als weſent¬<lb/> lichſte Bedingung aller Erkenntniß bezeichnen wie das Er¬<lb/> kennen wieder das Beſtimmende abgeben muß, um <hi rendition="#g">die<lb/> Wahl</hi> im Willen möglich zu machen. Doch ſo weit von<lb/> den Unterſcheidungen dieſer Strahlungen im Allgemeinen!<lb/> die Geſchichte der Seele hat nun die Aufgabe jeglicher ein¬<lb/> zelnen ins Beſondere nachzugehen.</p><lb/> <div n="3"> <head>α. <hi rendition="#g">Zur Geſchichte der Gefühle</hi>.<lb/></head> <p>Wie es gewiſſe zarte Gebilde unſers leiblichen Orga¬<lb/> nismus gibt, welche nur im ganz friſchen Zuſtande, und<lb/> nur bei der allerſchonendſten Behandlung dem Auge ſichtbar<lb/> gemacht werden können, während jeder Verſuch ſie als ab¬<lb/> geſtorbene länger noch aufzubewahren ſcheitert und jede rohere<lb/> quetſchende Behandlung ſie augenblicklich zerſtört, <note place="foot" n="1">Zu dieſen Gebilden gehören z. B. namentlich jene feinſten Pri¬<lb/> mitivfaſern im Rückenmark und Hirn, welche nur durch ſorgfältigſte Be¬<lb/> handlung unter dem Mikroſkope, und nur wenig Stunden nach dem Tode<lb/> ſichtbar gemacht werden können, und welche deßhalb, nachdem man ſich<lb/> Jahrhunderte mit Anatomie beſchäftigt hatte, erſt in dem neueſten Zeiten<lb/> entdeckt wurden.</note> ſo unge¬<lb/> fähr iſt es im Leben der Seele mit der Welt der Gefühle,<lb/> deren Eigenthümlichkeit auch nur bei einer gewiſſen Unmit¬<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [265/0281]
fort und fort durch jene beſtimmt und angeregt, doch durch¬
aus als eine eigenthümliche Strahlung des Seelenlebens
ſich darſtellt. Dieſer Wille, welcher zuerſt als Willkür
ſich ankündigt und zuhöchſt zur Freiheit der That er¬
wächst, er wirkt am wenigſten im Bereiche des Gefühls,
welches, wie geſagt, das in ſich Nothwendige und Unwill¬
kürliche aus der Nacht des abſoluten Unbewußtſeins mit
herübernimmt, dagegen durchdringt und beſtimmt er die
Sphäre der Erkenntniß durch und durch. Wenn wir daher
bedenken, daß alles Denken nur dadurch bedingt wird, daß
die Vorſtellungsreihen nach dem Lichte des ſelbſtbewußten
Geiſtes willkürlich und mit Freiheit aufgerufen und
in ihrer Folge beſtimmt werden, ſo darf man allerdings
den Willen und ſein Freiſein in ſo fern eben ſo als weſent¬
lichſte Bedingung aller Erkenntniß bezeichnen wie das Er¬
kennen wieder das Beſtimmende abgeben muß, um die
Wahl im Willen möglich zu machen. Doch ſo weit von
den Unterſcheidungen dieſer Strahlungen im Allgemeinen!
die Geſchichte der Seele hat nun die Aufgabe jeglicher ein¬
zelnen ins Beſondere nachzugehen.
α. Zur Geſchichte der Gefühle.
Wie es gewiſſe zarte Gebilde unſers leiblichen Orga¬
nismus gibt, welche nur im ganz friſchen Zuſtande, und
nur bei der allerſchonendſten Behandlung dem Auge ſichtbar
gemacht werden können, während jeder Verſuch ſie als ab¬
geſtorbene länger noch aufzubewahren ſcheitert und jede rohere
quetſchende Behandlung ſie augenblicklich zerſtört, 1 ſo unge¬
fähr iſt es im Leben der Seele mit der Welt der Gefühle,
deren Eigenthümlichkeit auch nur bei einer gewiſſen Unmit¬
1 Zu dieſen Gebilden gehören z. B. namentlich jene feinſten Pri¬
mitivfaſern im Rückenmark und Hirn, welche nur durch ſorgfältigſte Be¬
handlung unter dem Mikroſkope, und nur wenig Stunden nach dem Tode
ſichtbar gemacht werden können, und welche deßhalb, nachdem man ſich
Jahrhunderte mit Anatomie beſchäftigt hatte, erſt in dem neueſten Zeiten
entdeckt wurden.
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