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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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unter mehrern Gelegenheiten zum Nestanlegen eine die ihm
passender vorkommt, so folgt der Hund nicht dem Rufe der
einen ihm minder bekannten Person und folgt aufs Ge¬
naueste dem Rufe einer andern u. s. w. Wie gesagt aber,
diese Willkür verschwindet ebenfalls mehr und mehr, je
tiefer wir in der Reihe der Thiere herabsteigen. Auf den
tiefsten Stufen entscheidet immer der augenblickliche Reiz
auch unmittelbar über das Thun, und wie die eine Pflanze
ihre Blüthe öffnet wenn Sonnenlicht einfällt, während die
andre im Sonnenlicht sich schließt, oder wie in uns selbst
der Muskel zuckt auf den galvanischen Reiz, so bestimmt
und unwillkürlich zieht der Polyp sich auf Berührung zu¬
sammen, schließt die Muschel ihre Schale, bohrt die Pholade
ihre Steinhöhle, fliegt die Motte nach dem Lichte u. s. w.
Es gehört eine sehr feine Beobachtung dazu um auch
diese Seite der psychischen Entwicklung in der Thierheit
ausführlich und in all ihren mannichfaltigen Nuancen zu
verfolgen, indeß glauben wir, daß einstweilen die gegebe¬
nen Andeutungen wohl hinreichen könnten um ein allgemei¬
nes Bild davon zu erhalten, wie diejenige Entwicklung des
bewußten Seelenlebens, deren das Thier überhaupt fähig
ist, aus dem Unbewußten hervor allmählig sich vollende.
Es ist daher nun zu andern Betrachtungen überzugehen.

2. Von Heranbildung der Seele und des Geistes im Kinde.

Wie man hie und da bei der morphologischen Ent¬
wicklungsgeschichte des Thierreichs und des Menschen dem
Irrthume nachgegeben hatte, daß die Gestalt der höhern
Thiere und des Menschen selbst, in ihrer allmähligen Aus¬
bildung, wahrhaft durch alle die verschiedenen Bildungs¬
stufen der niedern Thiere hindurchgehe, daß sie als Infu¬
sorium anfange, dann Mollusk, dann Wurm und Fisch
werde u. s. w., so hat man zuweilen wohl auch bei Betrach¬
tung der seelischen Entwicklung des Menschen die Ansicht
verfolgt, als sei das erste Seelenleben des Fötus oder

unter mehrern Gelegenheiten zum Neſtanlegen eine die ihm
paſſender vorkommt, ſo folgt der Hund nicht dem Rufe der
einen ihm minder bekannten Perſon und folgt aufs Ge¬
naueſte dem Rufe einer andern u. ſ. w. Wie geſagt aber,
dieſe Willkür verſchwindet ebenfalls mehr und mehr, je
tiefer wir in der Reihe der Thiere herabſteigen. Auf den
tiefſten Stufen entſcheidet immer der augenblickliche Reiz
auch unmittelbar über das Thun, und wie die eine Pflanze
ihre Blüthe öffnet wenn Sonnenlicht einfällt, während die
andre im Sonnenlicht ſich ſchließt, oder wie in uns ſelbſt
der Muskel zuckt auf den galvaniſchen Reiz, ſo beſtimmt
und unwillkürlich zieht der Polyp ſich auf Berührung zu¬
ſammen, ſchließt die Muſchel ihre Schale, bohrt die Pholade
ihre Steinhöhle, fliegt die Motte nach dem Lichte u. ſ. w.
Es gehört eine ſehr feine Beobachtung dazu um auch
dieſe Seite der pſychiſchen Entwicklung in der Thierheit
ausführlich und in all ihren mannichfaltigen Nuancen zu
verfolgen, indeß glauben wir, daß einſtweilen die gegebe¬
nen Andeutungen wohl hinreichen könnten um ein allgemei¬
nes Bild davon zu erhalten, wie diejenige Entwicklung des
bewußten Seelenlebens, deren das Thier überhaupt fähig
iſt, aus dem Unbewußten hervor allmählig ſich vollende.
Es iſt daher nun zu andern Betrachtungen überzugehen.

2. Von Heranbildung der Seele und des Geiſtes im Kinde.

Wie man hie und da bei der morphologiſchen Ent¬
wicklungsgeſchichte des Thierreichs und des Menſchen dem
Irrthume nachgegeben hatte, daß die Geſtalt der höhern
Thiere und des Menſchen ſelbſt, in ihrer allmähligen Aus¬
bildung, wahrhaft durch alle die verſchiedenen Bildungs¬
ſtufen der niedern Thiere hindurchgehe, daß ſie als Infu¬
ſorium anfange, dann Mollusk, dann Wurm und Fiſch
werde u. ſ. w., ſo hat man zuweilen wohl auch bei Betrach¬
tung der ſeeliſchen Entwicklung des Menſchen die Anſicht
verfolgt, als ſei das erſte Seelenleben des Fötus oder

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[149/0165] unter mehrern Gelegenheiten zum Neſtanlegen eine die ihm paſſender vorkommt, ſo folgt der Hund nicht dem Rufe der einen ihm minder bekannten Perſon und folgt aufs Ge¬ naueſte dem Rufe einer andern u. ſ. w. Wie geſagt aber, dieſe Willkür verſchwindet ebenfalls mehr und mehr, je tiefer wir in der Reihe der Thiere herabſteigen. Auf den tiefſten Stufen entſcheidet immer der augenblickliche Reiz auch unmittelbar über das Thun, und wie die eine Pflanze ihre Blüthe öffnet wenn Sonnenlicht einfällt, während die andre im Sonnenlicht ſich ſchließt, oder wie in uns ſelbſt der Muskel zuckt auf den galvaniſchen Reiz, ſo beſtimmt und unwillkürlich zieht der Polyp ſich auf Berührung zu¬ ſammen, ſchließt die Muſchel ihre Schale, bohrt die Pholade ihre Steinhöhle, fliegt die Motte nach dem Lichte u. ſ. w. Es gehört eine ſehr feine Beobachtung dazu um auch dieſe Seite der pſychiſchen Entwicklung in der Thierheit ausführlich und in all ihren mannichfaltigen Nuancen zu verfolgen, indeß glauben wir, daß einſtweilen die gegebe¬ nen Andeutungen wohl hinreichen könnten um ein allgemei¬ nes Bild davon zu erhalten, wie diejenige Entwicklung des bewußten Seelenlebens, deren das Thier überhaupt fähig iſt, aus dem Unbewußten hervor allmählig ſich vollende. Es iſt daher nun zu andern Betrachtungen überzugehen. 2. Von Heranbildung der Seele und des Geiſtes im Kinde. Wie man hie und da bei der morphologiſchen Ent¬ wicklungsgeſchichte des Thierreichs und des Menſchen dem Irrthume nachgegeben hatte, daß die Geſtalt der höhern Thiere und des Menſchen ſelbſt, in ihrer allmähligen Aus¬ bildung, wahrhaft durch alle die verſchiedenen Bildungs¬ ſtufen der niedern Thiere hindurchgehe, daß ſie als Infu¬ ſorium anfange, dann Mollusk, dann Wurm und Fiſch werde u. ſ. w., ſo hat man zuweilen wohl auch bei Betrach¬ tung der ſeeliſchen Entwicklung des Menſchen die Anſicht verfolgt, als ſei das erſte Seelenleben des Fötus oder

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/165>, abgerufen am 21.11.2024.