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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820.

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ein Theil eines größeren individuellen Organismus ist, die
Selbstbestimmung mangelt, er somit, da ihm diese eigentlich
den Thierkörper charakterisirende Eigenthümlichkeit abgeht,
mehr der Pflanze genähert scheint. Hieraus nun ergeben
sich ferner als wichtige Folgerungen, daß, wenn der Fetus
einmal der wesentlichen Bedeutung nach (selbst seiner man-
gelnden Locomotivität nach) Pflanzen ähnlich erscheint, auch
seine einzelnen Funktionen sich denen der Pflanzen verwandt
zeigen müssen. Wie nun aber in der Pflanze alles auf
Bildung, Wachsthum, Ausscheidung u. s. w. hinweist, und
wie dagegen die höhere Seite des Lebens noch im tiefen
Schlafe zu liegen scheint, so ist auch das Leben des Fetus
fast nichts als produktive Thätigkeit, und sein Zustand,
rücksichtlich der höhern menschlichen Vermögen, ein tiefer
Schlaf mit Recht zu nennen.

§. 731.

Besondere Funktionen des Fetus. 1) Stoff-
aufnahme, Ernährung
. Schon oben haben wir drei
Wege kennen lernen, durch welche die Ernährung des Fetus
von Statten gehen kann, den Mutterkuchen nämlich, die
Oberhaut und den Darmkanal; physiologisch betrachtet fallen
indeß alle drei zusammen, denn Kind und Eihäute wie Mut-
terkuchen sind ja eigentlich nur ein Ganzes, und mag nun
für das Wachsthum des Kindes insbesondere, der Stoff mehr
durch das im Nabelstrange zurückfließende Blut hergegeben
werden, oder durch das in Haut und Darm eindringende
Fruchtwasser, immer müssen es zuerst die Flocken der äußern
Fläche des Eies überhaupt seyn, welche, wie die Wurzeln
der Pflanzen aus der Erde, so aus der innern flockigen
Wand des Uterns ernährende Säfte anziehen. Daß übrigens
diese Ernährung aus mehr vorbereiteten Säften und also un-
mittelbarer geschieht, ist die Ursache davon, daß die peri-
staltischen Bewegungen des Darmkanals im Fetus noch so
schwach sind, daß keine Darmausleerungen erfolgen.


ein Theil eines groͤßeren individuellen Organismus iſt, die
Selbſtbeſtimmung mangelt, er ſomit, da ihm dieſe eigentlich
den Thierkoͤrper charakteriſirende Eigenthuͤmlichkeit abgeht,
mehr der Pflanze genaͤhert ſcheint. Hieraus nun ergeben
ſich ferner als wichtige Folgerungen, daß, wenn der Fetus
einmal der weſentlichen Bedeutung nach (ſelbſt ſeiner man-
gelnden Locomotivitaͤt nach) Pflanzen aͤhnlich erſcheint, auch
ſeine einzelnen Funktionen ſich denen der Pflanzen verwandt
zeigen muͤſſen. Wie nun aber in der Pflanze alles auf
Bildung, Wachsthum, Ausſcheidung u. ſ. w. hinweiſt, und
wie dagegen die hoͤhere Seite des Lebens noch im tiefen
Schlafe zu liegen ſcheint, ſo iſt auch das Leben des Fetus
faſt nichts als produktive Thaͤtigkeit, und ſein Zuſtand,
ruͤckſichtlich der hoͤhern menſchlichen Vermoͤgen, ein tiefer
Schlaf mit Recht zu nennen.

§. 731.

Beſondere Funktionen des Fetus. 1) Stoff-
aufnahme, Ernaͤhrung
. Schon oben haben wir drei
Wege kennen lernen, durch welche die Ernaͤhrung des Fetus
von Statten gehen kann, den Mutterkuchen naͤmlich, die
Oberhaut und den Darmkanal; phyſiologiſch betrachtet fallen
indeß alle drei zuſammen, denn Kind und Eihaͤute wie Mut-
terkuchen ſind ja eigentlich nur ein Ganzes, und mag nun
fuͤr das Wachsthum des Kindes insbeſondere, der Stoff mehr
durch das im Nabelſtrange zuruͤckfließende Blut hergegeben
werden, oder durch das in Haut und Darm eindringende
Fruchtwaſſer, immer muͤſſen es zuerſt die Flocken der aͤußern
Flaͤche des Eies uͤberhaupt ſeyn, welche, wie die Wurzeln
der Pflanzen aus der Erde, ſo aus der innern flockigen
Wand des Uterns ernaͤhrende Saͤfte anziehen. Daß uͤbrigens
dieſe Ernaͤhrung aus mehr vorbereiteten Saͤften und alſo un-
mittelbarer geſchieht, iſt die Urſache davon, daß die peri-
ſtaltiſchen Bewegungen des Darmkanals im Fetus noch ſo
ſchwach ſind, daß keine Darmausleerungen erfolgen.


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[54/0076] ein Theil eines groͤßeren individuellen Organismus iſt, die Selbſtbeſtimmung mangelt, er ſomit, da ihm dieſe eigentlich den Thierkoͤrper charakteriſirende Eigenthuͤmlichkeit abgeht, mehr der Pflanze genaͤhert ſcheint. Hieraus nun ergeben ſich ferner als wichtige Folgerungen, daß, wenn der Fetus einmal der weſentlichen Bedeutung nach (ſelbſt ſeiner man- gelnden Locomotivitaͤt nach) Pflanzen aͤhnlich erſcheint, auch ſeine einzelnen Funktionen ſich denen der Pflanzen verwandt zeigen muͤſſen. Wie nun aber in der Pflanze alles auf Bildung, Wachsthum, Ausſcheidung u. ſ. w. hinweiſt, und wie dagegen die hoͤhere Seite des Lebens noch im tiefen Schlafe zu liegen ſcheint, ſo iſt auch das Leben des Fetus faſt nichts als produktive Thaͤtigkeit, und ſein Zuſtand, ruͤckſichtlich der hoͤhern menſchlichen Vermoͤgen, ein tiefer Schlaf mit Recht zu nennen. §. 731. Beſondere Funktionen des Fetus. 1) Stoff- aufnahme, Ernaͤhrung. Schon oben haben wir drei Wege kennen lernen, durch welche die Ernaͤhrung des Fetus von Statten gehen kann, den Mutterkuchen naͤmlich, die Oberhaut und den Darmkanal; phyſiologiſch betrachtet fallen indeß alle drei zuſammen, denn Kind und Eihaͤute wie Mut- terkuchen ſind ja eigentlich nur ein Ganzes, und mag nun fuͤr das Wachsthum des Kindes insbeſondere, der Stoff mehr durch das im Nabelſtrange zuruͤckfließende Blut hergegeben werden, oder durch das in Haut und Darm eindringende Fruchtwaſſer, immer muͤſſen es zuerſt die Flocken der aͤußern Flaͤche des Eies uͤberhaupt ſeyn, welche, wie die Wurzeln der Pflanzen aus der Erde, ſo aus der innern flockigen Wand des Uterns ernaͤhrende Saͤfte anziehen. Daß uͤbrigens dieſe Ernaͤhrung aus mehr vorbereiteten Saͤften und alſo un- mittelbarer geſchieht, iſt die Urſache davon, daß die peri- ſtaltiſchen Bewegungen des Darmkanals im Fetus noch ſo ſchwach ſind, daß keine Darmausleerungen erfolgen.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820/76>, abgerufen am 21.11.2024.