3. Athmung, d. i. Wechselwirkung des thierischen Orga- nismus mit der Atmosphäre entweder mittelbar oder unmittel- bar, fehlt selbst in den Thieren nicht, wo wir noch beson- dere Athmungswerkzeuge nicht nachweisen können, wo aber irgend die Organisation in sich höher entwickelt ist, da sind auch besondere Athmungswerkzeuge durchgängig entwickelt. Gegen diese allgemeine Ordnung aber würde es allerdings streiten, wenn in dem so vollkommen organisirten Fetus des Menschen diese Funktion noch gänzlich mangeln sollte, nicht zu gedenken, daß es ein großer Sprung wäre, (wie er nir- gends im natürlichen Gange des thierischen Lebens vorkommt) wenn diese große Funktion erst bei der Geburt mit einem Schlage eintreten, und nicht durch einen vorhergehenden, wenn auch verschiedenartigen Proceß eingeleitet seyn sollte. 4) Ist denn wohl überhaupt eine Blutbereitung (Sangui- ficatio) ohne Athmung denkbar? -- Alle Physiologie streitet dawider, und im Fetus der Säugthiere allein sollte dieß demungeachtet Statt finden? --
§. 704.
5) Spricht selbst die Art des Wachsthums im Embryo dafür; wir können nämlich bemerken, wie namentlich die obere Körperhälfte und insbesondere der Kopf sehr früh und vollkommen sich ausbildet, und dürfen wohl annehmen, daß eine raschere und höhere Ausbildung namentlich durch ein wahrhaft arterielles d. i. oxydirtes Blut befördert werden könne. Nun ist aber die Richtung des Kreislaufs im Fetus allerdings so, daß das Blut der Nabelvene vorzüglich gegen den Kopf strömt, indem die aufsteigende Hohlader (Vena cava inferior) ursprünglich als ein fortlaufender Kanal ge- rade in die linke Vorkammer übergeht *), ihr Blut also
*) Zuerst nämlich existirt nur linke Vorkammer und Kammer und späterhin bildet sich erst das rechte Herz an. Daher ist das was späterhin foramen ovale wird, anfänglich ein Kanal.
§. 703.
3. Athmung, d. i. Wechſelwirkung des thieriſchen Orga- nismus mit der Atmosphaͤre entweder mittelbar oder unmittel- bar, fehlt ſelbſt in den Thieren nicht, wo wir noch beſon- dere Athmungswerkzeuge nicht nachweiſen koͤnnen, wo aber irgend die Organiſation in ſich hoͤher entwickelt iſt, da ſind auch beſondere Athmungswerkzeuge durchgaͤngig entwickelt. Gegen dieſe allgemeine Ordnung aber wuͤrde es allerdings ſtreiten, wenn in dem ſo vollkommen organiſirten Fetus des Menſchen dieſe Funktion noch gaͤnzlich mangeln ſollte, nicht zu gedenken, daß es ein großer Sprung waͤre, (wie er nir- gends im natuͤrlichen Gange des thieriſchen Lebens vorkommt) wenn dieſe große Funktion erſt bei der Geburt mit einem Schlage eintreten, und nicht durch einen vorhergehenden, wenn auch verſchiedenartigen Proceß eingeleitet ſeyn ſollte. 4) Iſt denn wohl uͤberhaupt eine Blutbereitung (Sangui- ficatio) ohne Athmung denkbar? — Alle Phyſiologie ſtreitet dawider, und im Fetus der Saͤugthiere allein ſollte dieß demungeachtet Statt finden? —
§. 704.
5) Spricht ſelbſt die Art des Wachsthums im Embryo dafuͤr; wir koͤnnen naͤmlich bemerken, wie namentlich die obere Koͤrperhaͤlfte und insbeſondere der Kopf ſehr fruͤh und vollkommen ſich ausbildet, und duͤrfen wohl annehmen, daß eine raſchere und hoͤhere Ausbildung namentlich durch ein wahrhaft arterielles d. i. oxydirtes Blut befoͤrdert werden koͤnne. Nun iſt aber die Richtung des Kreislaufs im Fetus allerdings ſo, daß das Blut der Nabelvene vorzuͤglich gegen den Kopf ſtroͤmt, indem die aufſteigende Hohlader (Vena cava inferior) urſpruͤnglich als ein fortlaufender Kanal ge- rade in die linke Vorkammer uͤbergeht *), ihr Blut alſo
*) Zuerſt naͤmlich exiſtirt nur linke Vorkammer und Kammer und ſpaͤterhin bildet ſich erſt das rechte Herz an. Daher iſt das was ſpaͤterhin foramen ovale wird, anfaͤnglich ein Kanal.
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§. 703.
3. Athmung, d. i. Wechſelwirkung des thieriſchen Orga-
nismus mit der Atmosphaͤre entweder mittelbar oder unmittel-
bar, fehlt ſelbſt in den Thieren nicht, wo wir noch beſon-
dere Athmungswerkzeuge nicht nachweiſen koͤnnen, wo aber
irgend die Organiſation in ſich hoͤher entwickelt iſt, da ſind
auch beſondere Athmungswerkzeuge durchgaͤngig entwickelt.
Gegen dieſe allgemeine Ordnung aber wuͤrde es allerdings
ſtreiten, wenn in dem ſo vollkommen organiſirten Fetus des
Menſchen dieſe Funktion noch gaͤnzlich mangeln ſollte, nicht
zu gedenken, daß es ein großer Sprung waͤre, (wie er nir-
gends im natuͤrlichen Gange des thieriſchen Lebens vorkommt)
wenn dieſe große Funktion erſt bei der Geburt mit einem
Schlage eintreten, und nicht durch einen vorhergehenden,
wenn auch verſchiedenartigen Proceß eingeleitet ſeyn ſollte.
4) Iſt denn wohl uͤberhaupt eine Blutbereitung (Sangui-
ficatio) ohne Athmung denkbar? — Alle Phyſiologie ſtreitet
dawider, und im Fetus der Saͤugthiere allein ſollte dieß
demungeachtet Statt finden? —
§. 704.
5) Spricht ſelbſt die Art des Wachsthums im Embryo
dafuͤr; wir koͤnnen naͤmlich bemerken, wie namentlich die
obere Koͤrperhaͤlfte und insbeſondere der Kopf ſehr fruͤh und
vollkommen ſich ausbildet, und duͤrfen wohl annehmen, daß
eine raſchere und hoͤhere Ausbildung namentlich durch ein
wahrhaft arterielles d. i. oxydirtes Blut befoͤrdert werden
koͤnne. Nun iſt aber die Richtung des Kreislaufs im Fetus
allerdings ſo, daß das Blut der Nabelvene vorzuͤglich gegen
den Kopf ſtroͤmt, indem die aufſteigende Hohlader (Vena
cava inferior) urſpruͤnglich als ein fortlaufender Kanal ge-
rade in die linke Vorkammer uͤbergeht *), ihr Blut alſo
*) Zuerſt naͤmlich exiſtirt nur linke Vorkammer und Kammer und
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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820/61>, abgerufen am 21.11.2024.
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