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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820.

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zur Wirklichkeit werde, und unter welchen Umständen dieß
der Fall sey, ist Sache der unbefangenen Beobachtung. Ver-
nunftwidrig ist nun aber die Annahme einer Störung im
Fortbilden des Embryo durch eine gewaltsame Aufregung des
geistigen Bildungsvermögens d. i. der Phantasie, im mütter-
lichen Körper, eben so wenig, als es das Fortpflanzen väter-
licher Eigenthümlichkeit auf den vom Vater nicht einmal ma-
teriellen Bildungsstoff
aufnehmenden Embryo genannt
werden kann; beides hat freilich für uns noch manches Un-
begreifliche, demungeachtet ist das Letztere durch Beobachtung
erwiesen, und das Erstere wenigstens wahrscheinlich gemacht.

§. 1124.

Ueber das wirklich Statt finden könnende Verfehen wird
also dereinst blos durch Prüfung der Thatsachen entschieden
werden können, und eine Vorausbestimmung, hier nur so oder
so weit mit seinem Glauben an die Sache gehen zu wollen,
ist gänzlich unstatthaft. -- Nun braucht es aber nur einen
Blick auf die Masse der Erzählungen vom Versehen, um sich
zu überzeugen, daß hier wie in so Vieles andere der Natur-
wissenschaft, eine Menge Fabeln und Aberglauben mit einge-
mischt sey, es stellen sich aber dagegen auch viele Thatsachen
dem unbefangenen Auge dar, wo man entweder achtbare
Männer der Unwahrheit zeihen, oder gestehen muß, daß aus-
ser auf diese Weise nicht füglich irgend eine Erklärung der
Thatsache möglich bleibe. -- Daß man daher Schwangern
selbst die Nichtigkeit eines solchen Versehens, um ihre Ge-
müthsrnhe nach ungewöhnlichen Anblicken u. s. w. zu erhal-
ten, vorstelle, ist gar nicht zu tadeln, allein die Möglichkeit
und die je wirklich Statt gehabte Einwirkung solcher Art
mit einer raschen Entscheidung zu leugnen, kann auf keine
Weise Beifall verdienen.

Anmerkung. Eine große Menge von ältern Fällen ei-
nes solchen Versehens sehe man (freilich ohne hinläng-
liche Kritik) gesammelt von Dr. H. G. Wustnei in

zur Wirklichkeit werde, und unter welchen Umſtaͤnden dieß
der Fall ſey, iſt Sache der unbefangenen Beobachtung. Ver-
nunftwidrig iſt nun aber die Annahme einer Stoͤrung im
Fortbilden des Embryo durch eine gewaltſame Aufregung des
geiſtigen Bildungsvermoͤgens d. i. der Phantaſie, im muͤtter-
lichen Koͤrper, eben ſo wenig, als es das Fortpflanzen vaͤter-
licher Eigenthuͤmlichkeit auf den vom Vater nicht einmal ma-
teriellen Bildungsſtoff
aufnehmenden Embryo genannt
werden kann; beides hat freilich fuͤr uns noch manches Un-
begreifliche, demungeachtet iſt das Letztere durch Beobachtung
erwieſen, und das Erſtere wenigſtens wahrſcheinlich gemacht.

§. 1124.

Ueber das wirklich Statt finden koͤnnende Verfehen wird
alſo dereinſt blos durch Pruͤfung der Thatſachen entſchieden
werden koͤnnen, und eine Vorausbeſtimmung, hier nur ſo oder
ſo weit mit ſeinem Glauben an die Sache gehen zu wollen,
iſt gaͤnzlich unſtatthaft. — Nun braucht es aber nur einen
Blick auf die Maſſe der Erzaͤhlungen vom Verſehen, um ſich
zu uͤberzeugen, daß hier wie in ſo Vieles andere der Natur-
wiſſenſchaft, eine Menge Fabeln und Aberglauben mit einge-
miſcht ſey, es ſtellen ſich aber dagegen auch viele Thatſachen
dem unbefangenen Auge dar, wo man entweder achtbare
Maͤnner der Unwahrheit zeihen, oder geſtehen muß, daß auſ-
ſer auf dieſe Weiſe nicht fuͤglich irgend eine Erklaͤrung der
Thatſache moͤglich bleibe. — Daß man daher Schwangern
ſelbſt die Nichtigkeit eines ſolchen Verſehens, um ihre Ge-
muͤthsrnhe nach ungewoͤhnlichen Anblicken u. ſ. w. zu erhal-
ten, vorſtelle, iſt gar nicht zu tadeln, allein die Moͤglichkeit
und die je wirklich Statt gehabte Einwirkung ſolcher Art
mit einer raſchen Entſcheidung zu leugnen, kann auf keine
Weiſe Beifall verdienen.

Anmerkung. Eine große Menge von aͤltern Faͤllen ei-
nes ſolchen Verſehens ſehe man (freilich ohne hinlaͤng-
liche Kritik) geſammelt von Dr. H. G. Wuſtnei in

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[281/0305] zur Wirklichkeit werde, und unter welchen Umſtaͤnden dieß der Fall ſey, iſt Sache der unbefangenen Beobachtung. Ver- nunftwidrig iſt nun aber die Annahme einer Stoͤrung im Fortbilden des Embryo durch eine gewaltſame Aufregung des geiſtigen Bildungsvermoͤgens d. i. der Phantaſie, im muͤtter- lichen Koͤrper, eben ſo wenig, als es das Fortpflanzen vaͤter- licher Eigenthuͤmlichkeit auf den vom Vater nicht einmal ma- teriellen Bildungsſtoff aufnehmenden Embryo genannt werden kann; beides hat freilich fuͤr uns noch manches Un- begreifliche, demungeachtet iſt das Letztere durch Beobachtung erwieſen, und das Erſtere wenigſtens wahrſcheinlich gemacht. §. 1124. Ueber das wirklich Statt finden koͤnnende Verfehen wird alſo dereinſt blos durch Pruͤfung der Thatſachen entſchieden werden koͤnnen, und eine Vorausbeſtimmung, hier nur ſo oder ſo weit mit ſeinem Glauben an die Sache gehen zu wollen, iſt gaͤnzlich unſtatthaft. — Nun braucht es aber nur einen Blick auf die Maſſe der Erzaͤhlungen vom Verſehen, um ſich zu uͤberzeugen, daß hier wie in ſo Vieles andere der Natur- wiſſenſchaft, eine Menge Fabeln und Aberglauben mit einge- miſcht ſey, es ſtellen ſich aber dagegen auch viele Thatſachen dem unbefangenen Auge dar, wo man entweder achtbare Maͤnner der Unwahrheit zeihen, oder geſtehen muß, daß auſ- ſer auf dieſe Weiſe nicht fuͤglich irgend eine Erklaͤrung der Thatſache moͤglich bleibe. — Daß man daher Schwangern ſelbſt die Nichtigkeit eines ſolchen Verſehens, um ihre Ge- muͤthsrnhe nach ungewoͤhnlichen Anblicken u. ſ. w. zu erhal- ten, vorſtelle, iſt gar nicht zu tadeln, allein die Moͤglichkeit und die je wirklich Statt gehabte Einwirkung ſolcher Art mit einer raſchen Entſcheidung zu leugnen, kann auf keine Weiſe Beifall verdienen. Anmerkung. Eine große Menge von aͤltern Faͤllen ei- nes ſolchen Verſehens ſehe man (freilich ohne hinlaͤng- liche Kritik) geſammelt von Dr. H. G. Wuſtnei in

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820/305>, abgerufen am 21.11.2024.