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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

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weiblicher Temperamente und Leidenſchaften beziehen, ſo iſt
auch hier das Pſychiſche ein wahrer Spiegel des Koͤrperli-
chen, ja vielmehr die ideale Seite des Organismus ſelbſt.
Wenn daher uͤberhaupt im Reiche des geiſtigen Lebens (ganz
gemaͤß den drei Richtungen oder Syſtemen im Organiſchen
der animalen Sphaͤre) unterſchieden werden kann zwiſchen
Gemuͤth (Empfindungs-, Gefuͤhlsvermoͤgen), Geiſt (Re-
flexions-, Erkenntnißvermoͤgen) und Willen (Thatkraft,
Vermoͤgen zur freien Beſtimmung), ſo wird ſich nun bereits
aus dem Vorhergegangenen abnehmen laſſen, welche Seiten
im Weibe hervorgehoben, welche weniger ausgebildet ſeyn
muͤſſen. Wenn naͤmlich im Weibe uͤberhaupt Animalitaͤt,
und folglich ſchaͤrfere Individualitaͤt ſo wie Selbſtſtaͤndigkeit
weniger vorherrſcht, ſo wird ſich dieß auch im Pſychiſchen aͤu-
ßern, und wir finden daher die Energie der Geiſteskraft im
Weibe nicht, welche dem Manne moͤglich iſt. Das eigent-
liche Feld der Wiſſenſchaft und Spekulation, die Schaͤrfe des
Urtheils, die Tiefe der maͤnnlichen Vernunft, ſind der weib-
lichen Seele unzugaͤnglich; dahingegen iſt der Geiſt des Wei-
bes feiner, ſchneller in der Auffaſſung, zur richtigen Erkennt-
niß der einzelnen und naͤheren Verhaͤltniſſe des menſchlichen
Lebens mehr geeignet, und ein gewiſſer Scharfſinn, Neigung
zur Liſt, ſo wie Fertigkeit im Uebergehen aus einer Vorſtel-
lungsreihe in die andere, iſt ihm natuͤrlich.

§. 63.

Im Gemuͤth hinwiederum iſt die groͤßere Reitzbar-
keit, die Weichheit, Lebendigkeit des Gefuͤhls, die Regſam-
keit der Phantaſie allerdings dieſem Geſchlechte charakteriſtiſch,
allein eben dieſe zu große Beweglichkeit laͤßt die Tiefe des
Gefuͤhls, die ſchoͤpferiſche Kraft der Phantaſie, welche die
Seele faͤhig macht zur Hervorbringung großer und hoher
Werke der Dichtung und bildenden Kunſt, vermiſſen. Ueber-
dieß iſt hierin die vorherrſchende Neigung zum Anmuthigen,
Zierlichen und Kleinen begruͤndet, da große und erhabene Ge-
genſtaͤnde zu gewaltſam die Seele des Weibes erſchuͤttern,
als daß ein reines Wohlgefallen hieran ihm wenigſtens ganz
natuͤrlich ſeyn koͤnnte. — Vorzuͤglich endlich werden die Aeu-

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/66>, abgerufen am 07.01.2025.