den Harnes bewerkstelligt. 4) Was endlich die Geschlechts- funktion angeht, so werden die folgenden Abschnitte dieser Schrift die einzelnen hierher gehörigen Erscheinungen so aus- führlich durchzugehen haben, daß eine besondere Erörterung derselben schon deßhalb hier überflüßig wird, und so begnügen wir uns daher jetzt nur im Allgemeinen zu bemerken, daß auch in der Reproduktion der Gattung, eben so wie in der individuellen Reproduktion, die überhaupt vorherrschende Thä- tigkeit der Stoffbildung sich deutlichst zeige, ja wie es phy- siologisch höchst merkwürdig sey, daß der Bildungsstoff, durch welchen das Weib bey der Fortpflanzung thätig ist, nicht sowohl wie beym Manne als ein abgesonderter Stoff, wie das Sperma, erscheint, sondern vielmehr durch das Blut selbst dargestellt wird, wie die Aussonderung des Blutes in der Periode nicht reger Geschlechtsthätigkeit (als Menstrua- tion), und die höchst bedeutende Anhäufung des Blutes im schwangern Uterus, Behufs der Fötusernährung beweiset.
§. 60.
Wir kommen nun zu den charakteristischen Erscheinun- gen des weiblichen Lebens, welche auf sensibele und Be- wegungssunktion, so wie auf höheres Nervenleben d. i. psy- chische Eigenthümlichkeit sich beziehen. -- Was hier aber zu- vörderst die sinnliche Wahrnehmung betrifft, so ist diese im Allgemeinen allerdings feiner zu nennen als im männlichen Körper, jedoch nicht so, daß die Reitzbarkeit und die Schärfe und Genauigkeit der Wahrnehmung in gleichem Maaße sich entwickelt zeigten. Gewiß nämlich ist das Auge des Weibes gegen helles Licht, scharf entgegengesetzte Far- ben u. s. w. empfindlicher, aber es ist weniger für unmit- telbare Auffassung richtiger Verhältnisse, großer Gesammtein- drücke u. s. w. geeignet; eben so wird das Ohr des Weibes gegen irgend einen heftigen Schall empfindlicher, für gewisse einzelne Klänge reitzbarer gefunden, dagegen ihm das scharf unterscheidende musikalische Gehör doch seltner zukommt, und es stimmt mit jener größern Reitzbarkeit (so wie selbst mit dem durch engern Gehörgang ausgezeichneten Baue des weib- lichen Ohres) allerdings überein, daß in diesem Geschlechte
den Harnes bewerkſtelligt. 4) Was endlich die Geſchlechts- funktion angeht, ſo werden die folgenden Abſchnitte dieſer Schrift die einzelnen hierher gehoͤrigen Erſcheinungen ſo aus- fuͤhrlich durchzugehen haben, daß eine beſondere Eroͤrterung derſelben ſchon deßhalb hier uͤberfluͤßig wird, und ſo begnuͤgen wir uns daher jetzt nur im Allgemeinen zu bemerken, daß auch in der Reproduktion der Gattung, eben ſo wie in der individuellen Reproduktion, die uͤberhaupt vorherrſchende Thaͤ- tigkeit der Stoffbildung ſich deutlichſt zeige, ja wie es phy- ſiologiſch hoͤchſt merkwuͤrdig ſey, daß der Bildungsſtoff, durch welchen das Weib bey der Fortpflanzung thaͤtig iſt, nicht ſowohl wie beym Manne als ein abgeſonderter Stoff, wie das Sperma, erſcheint, ſondern vielmehr durch das Blut ſelbſt dargeſtellt wird, wie die Ausſonderung des Blutes in der Periode nicht reger Geſchlechtsthaͤtigkeit (als Menſtrua- tion), und die hoͤchſt bedeutende Anhaͤufung des Blutes im ſchwangern Uterus, Behufs der Foͤtusernaͤhrung beweiſet.
§. 60.
Wir kommen nun zu den charakteriſtiſchen Erſcheinun- gen des weiblichen Lebens, welche auf ſenſibele und Be- wegungsſunktion, ſo wie auf hoͤheres Nervenleben d. i. pſy- chiſche Eigenthuͤmlichkeit ſich beziehen. — Was hier aber zu- voͤrderſt die ſinnliche Wahrnehmung betrifft, ſo iſt dieſe im Allgemeinen allerdings feiner zu nennen als im maͤnnlichen Koͤrper, jedoch nicht ſo, daß die Reitzbarkeit und die Schaͤrfe und Genauigkeit der Wahrnehmung in gleichem Maaße ſich entwickelt zeigten. Gewiß naͤmlich iſt das Auge des Weibes gegen helles Licht, ſcharf entgegengeſetzte Far- ben u. ſ. w. empfindlicher, aber es iſt weniger fuͤr unmit- telbare Auffaſſung richtiger Verhaͤltniſſe, großer Geſammtein- druͤcke u. ſ. w. geeignet; eben ſo wird das Ohr des Weibes gegen irgend einen heftigen Schall empfindlicher, fuͤr gewiſſe einzelne Klaͤnge reitzbarer gefunden, dagegen ihm das ſcharf unterſcheidende muſikaliſche Gehoͤr doch ſeltner zukommt, und es ſtimmt mit jener groͤßern Reitzbarkeit (ſo wie ſelbſt mit dem durch engern Gehoͤrgang ausgezeichneten Baue des weib- lichen Ohres) allerdings uͤberein, daß in dieſem Geſchlechte
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den Harnes bewerkſtelligt. 4) Was endlich die Geſchlechts-
funktion angeht, ſo werden die folgenden Abſchnitte dieſer
Schrift die einzelnen hierher gehoͤrigen Erſcheinungen ſo aus-
fuͤhrlich durchzugehen haben, daß eine beſondere Eroͤrterung
derſelben ſchon deßhalb hier uͤberfluͤßig wird, und ſo begnuͤgen
wir uns daher jetzt nur im Allgemeinen zu bemerken, daß
auch in der Reproduktion der Gattung, eben ſo wie in der
individuellen Reproduktion, die uͤberhaupt vorherrſchende Thaͤ-
tigkeit der Stoffbildung ſich deutlichſt zeige, ja wie es phy-
ſiologiſch hoͤchſt merkwuͤrdig ſey, daß der Bildungsſtoff, durch
welchen das Weib bey der Fortpflanzung thaͤtig iſt, nicht
ſowohl wie beym Manne als ein abgeſonderter Stoff, wie
das Sperma, erſcheint, ſondern vielmehr durch das Blut
ſelbſt dargeſtellt wird, wie die Ausſonderung des Blutes in
der Periode nicht reger Geſchlechtsthaͤtigkeit (als Menſtrua-
tion), und die hoͤchſt bedeutende Anhaͤufung des Blutes im
ſchwangern Uterus, Behufs der Foͤtusernaͤhrung beweiſet.
§. 60.
Wir kommen nun zu den charakteriſtiſchen Erſcheinun-
gen des weiblichen Lebens, welche auf ſenſibele und Be-
wegungsſunktion, ſo wie auf hoͤheres Nervenleben d. i. pſy-
chiſche Eigenthuͤmlichkeit ſich beziehen. — Was hier aber zu-
voͤrderſt die ſinnliche Wahrnehmung betrifft, ſo iſt
dieſe im Allgemeinen allerdings feiner zu nennen als im
maͤnnlichen Koͤrper, jedoch nicht ſo, daß die Reitzbarkeit und
die Schaͤrfe und Genauigkeit der Wahrnehmung in gleichem
Maaße ſich entwickelt zeigten. Gewiß naͤmlich iſt das Auge
des Weibes gegen helles Licht, ſcharf entgegengeſetzte Far-
ben u. ſ. w. empfindlicher, aber es iſt weniger fuͤr unmit-
telbare Auffaſſung richtiger Verhaͤltniſſe, großer Geſammtein-
druͤcke u. ſ. w. geeignet; eben ſo wird das Ohr des Weibes
gegen irgend einen heftigen Schall empfindlicher, fuͤr gewiſſe
einzelne Klaͤnge reitzbarer gefunden, dagegen ihm das ſcharf
unterſcheidende muſikaliſche Gehoͤr doch ſeltner zukommt, und
es ſtimmt mit jener groͤßern Reitzbarkeit (ſo wie ſelbſt mit
dem durch engern Gehoͤrgang ausgezeichneten Baue des weib-
lichen Ohres) allerdings uͤberein, daß in dieſem Geſchlechte
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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/64>, abgerufen am 03.12.2024.
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