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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

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verdient nun aber diese Linie den Namen der Beckenachse
keineswegs, indem für einen durchaus gekrümmten Gang
keine gerade Linie als eigentliche Achse dienen kann. Um da-
her die Höhle des Beckens genauer zu bestimmen, zog Rö-
derer
eine zweite Linie senkrecht auf die Mitte der untern
Beckenöffnung, welche um 18° von der Längenachse des
weiblichen Körpers rückwärts abweicht, und folglich in der
Beckenhöhle mit der Levret'schen Achse unter einem Winkel
von 143° sich kreuzt. Allein auch diese beyden Achsen zu-
sammen genommen bestimmen die Beckenhöhle, so wie die
Bewegung des Kindes und die Führung der Instrumente noch
nicht genau, ja zum Theil ganz falsch (denn das Kind tritt
nicht nach Röderers Achse nach hinten, sondern vielmehr
nach vorwärts aus dem Becken), und man sah sich daher
genöthigt, die Idee einer oder mehrerer Beckenachsen ganz zu
verlassen, dagegen aber eine gekrümmte Linie (Führungs-
linie
) anzunehmen.

§. 44.

Um nun diese Führungslinie wahrhaft geometrisch, und
also vollkommen genau zu bestimmen, finde ich folgendes Ver-
fahren am augemessensten: -- Man nimmt die Mitte der
Schambeinverbindung, da, wo die Conjugata der Becken-
höhle ausgeht, braucht von dieser Conjugata die Hälfte (also
eine Linie von 21/4 Zoll) als Radius, und beschreibt nun
mit diesem Halbmesser einen Kreis um die Synchondrose
herum, wo sich dann ergeben wird, daß der in die Becken-
höhle fallende Abschnitt dieses Kreises sowohl die Mitte des
Einganges als Ausganges durchschneidet, als überhaupt durch-
gängig in der Mitte der Beckenhöhle verlaufend, die wahre
Führungslinie auf das Bestimmteste angiebt, woraus sich
dann zugleich ergiebt, daß die Rückwand des Beckens, also
die innere Fläche des Kreuzbeines und des im zurückge-
bogenen Zustande
betrachteten Schwanzbeines, einen Kreis-
abschnitt darstellen müsse, dessen Radius die ganze Conjugata
der Beckenhöhle ist; was dann beym vollkommen regelmäßi-
gen Becken auch wirklich der Fall seyn wird.


I. Theil. 3

verdient nun aber dieſe Linie den Namen der Beckenachſe
keineswegs, indem fuͤr einen durchaus gekruͤmmten Gang
keine gerade Linie als eigentliche Achſe dienen kann. Um da-
her die Hoͤhle des Beckens genauer zu beſtimmen, zog Roͤ-
derer
eine zweite Linie ſenkrecht auf die Mitte der untern
Beckenoͤffnung, welche um 18° von der Laͤngenachſe des
weiblichen Koͤrpers ruͤckwaͤrts abweicht, und folglich in der
Beckenhoͤhle mit der Levret’ſchen Achſe unter einem Winkel
von 143° ſich kreuzt. Allein auch dieſe beyden Achſen zu-
ſammen genommen beſtimmen die Beckenhoͤhle, ſo wie die
Bewegung des Kindes und die Fuͤhrung der Inſtrumente noch
nicht genau, ja zum Theil ganz falſch (denn das Kind tritt
nicht nach Roͤderers Achſe nach hinten, ſondern vielmehr
nach vorwaͤrts aus dem Becken), und man ſah ſich daher
genoͤthigt, die Idee einer oder mehrerer Beckenachſen ganz zu
verlaſſen, dagegen aber eine gekruͤmmte Linie (Fuͤhrungs-
linie
) anzunehmen.

§. 44.

Um nun dieſe Fuͤhrungslinie wahrhaft geometriſch, und
alſo vollkommen genau zu beſtimmen, finde ich folgendes Ver-
fahren am augemeſſenſten: — Man nimmt die Mitte der
Schambeinverbindung, da, wo die Conjugata der Becken-
hoͤhle ausgeht, braucht von dieſer Conjugata die Haͤlfte (alſo
eine Linie von 2¼ Zoll) als Radius, und beſchreibt nun
mit dieſem Halbmeſſer einen Kreis um die Synchondroſe
herum, wo ſich dann ergeben wird, daß der in die Becken-
hoͤhle fallende Abſchnitt dieſes Kreiſes ſowohl die Mitte des
Einganges als Ausganges durchſchneidet, als uͤberhaupt durch-
gaͤngig in der Mitte der Beckenhoͤhle verlaufend, die wahre
Fuͤhrungslinie auf das Beſtimmteſte angiebt, woraus ſich
dann zugleich ergiebt, daß die Ruͤckwand des Beckens, alſo
die innere Flaͤche des Kreuzbeines und des im zuruͤckge-
bogenen Zuſtande
betrachteten Schwanzbeines, einen Kreis-
abſchnitt darſtellen muͤſſe, deſſen Radius die ganze Conjugata
der Beckenhoͤhle iſt; was dann beym vollkommen regelmaͤßi-
gen Becken auch wirklich der Fall ſeyn wird.


I. Theil. 3
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[33/0053] verdient nun aber dieſe Linie den Namen der Beckenachſe keineswegs, indem fuͤr einen durchaus gekruͤmmten Gang keine gerade Linie als eigentliche Achſe dienen kann. Um da- her die Hoͤhle des Beckens genauer zu beſtimmen, zog Roͤ- derer eine zweite Linie ſenkrecht auf die Mitte der untern Beckenoͤffnung, welche um 18° von der Laͤngenachſe des weiblichen Koͤrpers ruͤckwaͤrts abweicht, und folglich in der Beckenhoͤhle mit der Levret’ſchen Achſe unter einem Winkel von 143° ſich kreuzt. Allein auch dieſe beyden Achſen zu- ſammen genommen beſtimmen die Beckenhoͤhle, ſo wie die Bewegung des Kindes und die Fuͤhrung der Inſtrumente noch nicht genau, ja zum Theil ganz falſch (denn das Kind tritt nicht nach Roͤderers Achſe nach hinten, ſondern vielmehr nach vorwaͤrts aus dem Becken), und man ſah ſich daher genoͤthigt, die Idee einer oder mehrerer Beckenachſen ganz zu verlaſſen, dagegen aber eine gekruͤmmte Linie (Fuͤhrungs- linie) anzunehmen. §. 44. Um nun dieſe Fuͤhrungslinie wahrhaft geometriſch, und alſo vollkommen genau zu beſtimmen, finde ich folgendes Ver- fahren am augemeſſenſten: — Man nimmt die Mitte der Schambeinverbindung, da, wo die Conjugata der Becken- hoͤhle ausgeht, braucht von dieſer Conjugata die Haͤlfte (alſo eine Linie von 2¼ Zoll) als Radius, und beſchreibt nun mit dieſem Halbmeſſer einen Kreis um die Synchondroſe herum, wo ſich dann ergeben wird, daß der in die Becken- hoͤhle fallende Abſchnitt dieſes Kreiſes ſowohl die Mitte des Einganges als Ausganges durchſchneidet, als uͤberhaupt durch- gaͤngig in der Mitte der Beckenhoͤhle verlaufend, die wahre Fuͤhrungslinie auf das Beſtimmteſte angiebt, woraus ſich dann zugleich ergiebt, daß die Ruͤckwand des Beckens, alſo die innere Flaͤche des Kreuzbeines und des im zuruͤckge- bogenen Zuſtande betrachteten Schwanzbeines, einen Kreis- abſchnitt darſtellen muͤſſe, deſſen Radius die ganze Conjugata der Beckenhoͤhle iſt; was dann beym vollkommen regelmaͤßi- gen Becken auch wirklich der Fall ſeyn wird. I. Theil. 3

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/53>, abgerufen am 21.11.2024.