Geschichte der Regierung Sülejmans des I, mit dem Zunamen Kanuni, zehenten Kaisers der Türken. Des dritten Buches viertes Hauptstück.
1.
Sülejman Kanuni 1 hatte den Thron seines Vaters kaumGäßelibegj erre- get einen Auf- ruhr, und wird erschlagen. bestiegen: so brach ein großer Aufruhr in Asien aus. Als Gäßelibegj, Begjlerbegj zu Damaskus (durch dessen Verrath Selim seinen Sieg über die Tscherkassier erhalten hatte), von Selims Tode Nachricht bekam: so bildete er sich ein, alle Tapferkeit und alles Glück des osmanischen Reiches wäre mit demselben begraben. Er wurde daher von seiner beschwor- [Spaltenumbruch]
1 Kanuni] Von dem griechischen Wor- te Canonista, ein Stifter von Regeln. Denn obzwar das osmanische Reich vor Sülejman nicht ohne gewisse Verordnungen regieret wur- de: so gründeten sich doch diese mehr auf die Gewohnheit, als auf schriftliche Gesetze; oder besser zu sagen, der Wille des Fürsten war anstatt des Gesetzes. Allein, Sülejman machte zuerst einen Unterschied unter den bür- gerlichen und Kriegsbedienten, bestimmete ei- nem ieden seinen Rang und seine Würde, verord- nete Gesetze für den Hof, Burg, Gericht und Kriegesheer, und errichtete diejenige Samm- lung von Gesetzen, die heutiges Tages bey dem osmanischen Hofe und State im Gange [Spaltenumbruch] sind. Die Nachfolger desselben sind so genau an die Beobachtung dieser Gesetze gebunden, daß sie in allen Fällen, da ein Zweifel vor- kommt, glauben, Sülejmans Regeln, Teschri- fat genennet, müßten zu Rathe gezogen wer- den. So wird zum Beyspiele bey Berathschla- gungen wegen eines Krieges vor allen Dingen auf diese Regeln gesehen. Wenn sie glauben, deutlich zu sehen, daß eine rechtmäßige Ursa- che zum Kriege darinnen enthalten sey; so be- schließen sie, denselben zu erklären: wo aber nicht; so muß er nachbleiben. Wenn ein Friede mit einem christlichen Fürsten gemacht werden soll: so erholet man sich in eben die- sen Regeln Rathes; damit nicht etwas ge-
nen
2 K 3
Geſchichte der Regierung Suͤlejmans des I, mit dem Zunamen Kanuni, zehenten Kaiſers der Tuͤrken. Des dritten Buches viertes Hauptſtuͤck.
1.
Suͤlejman Kanuni 1 hatte den Thron ſeines Vaters kaumGaͤßelibegj erre- get einen Auf- ruhr, und wird erſchlagen. beſtiegen: ſo brach ein großer Aufruhr in Aſien aus. Als Gaͤßelibegj, Begjlerbegj zu Damaskus (durch deſſen Verrath Selim ſeinen Sieg uͤber die Tſcherkaſſier erhalten hatte), von Selims Tode Nachricht bekam: ſo bildete er ſich ein, alle Tapferkeit und alles Gluͤck des osmaniſchen Reiches waͤre mit demſelben begraben. Er wurde daher von ſeiner beſchwor- [Spaltenumbruch]
1 Kanuni] Von dem griechiſchen Wor- te Canoniſta‚ ein Stifter von Regeln. Denn obzwar das osmaniſche Reich vor Suͤlejman nicht ohne gewiſſe Verordnungen regieret wur- de: ſo gruͤndeten ſich doch dieſe mehr auf die Gewohnheit, als auf ſchriftliche Geſetze; oder beſſer zu ſagen, der Wille des Fuͤrſten war anſtatt des Geſetzes. Allein, Suͤlejman machte zuerſt einen Unterſchied unter den buͤr- gerlichen und Kriegsbedienten, beſtimmete ei- nem ieden ſeinen Rang und ſeine Wuͤrde, verord- nete Geſetze fuͤr den Hof, Burg, Gericht und Kriegesheer, und errichtete diejenige Samm- lung von Geſetzen, die heutiges Tages bey dem osmaniſchen Hofe und State im Gange [Spaltenumbruch] ſind. Die Nachfolger deſſelben ſind ſo genau an die Beobachtung dieſer Geſetze gebunden, daß ſie in allen Faͤllen, da ein Zweifel vor- kommt, glauben, Suͤlejmans Regeln, Teſchri- fat genennet, muͤßten zu Rathe gezogen wer- den. So wird zum Beyſpiele bey Berathſchla- gungen wegen eines Krieges vor allen Dingen auf dieſe Regeln geſehen. Wenn ſie glauben, deutlich zu ſehen, daß eine rechtmaͤßige Urſa- che zum Kriege darinnen enthalten ſey; ſo be- ſchließen ſie, denſelben zu erklaͤren: wo aber nicht; ſo muß er nachbleiben. Wenn ein Friede mit einem chriſtlichen Fuͤrſten gemacht werden ſoll: ſo erholet man ſich in eben die- ſen Regeln Rathes; damit nicht etwas ge-
nen
2 K 3
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0351"n="261"/><divn="2"><head>Geſchichte<lb/>
der Regierung Suͤlejmans des <hirendition="#aq">I</hi>,<lb/>
mit dem Zunamen Kanuni,<lb/>
zehenten Kaiſers der Tuͤrken.<lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Des dritten Buches viertes Hauptſtuͤck.</head><lb/><divn="3"><head>1.</head><lb/><p><hirendition="#in">S</hi>uͤlejman Kanuni <noteplace="end"n="1"/> hatte den Thron ſeines Vaters kaum<noteplace="right">Gaͤßelibegj erre-<lb/>
get einen Auf-<lb/>
ruhr, und wird<lb/>
erſchlagen.</note><lb/>
beſtiegen: ſo brach ein großer Aufruhr in Aſien aus. Als<lb/>
Gaͤßelibegj, Begjlerbegj zu Damaskus (durch deſſen<lb/>
Verrath Selim ſeinen Sieg uͤber die Tſcherkaſſier erhalten<lb/>
hatte), von Selims Tode Nachricht bekam: ſo bildete er<lb/>ſich ein, alle Tapferkeit und alles Gluͤck des osmaniſchen<lb/>
Reiches waͤre mit demſelben begraben. Er wurde daher von ſeiner beſchwor-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">nen</fw><lb/><cbn="1"/><lb/><notexml:id="M351"next="#M352"place="end"n="1">Kanuni] Von dem griechiſchen Wor-<lb/>
te <hirendition="#aq">Canoniſta</hi>‚ ein Stifter von Regeln. Denn<lb/>
obzwar das osmaniſche Reich vor Suͤlejman<lb/>
nicht ohne gewiſſe Verordnungen regieret wur-<lb/>
de: ſo gruͤndeten ſich doch dieſe mehr auf die<lb/>
Gewohnheit, als auf ſchriftliche Geſetze;<lb/>
oder beſſer zu ſagen, der Wille des Fuͤrſten<lb/>
war anſtatt des Geſetzes. Allein, Suͤlejman<lb/>
machte zuerſt einen Unterſchied unter den buͤr-<lb/>
gerlichen und Kriegsbedienten, beſtimmete ei-<lb/>
nem ieden ſeinen Rang und ſeine Wuͤrde, verord-<lb/>
nete Geſetze fuͤr den Hof, Burg, Gericht und<lb/>
Kriegesheer, und errichtete diejenige Samm-<lb/>
lung von Geſetzen, die heutiges Tages bey<lb/>
dem osmaniſchen Hofe und State im Gange<lb/><cbn="2"/><lb/>ſind. Die Nachfolger deſſelben ſind ſo genau<lb/>
an die Beobachtung dieſer Geſetze gebunden,<lb/>
daß ſie in allen Faͤllen, da ein Zweifel vor-<lb/>
kommt, glauben, Suͤlejmans Regeln, Teſchri-<lb/>
fat genennet, muͤßten zu Rathe gezogen wer-<lb/>
den. So wird zum Beyſpiele bey Berathſchla-<lb/>
gungen wegen eines Krieges vor allen Dingen<lb/>
auf dieſe Regeln geſehen. Wenn ſie glauben,<lb/>
deutlich zu ſehen, daß eine rechtmaͤßige Urſa-<lb/>
che zum Kriege darinnen enthalten ſey; ſo be-<lb/>ſchließen ſie, denſelben zu erklaͤren: wo aber<lb/>
nicht; ſo muß er nachbleiben. Wenn ein<lb/>
Friede mit einem chriſtlichen Fuͤrſten gemacht<lb/>
werden ſoll: ſo erholet man ſich in eben die-<lb/>ſen Regeln Rathes; damit nicht etwas ge-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">2 K 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſchehen</fw></note><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[261/0351]
Geſchichte
der Regierung Suͤlejmans des I,
mit dem Zunamen Kanuni,
zehenten Kaiſers der Tuͤrken.
Des dritten Buches viertes Hauptſtuͤck.
1.
Suͤlejman Kanuni
¹
hatte den Thron ſeines Vaters kaum
beſtiegen: ſo brach ein großer Aufruhr in Aſien aus. Als
Gaͤßelibegj, Begjlerbegj zu Damaskus (durch deſſen
Verrath Selim ſeinen Sieg uͤber die Tſcherkaſſier erhalten
hatte), von Selims Tode Nachricht bekam: ſo bildete er
ſich ein, alle Tapferkeit und alles Gluͤck des osmaniſchen
Reiches waͤre mit demſelben begraben. Er wurde daher von ſeiner beſchwor-
nen
¹ Kanuni] Von dem griechiſchen Wor-
te Canoniſta‚ ein Stifter von Regeln. Denn
obzwar das osmaniſche Reich vor Suͤlejman
nicht ohne gewiſſe Verordnungen regieret wur-
de: ſo gruͤndeten ſich doch dieſe mehr auf die
Gewohnheit, als auf ſchriftliche Geſetze;
oder beſſer zu ſagen, der Wille des Fuͤrſten
war anſtatt des Geſetzes. Allein, Suͤlejman
machte zuerſt einen Unterſchied unter den buͤr-
gerlichen und Kriegsbedienten, beſtimmete ei-
nem ieden ſeinen Rang und ſeine Wuͤrde, verord-
nete Geſetze fuͤr den Hof, Burg, Gericht und
Kriegesheer, und errichtete diejenige Samm-
lung von Geſetzen, die heutiges Tages bey
dem osmaniſchen Hofe und State im Gange
ſind. Die Nachfolger deſſelben ſind ſo genau
an die Beobachtung dieſer Geſetze gebunden,
daß ſie in allen Faͤllen, da ein Zweifel vor-
kommt, glauben, Suͤlejmans Regeln, Teſchri-
fat genennet, muͤßten zu Rathe gezogen wer-
den. So wird zum Beyſpiele bey Berathſchla-
gungen wegen eines Krieges vor allen Dingen
auf dieſe Regeln geſehen. Wenn ſie glauben,
deutlich zu ſehen, daß eine rechtmaͤßige Urſa-
che zum Kriege darinnen enthalten ſey; ſo be-
ſchließen ſie, denſelben zu erklaͤren: wo aber
nicht; ſo muß er nachbleiben. Wenn ein
Friede mit einem chriſtlichen Fuͤrſten gemacht
werden ſoll: ſo erholet man ſich in eben die-
ſen Regeln Rathes; damit nicht etwas ge-
ſchehen
Gaͤßelibegj erre-
get einen Auf-
ruhr, und wird
erſchlagen.
2 K 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/351>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.