Geschichte der Regierung Selims des I, neunten Kaisers der Türken. Des dritten Buches drittes Hauptstück.
1.
Selim, mit dem Zunamen Jawuß 1, war noch zu seines Groß-Aehmed wird aufrührisch: vaters Lebzeiten, im Jahre 872, geboren, als Bajeßid Herr zu Amasia war, und im Jahre 918, am 19 desH. 918. J. C. 1512. Monats Säfer, da derselbe im 46 Jahre seines Alters stund, wurde er zum Kaiser der Osmanen eingesetzet, nachdem sein Vater vertrieben war. Seine Brüder hat- ten nicht das Herz, diesem Verfahren zu widersprechen: entweder, weil er die Soldaten auf seiner Seite hatte; oder, damit sie sein grausames Gemüth be- [Spaltenumbruch]
1 Jawuß] Dieses Wort heißet eigent- lich grimmig oder wild, und hernach auch, heftig von Gemüthsbewegungen. Es wurde dieser Beyname Selim* (wie man saget) wegen seiner Wut und Tiranney beygeleget, damit er nicht allein die Verbrecher, sondern auch die Unschuldigen, sogar seinen Vater und Brüder, verfolgte, als wenn es Feinde ge- wesen wären. Man erzählet von ihm, er habe einsmals seinem obersten Weßire befoh- len, die Roßschweife vor dem Thore seines [Spaltenumbruch] Palastes (als das Zeichen eines bevorstehen- den Feldzuges) auszustecken, und die Gezelte an einem geschickten Platze aufzuschlagen: und als der Weßir nur gefraget; in welcher Gegend er die Zelte aufgeschlagen haben woll- te: so habe er ihn, ohne eine Antwort dar- auf zu geben, sogleich ums Leben bringen lassen. Dessen Nachfolger habe noch densel- ben Tag eben dieses Schicksal gehabt. Der dritte aber sey durch die Beyspiele der zween andern klüger geworden, und habe die Gezelte
sänftigen
* Selim heißet einen [Unsträflichen], Vollkommenen und Friedfertigen.
2 D 3
Geſchichte der Regierung Selims des I‚ neunten Kaiſers der Tuͤrken. Des dritten Buches drittes Hauptſtuͤck.
1.
Selim, mit dem Zunamen Jawuß 1, war noch zu ſeines Groß-Aehmed wird aufruͤhriſch: vaters Lebzeiten, im Jahre 872, geboren, als Bajeßid Herr zu Amaſia war, und im Jahre 918, am 19 desH. 918. J. C. 1512. Monats Saͤfer, da derſelbe im 46 Jahre ſeines Alters ſtund, wurde er zum Kaiſer der Osmanen eingeſetzet, nachdem ſein Vater vertrieben war. Seine Bruͤder hat- ten nicht das Herz, dieſem Verfahren zu widerſprechen: entweder, weil er die Soldaten auf ſeiner Seite hatte; oder, damit ſie ſein grauſames Gemuͤth be- [Spaltenumbruch]
1 Jawuß] Dieſes Wort heißet eigent- lich grimmig oder wild, und hernach auch, heftig von Gemuͤthsbewegungen. Es wurde dieſer Beyname Selim* (wie man ſaget) wegen ſeiner Wut und Tiranney beygeleget, damit er nicht allein die Verbrecher, ſondern auch die Unſchuldigen, ſogar ſeinen Vater und Bruͤder, verfolgte, als wenn es Feinde ge- weſen waͤren. Man erzaͤhlet von ihm, er habe einsmals ſeinem oberſten Weßire befoh- len, die Roßſchweife vor dem Thore ſeines [Spaltenumbruch] Palaſtes (als das Zeichen eines bevorſtehen- den Feldzuges) auszuſtecken, und die Gezelte an einem geſchickten Platze aufzuſchlagen: und als der Weßir nur gefraget; in welcher Gegend er die Zelte aufgeſchlagen haben woll- te: ſo habe er ihn, ohne eine Antwort dar- auf zu geben, ſogleich ums Leben bringen laſſen. Deſſen Nachfolger habe noch denſel- ben Tag eben dieſes Schickſal gehabt. Der dritte aber ſey durch die Beyſpiele der zween andern kluͤger geworden, und habe die Gezelte
ſaͤnftigen
* Selim heißet einen [Unſtraͤflichen], Vollkommenen und Friedfertigen.
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Geſchichte
der Regierung Selims des I‚
neunten Kaiſers der Tuͤrken.
Des dritten Buches drittes Hauptſtuͤck.
1.
Selim, mit dem Zunamen Jawuß
¹
, war noch zu ſeines Groß-
vaters Lebzeiten, im Jahre 872, geboren, als Bajeßid
Herr zu Amaſia war, und im Jahre 918, am 19 des
Monats Saͤfer, da derſelbe im 46 Jahre ſeines Alters
ſtund, wurde er zum Kaiſer der Osmanen eingeſetzet,
nachdem ſein Vater vertrieben war. Seine Bruͤder hat-
ten nicht das Herz, dieſem Verfahren zu widerſprechen: entweder, weil er die
Soldaten auf ſeiner Seite hatte; oder, damit ſie ſein grauſames Gemuͤth be-
ſaͤnftigen
¹ Jawuß] Dieſes Wort heißet eigent-
lich grimmig oder wild, und hernach auch,
heftig von Gemuͤthsbewegungen. Es wurde
dieſer Beyname Selim * (wie man ſaget)
wegen ſeiner Wut und Tiranney beygeleget,
damit er nicht allein die Verbrecher, ſondern
auch die Unſchuldigen, ſogar ſeinen Vater und
Bruͤder, verfolgte, als wenn es Feinde ge-
weſen waͤren. Man erzaͤhlet von ihm, er
habe einsmals ſeinem oberſten Weßire befoh-
len, die Roßſchweife vor dem Thore ſeines
Palaſtes (als das Zeichen eines bevorſtehen-
den Feldzuges) auszuſtecken, und die Gezelte
an einem geſchickten Platze aufzuſchlagen:
und als der Weßir nur gefraget; in welcher
Gegend er die Zelte aufgeſchlagen haben woll-
te: ſo habe er ihn, ohne eine Antwort dar-
auf zu geben, ſogleich ums Leben bringen
laſſen. Deſſen Nachfolger habe noch denſel-
ben Tag eben dieſes Schickſal gehabt. Der
dritte aber ſey durch die Beyſpiele der zween
andern kluͤger geworden, und habe die Gezelte
gegen
Aehmed wird
aufruͤhriſch:
H. 918.
J. C. 1512.
* Selim heißet einen Unſtraͤflichen, Vollkommenen und Friedfertigen.
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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/301>, abgerufen am 21.11.2024.
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