Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweyter Theil.
kettet, daß keiner derselben verändert werden kann, ohne
sogleich eine entsprechende Veränderung der andern nach
sich zu ziehen; und deshalb giebt es auch keine beträchtliche
Modification des Körperlichen am Menschen, keine Krank-
heit irgend einer Art, womit nicht eine angemessene Modi-
fication seines geistigen Wesens verknüpft wäre.

§ 255.

Die Heilkunst bedarf also der Psychologie, nicht nur in
Rücksicht auf die Krankheiten des Geistes, sondern auch auf
alle übrigen, sobald sie auf irgend einen Grad der Vollstän-
digkeit und Vollkommenheit Anspruch machen will; und sie
bedarf ebenfalls ihres Unterrichtes, um mit den Heilmitteln
bekannt zu werden, welche in der geistigen Natur des Men-
schen selbst liegen.

§ 256.

Da nun alle diejenigen Naturwissenschaften, welche
den Menschen nach seinen mannichfaltigen Erscheinungen und
deren Würkungsgesetzen darstellen (als die nähern Grund-
wissenschaften § 195), wegen ihrer Anwendung zum Behuf
der Heilkunst, zu den medicinischen gerechnet werden, so ge-
hört hierher auch die Psychologie, und es ist Usurpation und
eine grundlose Anmaßung der Philosophie, dieselbe in ihr
Gebiet zu ziehen. Die Philosophie entlehnt vielmehr diese
Erfahrungswissenschaft eben so wie die Heilkunst, aus dem
großen Gebiete der Naturwissenschaften.

Anthropologie.
§ 257.

Ein Theil der Psychologie ist die Anthropologie im en-
gern Sinne, oder die Lehre von dem eigenthümlichen Cha-

rakter

Zweyter Theil.
kettet, daß keiner derſelben veraͤndert werden kann, ohne
ſogleich eine entſprechende Veraͤnderung der andern nach
ſich zu ziehen; und deshalb giebt es auch keine betraͤchtliche
Modification des Koͤrperlichen am Menſchen, keine Krank-
heit irgend einer Art, womit nicht eine angemeſſene Modi-
fication ſeines geiſtigen Weſens verknuͤpft waͤre.

§ 255.

Die Heilkunſt bedarf alſo der Pſychologie, nicht nur in
Ruͤckſicht auf die Krankheiten des Geiſtes, ſondern auch auf
alle uͤbrigen, ſobald ſie auf irgend einen Grad der Vollſtaͤn-
digkeit und Vollkommenheit Anſpruch machen will; und ſie
bedarf ebenfalls ihres Unterrichtes, um mit den Heilmitteln
bekannt zu werden, welche in der geiſtigen Natur des Men-
ſchen ſelbſt liegen.

§ 256.

Da nun alle diejenigen Naturwiſſenſchaften, welche
den Menſchen nach ſeinen mannichfaltigen Erſcheinungen und
deren Wuͤrkungsgeſetzen darſtellen (als die naͤhern Grund-
wiſſenſchaften § 195), wegen ihrer Anwendung zum Behuf
der Heilkunſt, zu den mediciniſchen gerechnet werden, ſo ge-
hoͤrt hierher auch die Pſychologie, und es iſt Uſurpation und
eine grundloſe Anmaßung der Philoſophie, dieſelbe in ihr
Gebiet zu ziehen. Die Philoſophie entlehnt vielmehr dieſe
Erfahrungswiſſenſchaft eben ſo wie die Heilkunſt, aus dem
großen Gebiete der Naturwiſſenſchaften.

Anthropologie.
§ 257.

Ein Theil der Pſychologie iſt die Anthropologie im en-
gern Sinne, oder die Lehre von dem eigenthuͤmlichen Cha-

rakter
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <div n="4">
            <div n="5">
              <div n="6">
                <div n="7">
                  <div n="8">
                    <div n="11">
                      <div n="9">
                        <p><pb facs="#f0096" n="78"/><fw place="top" type="header">Zweyter Theil.</fw><lb/>
kettet, daß keiner der&#x017F;elben vera&#x0364;ndert werden kann, ohne<lb/>
&#x017F;ogleich eine ent&#x017F;prechende Vera&#x0364;nderung der andern nach<lb/>
&#x017F;ich zu ziehen; und deshalb giebt es auch keine betra&#x0364;chtliche<lb/>
Modification des Ko&#x0364;rperlichen am Men&#x017F;chen, keine Krank-<lb/>
heit irgend einer Art, womit nicht eine angeme&#x017F;&#x017F;ene Modi-<lb/><choice><sic>ficativn</sic><corr>fication</corr></choice> &#x017F;eines gei&#x017F;tigen We&#x017F;ens verknu&#x0364;pft wa&#x0364;re.</p>
                      </div><lb/>
                      <div n="9">
                        <head>§ 255.</head><lb/>
                        <p>Die Heilkun&#x017F;t bedarf al&#x017F;o der P&#x017F;ychologie, nicht nur in<lb/>
Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf die Krankheiten des Gei&#x017F;tes, &#x017F;ondern auch auf<lb/>
alle u&#x0364;brigen, &#x017F;obald &#x017F;ie auf irgend einen Grad der Voll&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
digkeit und Vollkommenheit An&#x017F;pruch machen will; und &#x017F;ie<lb/>
bedarf ebenfalls ihres Unterrichtes, um mit den Heilmitteln<lb/>
bekannt zu werden, welche in der gei&#x017F;tigen Natur des Men-<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;elb&#x017F;t liegen.</p>
                      </div><lb/>
                      <div n="9">
                        <head>§ 256.</head><lb/>
                        <p>Da nun alle diejenigen Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, welche<lb/>
den Men&#x017F;chen nach &#x017F;einen mannichfaltigen Er&#x017F;cheinungen und<lb/>
deren Wu&#x0364;rkungsge&#x017F;etzen dar&#x017F;tellen (als die na&#x0364;hern Grund-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften § 195), wegen ihrer Anwendung zum Behuf<lb/>
der Heilkun&#x017F;t, zu den medicini&#x017F;chen gerechnet werden, &#x017F;o ge-<lb/>
ho&#x0364;rt hierher auch die P&#x017F;ychologie, und es i&#x017F;t U&#x017F;urpation und<lb/>
eine grundlo&#x017F;e Anmaßung der Philo&#x017F;ophie, die&#x017F;elbe in ihr<lb/>
Gebiet zu ziehen. Die Philo&#x017F;ophie entlehnt vielmehr die&#x017F;e<lb/>
Erfahrungswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft eben &#x017F;o wie die Heilkun&#x017F;t, aus dem<lb/>
großen Gebiete der Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften.</p>
                      </div>
                    </div><lb/>
                    <div n="11">
                      <head><hi rendition="#g">Anthropologie</hi>.</head><lb/>
                      <div n="9">
                        <head>§ 257.</head><lb/>
                        <p>Ein Theil der P&#x017F;ychologie i&#x017F;t die Anthropologie im en-<lb/>
gern Sinne, oder die Lehre von dem eigenthu&#x0364;mlichen Cha-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">rakter</fw><lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0096] Zweyter Theil. kettet, daß keiner derſelben veraͤndert werden kann, ohne ſogleich eine entſprechende Veraͤnderung der andern nach ſich zu ziehen; und deshalb giebt es auch keine betraͤchtliche Modification des Koͤrperlichen am Menſchen, keine Krank- heit irgend einer Art, womit nicht eine angemeſſene Modi- fication ſeines geiſtigen Weſens verknuͤpft waͤre. § 255. Die Heilkunſt bedarf alſo der Pſychologie, nicht nur in Ruͤckſicht auf die Krankheiten des Geiſtes, ſondern auch auf alle uͤbrigen, ſobald ſie auf irgend einen Grad der Vollſtaͤn- digkeit und Vollkommenheit Anſpruch machen will; und ſie bedarf ebenfalls ihres Unterrichtes, um mit den Heilmitteln bekannt zu werden, welche in der geiſtigen Natur des Men- ſchen ſelbſt liegen. § 256. Da nun alle diejenigen Naturwiſſenſchaften, welche den Menſchen nach ſeinen mannichfaltigen Erſcheinungen und deren Wuͤrkungsgeſetzen darſtellen (als die naͤhern Grund- wiſſenſchaften § 195), wegen ihrer Anwendung zum Behuf der Heilkunſt, zu den mediciniſchen gerechnet werden, ſo ge- hoͤrt hierher auch die Pſychologie, und es iſt Uſurpation und eine grundloſe Anmaßung der Philoſophie, dieſelbe in ihr Gebiet zu ziehen. Die Philoſophie entlehnt vielmehr dieſe Erfahrungswiſſenſchaft eben ſo wie die Heilkunſt, aus dem großen Gebiete der Naturwiſſenſchaften. Anthropologie. § 257. Ein Theil der Pſychologie iſt die Anthropologie im en- gern Sinne, oder die Lehre von dem eigenthuͤmlichen Cha- rakter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/96
Zitationshilfe: Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/96>, abgerufen am 21.12.2024.