Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite
Erster Theil.
§ 104.

Zuerst giebt es Krankheiten, welche man weder zu er-
kennen, noch, wenn man sie auch erkannt hätte, zu heilen
vermag. Es gehören hierher die Verletzungen und Zerstörun-
gen der innern Organe, von deren Gegenwart wir keine deut-
lichen Zeichen haben. Es ist nicht unmöglich, daß wir bey
der höchst möglichen Vervollkommung der Kunst, aus sinn-
lich wahrnehmbaren Erscheinungen auf andere krankhafte
Erscheinungen, welche unsern Sinnen entgehen, zu schlies-
sen, einige dieser Krankheiten werden entdecken können:
aber die Kunst ist hier unwürksam, weil die erste Bedingung
der menschlichen Existenz, Integrität der Structur, aufge-
hoben ist.

§ 105.

Andere Krankheiten würden geheilt werden können,
wenn man sie nur zu erkennen vermöchte. Aber die frucht-
los angestrengte Aufmerksamkeit der erfahrensten und scharf-
sinnigsten Beobachter läßt fürchten, daß die Heilkunst hier
niemals zu einer gewissen Erkenntniß gelangen wird. Dies
gilt vorzüglich von dem Anfange der Krankheiten innerer
Organe, wo noch keine auffallenden Würkungen sich äussern,
und wo, wenn diese erscheinen, das Uebel schon unheil-
bar ist.

Stahl de incurabilibus adfectibus. Halae 705.
§ 106.

Andere Krankheiten endlich, erkennt die Heilkunst zwar,
aber vermag sie nicht zu heilen. Dies findet Statt, erstlich
wenn Verletzungen von Organen vorausgegangen, welche
entweder der Kunst unzugänglich sind, oder wobey über-
haupt das Leben nicht mehr fortdauern kann, weil das Sub-
strat der Lebenskraft verletzt ist; zweytens, wenn die Grund-

kräfte
Erſter Theil.
§ 104.

Zuerſt giebt es Krankheiten, welche man weder zu er-
kennen, noch, wenn man ſie auch erkannt haͤtte, zu heilen
vermag. Es gehoͤren hierher die Verletzungen und Zerſtoͤrun-
gen der innern Organe, von deren Gegenwart wir keine deut-
lichen Zeichen haben. Es iſt nicht unmoͤglich, daß wir bey
der hoͤchſt moͤglichen Vervollkommung der Kunſt, aus ſinn-
lich wahrnehmbaren Erſcheinungen auf andere krankhafte
Erſcheinungen, welche unſern Sinnen entgehen, zu ſchlieſ-
ſen, einige dieſer Krankheiten werden entdecken koͤnnen:
aber die Kunſt iſt hier unwuͤrkſam, weil die erſte Bedingung
der menſchlichen Exiſtenz, Integritaͤt der Structur, aufge-
hoben iſt.

§ 105.

Andere Krankheiten wuͤrden geheilt werden koͤnnen,
wenn man ſie nur zu erkennen vermoͤchte. Aber die frucht-
los angeſtrengte Aufmerkſamkeit der erfahrenſten und ſcharf-
ſinnigſten Beobachter laͤßt fuͤrchten, daß die Heilkunſt hier
niemals zu einer gewiſſen Erkenntniß gelangen wird. Dies
gilt vorzuͤglich von dem Anfange der Krankheiten innerer
Organe, wo noch keine auffallenden Wuͤrkungen ſich aͤuſſern,
und wo, wenn dieſe erſcheinen, das Uebel ſchon unheil-
bar iſt.

Stahl de incurabilibus adfectibus. Halae 705.
§ 106.

Andere Krankheiten endlich, erkennt die Heilkunſt zwar,
aber vermag ſie nicht zu heilen. Dies findet Statt, erſtlich
wenn Verletzungen von Organen vorausgegangen, welche
entweder der Kunſt unzugaͤnglich ſind, oder wobey uͤber-
haupt das Leben nicht mehr fortdauern kann, weil das Sub-
ſtrat der Lebenskraft verletzt iſt; zweytens, wenn die Grund-

kraͤfte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <div n="4">
            <pb facs="#f0054" n="36"/>
            <fw place="top" type="header">Er&#x017F;ter Theil.</fw><lb/>
            <div n="5">
              <head>§ 104.</head><lb/>
              <p>Zuer&#x017F;t giebt es Krankheiten, welche man weder zu er-<lb/>
kennen, noch, wenn man &#x017F;ie auch erkannt ha&#x0364;tte, zu heilen<lb/>
vermag. Es geho&#x0364;ren hierher die Verletzungen und Zer&#x017F;to&#x0364;run-<lb/>
gen der innern Organe, von deren Gegenwart wir keine deut-<lb/>
lichen Zeichen haben. Es i&#x017F;t nicht unmo&#x0364;glich, daß wir bey<lb/>
der ho&#x0364;ch&#x017F;t mo&#x0364;glichen Vervollkommung der Kun&#x017F;t, aus &#x017F;inn-<lb/>
lich wahrnehmbaren Er&#x017F;cheinungen auf andere krankhafte<lb/>
Er&#x017F;cheinungen, welche un&#x017F;ern Sinnen entgehen, zu &#x017F;chlie&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, einige die&#x017F;er Krankheiten werden entdecken ko&#x0364;nnen:<lb/>
aber die Kun&#x017F;t i&#x017F;t hier unwu&#x0364;rk&#x017F;am, weil die er&#x017F;te Bedingung<lb/>
der men&#x017F;chlichen Exi&#x017F;tenz, Integrita&#x0364;t der Structur, aufge-<lb/>
hoben i&#x017F;t.</p>
            </div><lb/>
            <div n="5">
              <head>§ 105.</head><lb/>
              <p>Andere Krankheiten wu&#x0364;rden geheilt werden ko&#x0364;nnen,<lb/>
wenn man &#x017F;ie nur zu erkennen vermo&#x0364;chte. Aber die frucht-<lb/>
los ange&#x017F;trengte Aufmerk&#x017F;amkeit der erfahren&#x017F;ten und &#x017F;charf-<lb/>
&#x017F;innig&#x017F;ten Beobachter la&#x0364;ßt fu&#x0364;rchten, daß die Heilkun&#x017F;t hier<lb/>
niemals zu einer gewi&#x017F;&#x017F;en Erkenntniß gelangen wird. Dies<lb/>
gilt vorzu&#x0364;glich von dem Anfange der Krankheiten innerer<lb/>
Organe, wo noch keine auffallenden Wu&#x0364;rkungen &#x017F;ich a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ern,<lb/>
und wo, wenn die&#x017F;e er&#x017F;cheinen, das Uebel &#x017F;chon unheil-<lb/>
bar i&#x017F;t.</p><lb/>
              <list>
                <item><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Stahl</hi> de incurabilibus adfectibus. Halae</hi> 705.</item>
              </list>
            </div><lb/>
            <div n="5">
              <head>§ 106.</head><lb/>
              <p>Andere Krankheiten endlich, erkennt die Heilkun&#x017F;t zwar,<lb/>
aber vermag &#x017F;ie nicht zu heilen. Dies findet Statt, er&#x017F;tlich<lb/>
wenn Verletzungen von Organen vorausgegangen, welche<lb/>
entweder der Kun&#x017F;t unzuga&#x0364;nglich &#x017F;ind, oder wobey u&#x0364;ber-<lb/>
haupt das Leben nicht mehr fortdauern kann, weil das Sub-<lb/>
&#x017F;trat der Lebenskraft verletzt i&#x017F;t; zweytens, wenn die Grund-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">kra&#x0364;fte</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0054] Erſter Theil. § 104. Zuerſt giebt es Krankheiten, welche man weder zu er- kennen, noch, wenn man ſie auch erkannt haͤtte, zu heilen vermag. Es gehoͤren hierher die Verletzungen und Zerſtoͤrun- gen der innern Organe, von deren Gegenwart wir keine deut- lichen Zeichen haben. Es iſt nicht unmoͤglich, daß wir bey der hoͤchſt moͤglichen Vervollkommung der Kunſt, aus ſinn- lich wahrnehmbaren Erſcheinungen auf andere krankhafte Erſcheinungen, welche unſern Sinnen entgehen, zu ſchlieſ- ſen, einige dieſer Krankheiten werden entdecken koͤnnen: aber die Kunſt iſt hier unwuͤrkſam, weil die erſte Bedingung der menſchlichen Exiſtenz, Integritaͤt der Structur, aufge- hoben iſt. § 105. Andere Krankheiten wuͤrden geheilt werden koͤnnen, wenn man ſie nur zu erkennen vermoͤchte. Aber die frucht- los angeſtrengte Aufmerkſamkeit der erfahrenſten und ſcharf- ſinnigſten Beobachter laͤßt fuͤrchten, daß die Heilkunſt hier niemals zu einer gewiſſen Erkenntniß gelangen wird. Dies gilt vorzuͤglich von dem Anfange der Krankheiten innerer Organe, wo noch keine auffallenden Wuͤrkungen ſich aͤuſſern, und wo, wenn dieſe erſcheinen, das Uebel ſchon unheil- bar iſt. Stahl de incurabilibus adfectibus. Halae 705. § 106. Andere Krankheiten endlich, erkennt die Heilkunſt zwar, aber vermag ſie nicht zu heilen. Dies findet Statt, erſtlich wenn Verletzungen von Organen vorausgegangen, welche entweder der Kunſt unzugaͤnglich ſind, oder wobey uͤber- haupt das Leben nicht mehr fortdauern kann, weil das Sub- ſtrat der Lebenskraft verletzt iſt; zweytens, wenn die Grund- kraͤfte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/54
Zitationshilfe: Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/54>, abgerufen am 21.12.2024.