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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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schreibern ist leider Aretino 1) zu nennen als derjenige,4. Abschnitt.
welcher vielleicht zuerst einen prachtvollen abendlichen Licht-
und Wolkeneffect umständlich in Worte gefaßt hat.

Doch auch bei Dichtern kommt bisweilen eine merk-Genreland-
schaft.

würdige Verflechtung ihres Gefühlslebens mit einer liebe-
voll und zwar genrehaft geschilderten Naturumgebung vor.
Tito Strozza beschreibt in einer lateinischen Elegie 2) (um
1480) den Aufenthalt seiner Geliebten: ein altes, von Epheu
umzogenes Häuschen mit verwitterten Heiligenfresken, in
Bäumen versteckt, daneben eine Capelle, übel zugerichtet von
den reißenden Hochwassern des hart vorbei strömenden Po;
in der Nähe ackert der Caplan seine sieben magern Juch-
arten mit entlehntem Gespann. Dieß ist keine Reminiscenz
aus den römischen Elegikern, sondern eigene moderne
Empfindung, und die Parallele dazu, eine wahre, nicht
künstlich bucolische Schilderung des Landlebens, wird uns
zu Ende dieses Abschnitts auch nicht fehlen.

Man könnte nun einwenden, daß unsere deutschen
Meister des beginnenden XVI. Jahrhunderts solche rea-
listische Umgebungen des Menschenlebens bisweilen mit
vollster Meisterschaft darstellen, wie z. B. Albrecht Dürer
in seinem Kupferstich des verlorenen Sohnes. Aber es
sind zwei ganz verschiedene Dinge, ob ein Maler, der mit
dem Realismus großgewachsen, solche Scenerien beifügt,
oder ob ein Dichter, der sich sonst ideal und mythologisch
drapirt, aus innerm Drange in die Wirklichkeit niedersteigt.
Ueberdieß ist die zeitliche Priorität hier wie bei den Schil-
derungen des Landlebens auf der Seite der italienischen
Dichter.

Zu der Entdeckung der Welt fügt die Cultur derEntdeckung des
Menschen.

Renaissance eine noch größere Leistung, indem sie zuerst den

1) Lettere pittoriche III, 36. An Tizian, Mai 1544.
2) Strozii poetae, in den Erotica, L. VI, p. 182, s.

ſchreibern iſt leider Aretino 1) zu nennen als derjenige,4. Abſchnitt.
welcher vielleicht zuerſt einen prachtvollen abendlichen Licht-
und Wolkeneffect umſtändlich in Worte gefaßt hat.

Doch auch bei Dichtern kommt bisweilen eine merk-Genreland-
ſchaft.

würdige Verflechtung ihres Gefühlslebens mit einer liebe-
voll und zwar genrehaft geſchilderten Naturumgebung vor.
Tito Strozza beſchreibt in einer lateiniſchen Elegie 2) (um
1480) den Aufenthalt ſeiner Geliebten: ein altes, von Epheu
umzogenes Häuschen mit verwitterten Heiligenfresken, in
Bäumen verſteckt, daneben eine Capelle, übel zugerichtet von
den reißenden Hochwaſſern des hart vorbei ſtrömenden Po;
in der Nähe ackert der Caplan ſeine ſieben magern Juch-
arten mit entlehntem Geſpann. Dieß iſt keine Reminiscenz
aus den römiſchen Elegikern, ſondern eigene moderne
Empfindung, und die Parallele dazu, eine wahre, nicht
künſtlich bucoliſche Schilderung des Landlebens, wird uns
zu Ende dieſes Abſchnitts auch nicht fehlen.

Man könnte nun einwenden, daß unſere deutſchen
Meiſter des beginnenden XVI. Jahrhunderts ſolche rea-
liſtiſche Umgebungen des Menſchenlebens bisweilen mit
vollſter Meiſterſchaft darſtellen, wie z. B. Albrecht Dürer
in ſeinem Kupferſtich des verlorenen Sohnes. Aber es
ſind zwei ganz verſchiedene Dinge, ob ein Maler, der mit
dem Realismus großgewachſen, ſolche Scenerien beifügt,
oder ob ein Dichter, der ſich ſonſt ideal und mythologiſch
drapirt, aus innerm Drange in die Wirklichkeit niederſteigt.
Ueberdieß iſt die zeitliche Priorität hier wie bei den Schil-
derungen des Landlebens auf der Seite der italieniſchen
Dichter.

Zu der Entdeckung der Welt fügt die Cultur derEntdeckung des
Menſchen.

Renaiſſance eine noch größere Leiſtung, indem ſie zuerſt den

1) Lettere pittoriche III, 36. An Tizian, Mai 1544.
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[303/0313] ſchreibern iſt leider Aretino 1) zu nennen als derjenige, welcher vielleicht zuerſt einen prachtvollen abendlichen Licht- und Wolkeneffect umſtändlich in Worte gefaßt hat. 4. Abſchnitt. Doch auch bei Dichtern kommt bisweilen eine merk- würdige Verflechtung ihres Gefühlslebens mit einer liebe- voll und zwar genrehaft geſchilderten Naturumgebung vor. Tito Strozza beſchreibt in einer lateiniſchen Elegie 2) (um 1480) den Aufenthalt ſeiner Geliebten: ein altes, von Epheu umzogenes Häuschen mit verwitterten Heiligenfresken, in Bäumen verſteckt, daneben eine Capelle, übel zugerichtet von den reißenden Hochwaſſern des hart vorbei ſtrömenden Po; in der Nähe ackert der Caplan ſeine ſieben magern Juch- arten mit entlehntem Geſpann. Dieß iſt keine Reminiscenz aus den römiſchen Elegikern, ſondern eigene moderne Empfindung, und die Parallele dazu, eine wahre, nicht künſtlich bucoliſche Schilderung des Landlebens, wird uns zu Ende dieſes Abſchnitts auch nicht fehlen. Genreland- ſchaft. Man könnte nun einwenden, daß unſere deutſchen Meiſter des beginnenden XVI. Jahrhunderts ſolche rea- liſtiſche Umgebungen des Menſchenlebens bisweilen mit vollſter Meiſterſchaft darſtellen, wie z. B. Albrecht Dürer in ſeinem Kupferſtich des verlorenen Sohnes. Aber es ſind zwei ganz verſchiedene Dinge, ob ein Maler, der mit dem Realismus großgewachſen, ſolche Scenerien beifügt, oder ob ein Dichter, der ſich ſonſt ideal und mythologiſch drapirt, aus innerm Drange in die Wirklichkeit niederſteigt. Ueberdieß iſt die zeitliche Priorität hier wie bei den Schil- derungen des Landlebens auf der Seite der italieniſchen Dichter. Zu der Entdeckung der Welt fügt die Cultur der Renaiſſance eine noch größere Leiſtung, indem ſie zuerſt den Entdeckung des Menſchen. 1) Lettere pittoriche III, 36. An Tizian, Mai 1544. 2) Strozii poetæ, in den Erotica, L. VI, p. 182, s.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/313>, abgerufen am 26.04.2024.