Das Verhältniß der einzelnen Völker zu den höchsten Din-6. Abschnitt. gen, zu Gott, Tugend und Unsterblichkeit, läßt sich wohl bis zu einem gewissen Grade erforschen, niemals aber in strenger Parallele darstellen. Je deutlicher die Aussagen auf diesem Gebiete zu sprechen scheinen, desto mehr muß man sich vor einer unbedingten Annahme, einer Verallgemeinerung der- selben hüten.
Vor Allem gilt dieß von dem Urtheil über die Sitt-Die Moralität u. das Urtheil. lichkeit. Man wird viele einzelne Contraste und Nuancen zwischen den Völkern nachweisen können, die absolute Summe des Ganzen aber zu ziehen ist menschliche Einsicht zu schwach. Die große Verrechnung von Nationalcharacter, Schuld und Gewissen bleibt eine geheime, schon weil die Mängel eine zweite Seite haben, wo sie dann als nationale Eigenschaf- ten, ja als Tugenden erscheinen. Solchen Autoren, welche den Völkern gerne allgemeine Censuren und zwar bisweilen im heftigsten Tone schreiben, muß man ihr Vergnügen lassen. Abendländische Völker können einander mißhandeln, aber glücklicherweise nicht richten. Eine große Nation, die durch Cultur, Thaten und Erlebnisse mit dem Leben der gan- zen neuern Welt verflochten ist, überhört es, ob man sie anklage oder entschuldige; sie lebt weiter mit oder ohne Gutheißen der Theoretiker.
Sechster Abſchnitt. Sitte und Religion.
Das Verhältniß der einzelnen Völker zu den höchſten Din-6. Abſchnitt. gen, zu Gott, Tugend und Unſterblichkeit, läßt ſich wohl bis zu einem gewiſſen Grade erforſchen, niemals aber in ſtrenger Parallele darſtellen. Je deutlicher die Ausſagen auf dieſem Gebiete zu ſprechen ſcheinen, deſto mehr muß man ſich vor einer unbedingten Annahme, einer Verallgemeinerung der- ſelben hüten.
Vor Allem gilt dieß von dem Urtheil über die Sitt-Die Moralität u. das Urtheil. lichkeit. Man wird viele einzelne Contraſte und Nuancen zwiſchen den Völkern nachweiſen können, die abſolute Summe des Ganzen aber zu ziehen iſt menſchliche Einſicht zu ſchwach. Die große Verrechnung von Nationalcharacter, Schuld und Gewiſſen bleibt eine geheime, ſchon weil die Mängel eine zweite Seite haben, wo ſie dann als nationale Eigenſchaf- ten, ja als Tugenden erſcheinen. Solchen Autoren, welche den Völkern gerne allgemeine Cenſuren und zwar bisweilen im heftigſten Tone ſchreiben, muß man ihr Vergnügen laſſen. Abendländiſche Völker können einander mißhandeln, aber glücklicherweiſe nicht richten. Eine große Nation, die durch Cultur, Thaten und Erlebniſſe mit dem Leben der gan- zen neuern Welt verflochten iſt, überhört es, ob man ſie anklage oder entſchuldige; ſie lebt weiter mit oder ohne Gutheißen der Theoretiker.
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[[427]/0437]
Sechster Abſchnitt.
Sitte und Religion.
Das Verhältniß der einzelnen Völker zu den höchſten Din-
gen, zu Gott, Tugend und Unſterblichkeit, läßt ſich wohl bis
zu einem gewiſſen Grade erforſchen, niemals aber in ſtrenger
Parallele darſtellen. Je deutlicher die Ausſagen auf dieſem
Gebiete zu ſprechen ſcheinen, deſto mehr muß man ſich vor
einer unbedingten Annahme, einer Verallgemeinerung der-
ſelben hüten.
6. Abſchnitt.
Vor Allem gilt dieß von dem Urtheil über die Sitt-
lichkeit. Man wird viele einzelne Contraſte und Nuancen
zwiſchen den Völkern nachweiſen können, die abſolute Summe
des Ganzen aber zu ziehen iſt menſchliche Einſicht zu ſchwach.
Die große Verrechnung von Nationalcharacter, Schuld und
Gewiſſen bleibt eine geheime, ſchon weil die Mängel eine
zweite Seite haben, wo ſie dann als nationale Eigenſchaf-
ten, ja als Tugenden erſcheinen. Solchen Autoren, welche
den Völkern gerne allgemeine Cenſuren und zwar bisweilen
im heftigſten Tone ſchreiben, muß man ihr Vergnügen
laſſen. Abendländiſche Völker können einander mißhandeln,
aber glücklicherweiſe nicht richten. Eine große Nation, die
durch Cultur, Thaten und Erlebniſſe mit dem Leben der gan-
zen neuern Welt verflochten iſt, überhört es, ob man ſie
anklage oder entſchuldige; ſie lebt weiter mit oder ohne
Gutheißen der Theoretiker.
Die Moralität
u. das Urtheil.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. [427]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/437>, abgerufen am 17.11.2024.
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