Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite
ganz allein und hat sich hingesetzt und hat geweint: Hab'
nicht Vater noch Mutter, hab' nicht Sonne, Mond und
Sterne und nicht die Erde. Und da sitzt es noch und ist
ganz allein.
Marie (drückt angstvoll ihr Kind an die Brust). Ach! wenn
ich todt bin! Bas', sie hat mir das Herz schwer gemacht.
Mein armer Wurm! Wenn ich todt bin!
Kaserne.
Andres. Wozzeck (kramt in seinen Sachen)
Wozzeck. Das Kamisölchen, Andres, gehört nit zur
Montur. Du kannst's brauchen, Andres! Das Kreuz ist
meiner Schwester und das Ringlein, ich hab' auch noch zwei
Herzen, schön Gold. Das da lag in meiner Mutter Bibel,
und da steht:

Leiden sei all mein Gewinnst,
Leiden sei mein Gottesdienst,
Herr! wie Dein Leib war roth und wund,
So laß mein Herz sein alle Stund.
Andres (ganz starr, sieht ihn verwundert an, schüttelt den
Kopf, sagt zu Allem)
Jawohl!
Wozzeck (zieht ein Papier hervor). Johann Franz Wozzeck,
Wehrmann und Füselier im 2. Regiment, 2. Bataillon,
4. Kompagnie, geboren Mariä Verkündigung 20. Juli
(murmelt die Jahreszahl). Ich bin heut alt 30 Jahr, 7
Monat und 12 Tag.

13 *
ganz allein und hat ſich hingeſetzt und hat geweint: Hab'
nicht Vater noch Mutter, hab' nicht Sonne, Mond und
Sterne und nicht die Erde. Und da ſitzt es noch und iſt
ganz allein.
Marie (drückt angſtvoll ihr Kind an die Bruſt). Ach! wenn
ich todt bin! Bas', ſie hat mir das Herz ſchwer gemacht.
Mein armer Wurm! Wenn ich todt bin!
Kaſerne.
Andres. Wozzeck (kramt in ſeinen Sachen)
Wozzeck. Das Kamiſölchen, Andres, gehört nit zur
Montur. Du kannſt's brauchen, Andres! Das Kreuz iſt
meiner Schweſter und das Ringlein, ich hab' auch noch zwei
Herzen, ſchön Gold. Das da lag in meiner Mutter Bibel,
und da ſteht:

Leiden ſei all mein Gewinnſt,
Leiden ſei mein Gottesdienſt,
Herr! wie Dein Leib war roth und wund,
So laß mein Herz ſein alle Stund.
Andres (ganz ſtarr, ſieht ihn verwundert an, ſchüttelt den
Kopf, ſagt zu Allem)
Jawohl!
Wozzeck (zieht ein Papier hervor). Johann Franz Wozzeck,
Wehrmann und Füſelier im 2. Regiment, 2. Bataillon,
4. Kompagnie, geboren Mariä Verkündigung 20. Juli
(murmelt die Jahreszahl). Ich bin heut alt 30 Jahr, 7
Monat und 12 Tag.

13 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div type="scene" n="3">
            <sp who="#ALTF">
              <p><pb facs="#f0391" n="195"/>
ganz allein und hat &#x017F;ich hinge&#x017F;etzt und hat geweint: Hab'<lb/>
nicht Vater noch Mutter, hab' nicht Sonne, Mond und<lb/>
Sterne und nicht die Erde. Und da &#x017F;itzt es noch und i&#x017F;t<lb/>
ganz allein.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#MARIE">
              <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Marie</hi> </hi> </speaker>
              <stage>(drückt ang&#x017F;tvoll ihr Kind an die Bru&#x017F;t).</stage>
              <p>Ach! wenn<lb/>
ich todt bin! Bas', &#x017F;ie hat mir das Herz &#x017F;chwer gemacht.<lb/>
Mein armer Wurm! Wenn ich todt bin!</p>
            </sp>
          </div><lb/>
          <div type="scene" n="3">
            <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Ka&#x017F;erne</hi>.</hi> </hi> </hi> </head><lb/>
            <stage> <hi rendition="#c"><hi rendition="#fr"><hi rendition="#b">Andres. Wozzeck</hi></hi> (kramt in &#x017F;einen Sachen)</hi> </stage><lb/>
            <sp who="#WOZ">
              <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Wozzeck.</hi> </hi> </speaker>
              <p>Das Kami&#x017F;ölchen, Andres, gehört nit zur<lb/>
Montur. Du kann&#x017F;t's brauchen, Andres! Das Kreuz i&#x017F;t<lb/>
meiner Schwe&#x017F;ter und das Ringlein, ich hab' auch noch zwei<lb/>
Herzen, &#x017F;chön Gold. Das da lag in meiner Mutter Bibel,<lb/>
und da &#x017F;teht:</p><lb/>
              <lg type="poem">
                <l>Leiden &#x017F;ei all mein Gewinn&#x017F;t,</l><lb/>
                <l>Leiden &#x017F;ei mein Gottesdien&#x017F;t,</l><lb/>
                <l>Herr! wie Dein Leib war roth und wund,</l><lb/>
                <l>So laß mein Herz &#x017F;ein alle Stund.</l>
              </lg>
            </sp><lb/>
            <sp who="#AND">
              <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Andres</hi> </hi> </speaker>
              <stage>(ganz &#x017F;tarr, &#x017F;ieht ihn verwundert an, &#x017F;chüttelt den<lb/>
Kopf, &#x017F;agt zu Allem)</stage>
              <p>Jawohl!</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#WOZ">
              <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Wozzeck</hi> </hi> </speaker>
              <stage>(zieht ein Papier hervor).</stage>
              <p>Johann Franz Wozzeck,<lb/>
Wehrmann und Fü&#x017F;elier im 2. Regiment, 2. Bataillon,<lb/>
4. Kompagnie, geboren Mariä Verkündigung 20. Juli<lb/><stage>(murmelt die Jahreszahl).</stage> Ich bin heut alt 30 Jahr, 7<lb/>
Monat und 12 Tag.</p>
            </sp><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">13 *</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0391] ganz allein und hat ſich hingeſetzt und hat geweint: Hab' nicht Vater noch Mutter, hab' nicht Sonne, Mond und Sterne und nicht die Erde. Und da ſitzt es noch und iſt ganz allein. Marie (drückt angſtvoll ihr Kind an die Bruſt). Ach! wenn ich todt bin! Bas', ſie hat mir das Herz ſchwer gemacht. Mein armer Wurm! Wenn ich todt bin! Kaſerne. Andres. Wozzeck (kramt in ſeinen Sachen) Wozzeck. Das Kamiſölchen, Andres, gehört nit zur Montur. Du kannſt's brauchen, Andres! Das Kreuz iſt meiner Schweſter und das Ringlein, ich hab' auch noch zwei Herzen, ſchön Gold. Das da lag in meiner Mutter Bibel, und da ſteht: Leiden ſei all mein Gewinnſt, Leiden ſei mein Gottesdienſt, Herr! wie Dein Leib war roth und wund, So laß mein Herz ſein alle Stund. Andres (ganz ſtarr, ſieht ihn verwundert an, ſchüttelt den Kopf, ſagt zu Allem) Jawohl! Wozzeck (zieht ein Papier hervor). Johann Franz Wozzeck, Wehrmann und Füſelier im 2. Regiment, 2. Bataillon, 4. Kompagnie, geboren Mariä Verkündigung 20. Juli (murmelt die Jahreszahl). Ich bin heut alt 30 Jahr, 7 Monat und 12 Tag. 13 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/391
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/391>, abgerufen am 21.12.2024.