Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.
Luft ist nicht mehr so hell und kalt, der Himmel senkt sich glühend dicht um mich, und schwere Tropfen fallen. -- O diese Stimme: ist denn der Weg so lang? Es reden viele Stimmen über die Erde, und man meint, sie sprächen von anderen Dingen, aber ich habe sie verstanden. Sie ruht auf mir wie der Geist, da er über den Wassern schwebte, -- eh' das Licht ward. Welch' Gähren in der Tiefe, welch' Werden in mir, wie sich die Stimme durch den Raum gießt! Ist denn der Weg so lang? (Geht ab.) Valerio. Nein, der Weg zum Narrenhaus ist nicht so lang, er ist leicht zu finden, ich kenne alle Fußpfade, alle Vicinalwege und Chausseen. Ich sehe ihn schon auf einer breiten Allee dahin, an einem eiskalten Wintertage, den Hut unter dem Arm, wie er sich in die langen Schatten unter die kahlen Bäume stellt und mit dem Schnupftuch fächelt. -- Er ist ein Narr! (Folgt ihm.) Dritte Scene. Ein Zimmer. Lena. Die Gouvernante. Gouvernante. Denken Sie nicht an den Menschen. Lena. Er war so alt unter seinen blonden Locken. Den Frühling auf den Wangen und den Winter im Herzen. Das ist traurig. Der müde Leib findet sein Schlafkissen überall, doch wenn der Geist müd' ist, wo soll er ruhen? Es kommt
Luft iſt nicht mehr ſo hell und kalt, der Himmel ſenkt ſich glühend dicht um mich, und ſchwere Tropfen fallen. — O dieſe Stimme: iſt denn der Weg ſo lang? Es reden viele Stimmen über die Erde, und man meint, ſie ſprächen von anderen Dingen, aber ich habe ſie verſtanden. Sie ruht auf mir wie der Geiſt, da er über den Waſſern ſchwebte, — eh' das Licht ward. Welch' Gähren in der Tiefe, welch' Werden in mir, wie ſich die Stimme durch den Raum gießt! Iſt denn der Weg ſo lang? (Geht ab.) Valerio. Nein, der Weg zum Narrenhaus iſt nicht ſo lang, er iſt leicht zu finden, ich kenne alle Fußpfade, alle Vicinalwege und Chauſſeen. Ich ſehe ihn ſchon auf einer breiten Allee dahin, an einem eiskalten Wintertage, den Hut unter dem Arm, wie er ſich in die langen Schatten unter die kahlen Bäume ſtellt und mit dem Schnupftuch fächelt. — Er iſt ein Narr! (Folgt ihm.) Dritte Scene. Ein Zimmer. Lena. Die Gouvernante. Gouvernante. Denken Sie nicht an den Menſchen. Lena. Er war ſo alt unter ſeinen blonden Locken. Den Frühling auf den Wangen und den Winter im Herzen. Das iſt traurig. Der müde Leib findet ſein Schlafkiſſen überall, doch wenn der Geiſt müd' iſt, wo ſoll er ruhen? Es kommt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3" type="act"> <div n="4" type="scene"> <sp who="#LEO"> <p><pb n="142" facs="#f0338"/> Luft iſt nicht mehr ſo hell und kalt, der Himmel ſenkt ſich<lb/> glühend dicht um mich, und ſchwere Tropfen fallen. — O<lb/> dieſe Stimme: iſt denn der Weg ſo lang? Es reden viele<lb/> Stimmen über die Erde, und man meint, ſie ſprächen von<lb/> anderen Dingen, aber ich habe ſie verſtanden. Sie ruht auf<lb/> mir wie der Geiſt, da er über den Waſſern ſchwebte, —<lb/> eh' das Licht ward. Welch' Gähren in der Tiefe, welch'<lb/> Werden in mir, wie ſich die Stimme durch den Raum gießt!<lb/> Iſt denn der Weg ſo lang?</p> <stage>(Geht ab.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#VAL"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Valerio.</hi> </hi> </speaker> <p>Nein, der Weg zum Narrenhaus iſt nicht<lb/> ſo lang, er iſt leicht zu finden, ich kenne alle Fußpfade, alle<lb/> Vicinalwege und Chauſſeen. Ich ſehe ihn ſchon auf einer<lb/> breiten Allee dahin, an einem eiskalten Wintertage, den Hut<lb/> unter dem Arm, wie er ſich in die langen Schatten unter<lb/> die kahlen Bäume ſtellt und mit dem Schnupftuch fächelt.<lb/> — Er iſt ein Narr!</p> <stage>(Folgt ihm.)</stage> </sp> </div><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> <div n="4" type="scene"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Dritte Scene</hi>.</hi> </hi> </hi> </head><lb/> <stage>Ein Zimmer.<lb/><hi rendition="#fr"><hi rendition="#b">Lena.</hi></hi> Die <hi rendition="#fr"><hi rendition="#b">Gouvernante.</hi></hi></stage><lb/> <sp who="#GOU"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Gouvernante.</hi> </hi> </speaker> <p>Denken Sie nicht an den Menſchen.</p> </sp><lb/> <sp who="#LENA"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Lena.</hi> </hi> </speaker> <p>Er war ſo alt unter ſeinen blonden Locken. Den<lb/> Frühling auf den Wangen und den Winter im Herzen. Das<lb/> iſt traurig. Der müde Leib findet ſein Schlafkiſſen überall,<lb/> doch wenn der Geiſt müd' iſt, wo ſoll er ruhen? Es kommt<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [142/0338]
Luft iſt nicht mehr ſo hell und kalt, der Himmel ſenkt ſich
glühend dicht um mich, und ſchwere Tropfen fallen. — O
dieſe Stimme: iſt denn der Weg ſo lang? Es reden viele
Stimmen über die Erde, und man meint, ſie ſprächen von
anderen Dingen, aber ich habe ſie verſtanden. Sie ruht auf
mir wie der Geiſt, da er über den Waſſern ſchwebte, —
eh' das Licht ward. Welch' Gähren in der Tiefe, welch'
Werden in mir, wie ſich die Stimme durch den Raum gießt!
Iſt denn der Weg ſo lang? (Geht ab.)
Valerio. Nein, der Weg zum Narrenhaus iſt nicht
ſo lang, er iſt leicht zu finden, ich kenne alle Fußpfade, alle
Vicinalwege und Chauſſeen. Ich ſehe ihn ſchon auf einer
breiten Allee dahin, an einem eiskalten Wintertage, den Hut
unter dem Arm, wie er ſich in die langen Schatten unter
die kahlen Bäume ſtellt und mit dem Schnupftuch fächelt.
— Er iſt ein Narr! (Folgt ihm.)
Dritte Scene.
Ein Zimmer.
Lena. Die Gouvernante.
Gouvernante. Denken Sie nicht an den Menſchen.
Lena. Er war ſo alt unter ſeinen blonden Locken. Den
Frühling auf den Wangen und den Winter im Herzen. Das
iſt traurig. Der müde Leib findet ſein Schlafkiſſen überall,
doch wenn der Geiſt müd' iſt, wo ſoll er ruhen? Es kommt
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Zitationshilfe: | Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/338>, abgerufen am 03.03.2025. |