Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879. Ein Zimmer. Julie. Das Volk lief in den Gassen, jetzt ist Alles still. Keinen Augenblick möcht' ich ihn warten lassen. (Sie zieht eine Phiole hervor.) Komm liebster Priester, dessen Amen uns zu Bette gehen macht. (Sie tritt an's Fenster.) Es ist so hübsch, Abschied zu nehmen; ich habe die Thüre nur noch hinter mir zuzuziehen. (Sie trinkt.) -- Man möchte immer so stehen. -- Die Sonne ist hinunter, der Erde Züge waren so scharf in ihrem Lichte, doch jetzt ist ihr Gesicht so still und ernst, wie einer Sterbenden. -- Wie schön das Abend- licht ihr um Stirn und Wangen spielt. -- Stets bleicher und bleicher wird sie, wie eine Leiche treibt sie abwärts in der Fluth des Aethers; will denn kein Arm sie bei den goldenen Locken fassen und aus dem Strom sie ziehen und begraben? -- Ich gehe leise. Ich küsse sie nicht, daß kein Hauch, kein Seufzer sie aus dem Schlummer wecke. -- Schlafe, schlafe. (Sie stirbt). Der Revolutions-Platz. (Die Wagen kommen angefahren und halten vor der Guillotine Männer und Weiber singen und tanzen die Carmagnole. Die Gefangenen stimmen die Marseillaise an.) Ein Weib mit Kindern. Platz! Platz! Die Kinder schreien, sie haben Hunger. Ich muß sie zusehen machen, daß sie still sind. Platz! Ein Weib. Höre, Danton, du kannst jetzt mit den Würmern Unzucht treiben. Ein Zimmer. Julie. Das Volk lief in den Gaſſen, jetzt iſt Alles ſtill. Keinen Augenblick möcht' ich ihn warten laſſen. (Sie zieht eine Phiole hervor.) Komm liebſter Prieſter, deſſen Amen uns zu Bette gehen macht. (Sie tritt an's Fenſter.) Es iſt ſo hübſch, Abſchied zu nehmen; ich habe die Thüre nur noch hinter mir zuzuziehen. (Sie trinkt.) — Man möchte immer ſo ſtehen. — Die Sonne iſt hinunter, der Erde Züge waren ſo ſcharf in ihrem Lichte, doch jetzt iſt ihr Geſicht ſo ſtill und ernſt, wie einer Sterbenden. — Wie ſchön das Abend- licht ihr um Stirn und Wangen ſpielt. — Stets bleicher und bleicher wird ſie, wie eine Leiche treibt ſie abwärts in der Fluth des Aethers; will denn kein Arm ſie bei den goldenen Locken faſſen und aus dem Strom ſie ziehen und begraben? — Ich gehe leiſe. Ich küſſe ſie nicht, daß kein Hauch, kein Seufzer ſie aus dem Schlummer wecke. — Schlafe, ſchlafe. (Sie ſtirbt). Der Revolutions-Platz. (Die Wagen kommen angefahren und halten vor der Guillotine Männer und Weiber ſingen und tanzen die Carmagnole. Die Gefangenen ſtimmen die Marſeillaiſe an.) Ein Weib mit Kindern. Platz! Platz! Die Kinder ſchreien, ſie haben Hunger. Ich muß ſie zuſehen machen, daß ſie ſtill ſind. Platz! Ein Weib. Höre, Danton, du kannſt jetzt mit den Würmern Unzucht treiben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="act" n="3"> <pb facs="#f0289" n="93"/> <div type="scene" n="4"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Ein Zimmer</hi>.</hi> </hi> </hi> </head><lb/> <sp who="#JUL"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Julie.</hi> </hi> </speaker> <p>Das Volk lief in den Gaſſen, jetzt iſt Alles<lb/> ſtill. Keinen Augenblick möcht' ich ihn warten laſſen. <stage>(Sie<lb/> zieht eine Phiole hervor.)</stage> Komm liebſter Prieſter, deſſen Amen<lb/> uns zu Bette gehen macht. <stage>(Sie tritt an's Fenſter.)</stage> Es iſt<lb/> ſo hübſch, Abſchied zu nehmen; ich habe die Thüre nur noch<lb/> hinter mir zuzuziehen. <stage>(Sie trinkt.)</stage> — Man möchte immer<lb/> ſo ſtehen. — Die Sonne iſt hinunter, der Erde Züge waren<lb/> ſo ſcharf in ihrem Lichte, doch jetzt iſt ihr Geſicht ſo ſtill<lb/> und ernſt, wie einer Sterbenden. — Wie ſchön das Abend-<lb/> licht ihr um Stirn und Wangen ſpielt. — Stets bleicher<lb/> und bleicher wird ſie, wie eine Leiche treibt ſie abwärts in<lb/> der Fluth des Aethers; will denn kein Arm ſie bei den<lb/> goldenen Locken faſſen und aus dem Strom ſie ziehen und<lb/> begraben? — Ich gehe leiſe. Ich küſſe ſie nicht, daß kein<lb/> Hauch, kein Seufzer ſie aus dem Schlummer wecke. —<lb/> Schlafe, ſchlafe.</p> <stage> <hi rendition="#et">(Sie ſtirbt).</hi> </stage> </sp> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div type="scene" n="4"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Der Revolutions</hi>-<hi rendition="#g">Platz</hi>.</hi> </hi> </hi> </head><lb/> <stage>(Die Wagen kommen angefahren und halten vor der Guillotine<lb/> Männer und Weiber ſingen und tanzen die Carmagnole.<lb/> Die Gefangenen ſtimmen die Marſeillaiſe an.)</stage><lb/> <sp who="#WEIB"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Ein Weib mit Kindern.</hi> </hi> </speaker> <p>Platz! Platz! Die Kinder<lb/> ſchreien, ſie haben Hunger. Ich muß ſie zuſehen machen,<lb/> daß ſie ſtill ſind. Platz!</p> </sp><lb/> <sp who="#WEIB"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Ein Weib.</hi> </hi> </speaker> <p>Höre, Danton, du kannſt jetzt mit den<lb/> Würmern Unzucht treiben.</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0289]
Ein Zimmer.
Julie. Das Volk lief in den Gaſſen, jetzt iſt Alles
ſtill. Keinen Augenblick möcht' ich ihn warten laſſen. (Sie
zieht eine Phiole hervor.) Komm liebſter Prieſter, deſſen Amen
uns zu Bette gehen macht. (Sie tritt an's Fenſter.) Es iſt
ſo hübſch, Abſchied zu nehmen; ich habe die Thüre nur noch
hinter mir zuzuziehen. (Sie trinkt.) — Man möchte immer
ſo ſtehen. — Die Sonne iſt hinunter, der Erde Züge waren
ſo ſcharf in ihrem Lichte, doch jetzt iſt ihr Geſicht ſo ſtill
und ernſt, wie einer Sterbenden. — Wie ſchön das Abend-
licht ihr um Stirn und Wangen ſpielt. — Stets bleicher
und bleicher wird ſie, wie eine Leiche treibt ſie abwärts in
der Fluth des Aethers; will denn kein Arm ſie bei den
goldenen Locken faſſen und aus dem Strom ſie ziehen und
begraben? — Ich gehe leiſe. Ich küſſe ſie nicht, daß kein
Hauch, kein Seufzer ſie aus dem Schlummer wecke. —
Schlafe, ſchlafe. (Sie ſtirbt).
Der Revolutions-Platz.
(Die Wagen kommen angefahren und halten vor der Guillotine
Männer und Weiber ſingen und tanzen die Carmagnole.
Die Gefangenen ſtimmen die Marſeillaiſe an.)
Ein Weib mit Kindern. Platz! Platz! Die Kinder
ſchreien, ſie haben Hunger. Ich muß ſie zuſehen machen,
daß ſie ſtill ſind. Platz!
Ein Weib. Höre, Danton, du kannſt jetzt mit den
Würmern Unzucht treiben.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |