Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879. Das Luxemburg. Ein Corridor. Lacroix, Danton, Mercier und andere Gefangene auf- und abgehend. Lacroix (zu einem Gefangenen). Wie, so viel Unglück- liche in einem so elenden Zustande? Der Gefangene. Haben Ihnen die Guillotinen-Karren nie gesagt, daß Paris eine Schlachtbank ist? Mercier. Nicht wahr, Lacroix? Die Gleichheit schwingt ihre Sichel über allen Häuptern, die Lava der Revolution fließt, die Guillotine republikanisirt! Da klatschen die Galle- rien, und die Römer reiben sich die Hände; aber sie hören nicht, daß jedes dieser Worte das Röcheln eines Opfers ist. Geht einmal Euern Phrasen nach, bis zu dem Punkte, wo sie verkörpert werden. Blickt um Euch, das Alles habt Ihr gesprochen, es ist eine mimische Uebersetzung Eurer Worte. Diese Elenden, ihre Henker und die Guillotine sind Eure lebendig gewordenen Reden. Ihr bauet Euer System, wie Bajazet seine Pyramiden, aus Menschenköpfen. Danton. Du hast Recht! -- Man arbeitet heut zu Tag Alles in Menschenfleisch. Das ist der Fluch unserer Zeit. Mein Leib wird jetzt auch verbraucht. -- Es ist gerade ein Jahr, daß ich das Revolutions-Tribunal schuf. Ich bitte Gott und die Menschen dafür um Verzeihung, ich wollte neuen Septembermorden zuvorkommen, ich hoffte, Un- schuldige zu retten, aber dieser langsame Mord mit seinen Formalitäten ist gräßlicher und eben so unvermeidlich. Meine Herren, ich hoffte, Sie Alle diesen Ort verlassen zu machen. Mercier. O, herausgehen werden wir. Das Luxemburg. Ein Corridor. Lacroix, Danton, Mercier und andere Gefangene auf- und abgehend. Lacroix (zu einem Gefangenen). Wie, ſo viel Unglück- liche in einem ſo elenden Zuſtande? Der Gefangene. Haben Ihnen die Guillotinen-Karren nie geſagt, daß Paris eine Schlachtbank iſt? Mercier. Nicht wahr, Lacroix? Die Gleichheit ſchwingt ihre Sichel über allen Häuptern, die Lava der Revolution fließt, die Guillotine republikaniſirt! Da klatſchen die Galle- rien, und die Römer reiben ſich die Hände; aber ſie hören nicht, daß jedes dieſer Worte das Röcheln eines Opfers iſt. Geht einmal Euern Phraſen nach, bis zu dem Punkte, wo ſie verkörpert werden. Blickt um Euch, das Alles habt Ihr geſprochen, es iſt eine mimiſche Ueberſetzung Eurer Worte. Dieſe Elenden, ihre Henker und die Guillotine ſind Eure lebendig gewordenen Reden. Ihr bauet Euer Syſtem, wie Bajazet ſeine Pyramiden, aus Menſchenköpfen. Danton. Du haſt Recht! — Man arbeitet heut zu Tag Alles in Menſchenfleiſch. Das iſt der Fluch unſerer Zeit. Mein Leib wird jetzt auch verbraucht. — Es iſt gerade ein Jahr, daß ich das Revolutions-Tribunal ſchuf. Ich bitte Gott und die Menſchen dafür um Verzeihung, ich wollte neuen Septembermorden zuvorkommen, ich hoffte, Un- ſchuldige zu retten, aber dieſer langſame Mord mit ſeinen Formalitäten iſt gräßlicher und eben ſo unvermeidlich. Meine Herren, ich hoffte, Sie Alle dieſen Ort verlaſſen zu machen. Mercier. O, herausgehen werden wir. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3" type="act"> <pb n="64" facs="#f0260"/> <div n="4" type="scene"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Das Luxemburg</hi>.</hi> </hi> </hi> </head><lb/> <stage>Ein Corridor.<lb/><hi rendition="#fr"><hi rendition="#b">Lacroix, Danton, Mercier</hi></hi> und andere Gefangene auf- und abgehend.</stage><lb/> <sp who="#LAC"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Lacroix</hi> </hi> </speaker> <stage>(zu einem Gefangenen).</stage> <p>Wie, ſo viel Unglück-<lb/> liche in einem ſo elenden Zuſtande?</p> </sp><lb/> <sp who="#GEFANG"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Der Gefangene.</hi> </hi> </speaker> <p>Haben Ihnen die Guillotinen-Karren<lb/> nie geſagt, daß Paris eine Schlachtbank iſt?</p> </sp><lb/> <sp who="#MERCIER"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Mercier.</hi> </hi> </speaker> <p>Nicht wahr, Lacroix? 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Das Luxemburg.
Ein Corridor.
Lacroix, Danton, Mercier und andere Gefangene auf- und abgehend.
Lacroix (zu einem Gefangenen). Wie, ſo viel Unglück-
liche in einem ſo elenden Zuſtande?
Der Gefangene. Haben Ihnen die Guillotinen-Karren
nie geſagt, daß Paris eine Schlachtbank iſt?
Mercier. Nicht wahr, Lacroix? Die Gleichheit ſchwingt
ihre Sichel über allen Häuptern, die Lava der Revolution
fließt, die Guillotine republikaniſirt! Da klatſchen die Galle-
rien, und die Römer reiben ſich die Hände; aber ſie hören
nicht, daß jedes dieſer Worte das Röcheln eines Opfers iſt.
Geht einmal Euern Phraſen nach, bis zu dem Punkte, wo
ſie verkörpert werden. Blickt um Euch, das Alles habt Ihr
geſprochen, es iſt eine mimiſche Ueberſetzung Eurer Worte.
Dieſe Elenden, ihre Henker und die Guillotine ſind Eure
lebendig gewordenen Reden. Ihr bauet Euer Syſtem, wie
Bajazet ſeine Pyramiden, aus Menſchenköpfen.
Danton. Du haſt Recht! — Man arbeitet heut zu
Tag Alles in Menſchenfleiſch. Das iſt der Fluch unſerer
Zeit. Mein Leib wird jetzt auch verbraucht. — Es iſt
gerade ein Jahr, daß ich das Revolutions-Tribunal ſchuf.
Ich bitte Gott und die Menſchen dafür um Verzeihung, ich
wollte neuen Septembermorden zuvorkommen, ich hoffte, Un-
ſchuldige zu retten, aber dieſer langſame Mord mit ſeinen
Formalitäten iſt gräßlicher und eben ſo unvermeidlich. Meine
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Zitationshilfe: | Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/260>, abgerufen am 03.03.2025. |