Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.
meines Athems nicht Lärmen machen. (Er setzt sich nieder, nach einer Pause.) Man hat mir von einer Krankheit erzählt, die einem das Gedächtniß verlieren mache. Der Tod soll etwas davon haben. Dann kommt mir manchmal die Hoffnung, daß er vielleicht noch kräftiger wirke und einem Alles verlieren mache. -- Wenn das wäre! -- Dann lief' ich wie ein Christ, um einen Feind, das heißt mein Gedächtniß, zu retten. -- Der Ort soll sicher sein, ja für mein Gedächtniß, aber nicht für mich; mir gibt das Grab mehr Sicherheit, es schafft mir wenigstens Vergessen. Es tödtet mein Gedächtniß. Dort aber lebt mein Gedächtniß und tödtet mich. Ich oder es? Die Antwort ist leicht. (Er erhebt sich und kehrt um.) -- Ich kokettire mit dem Tod, es ist ganz angenehm, so aus der Ferne mit dem Lorgnon mit ihm zu liebäugeln. -- Eigent- lich muß ich über die ganze Geschichte lachen. Es ist ein Gefühl des Bleibens in mir, was mir sagt: morgen und übermorgen und weiter hinaus ist Alles wie eben. Das ist ein leerer Lärm, man will mich schrecken; sie werden's nicht wagen! (Ab.) Ein Zimmer. (Es ist Nacht.) Danton (am Fenster) Will denn das nie aufhören? Wird das Licht nie ausglühen und der Schall nie modern? Will's denn nie still und dunkel werden, daß wir uns die garstigen Sünden einander nicht mehr anhören und ansehen? -- September! --
meines Athems nicht Lärmen machen. (Er ſetzt ſich nieder, nach einer Pauſe.) Man hat mir von einer Krankheit erzählt, die einem das Gedächtniß verlieren mache. Der Tod ſoll etwas davon haben. Dann kommt mir manchmal die Hoffnung, daß er vielleicht noch kräftiger wirke und einem Alles verlieren mache. — Wenn das wäre! — Dann lief' ich wie ein Chriſt, um einen Feind, das heißt mein Gedächtniß, zu retten. — Der Ort ſoll ſicher ſein, ja für mein Gedächtniß, aber nicht für mich; mir gibt das Grab mehr Sicherheit, es ſchafft mir wenigſtens Vergeſſen. Es tödtet mein Gedächtniß. Dort aber lebt mein Gedächtniß und tödtet mich. Ich oder es? Die Antwort iſt leicht. (Er erhebt ſich und kehrt um.) — Ich kokettire mit dem Tod, es iſt ganz angenehm, ſo aus der Ferne mit dem Lorgnon mit ihm zu liebäugeln. — Eigent- lich muß ich über die ganze Geſchichte lachen. Es iſt ein Gefühl des Bleibens in mir, was mir ſagt: morgen und übermorgen und weiter hinaus iſt Alles wie eben. Das iſt ein leerer Lärm, man will mich ſchrecken; ſie werden's nicht wagen! (Ab.) Ein Zimmer. (Es iſt Nacht.) Danton (am Fenſter) Will denn das nie aufhören? Wird das Licht nie ausglühen und der Schall nie modern? Will's denn nie ſtill und dunkel werden, daß wir uns die garſtigen Sünden einander nicht mehr anhören und anſehen? — September! — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="act" n="3"> <div type="scene" n="4"> <sp who="#DANTON"> <p><pb facs="#f0243" n="47"/> meines Athems nicht Lärmen machen. <stage>(Er ſetzt ſich nieder, nach<lb/> einer Pauſe.)</stage> Man hat mir von einer Krankheit erzählt, die<lb/> einem das Gedächtniß verlieren mache. Der Tod ſoll etwas<lb/> davon haben. Dann kommt mir manchmal die Hoffnung, daß<lb/> er vielleicht noch kräftiger wirke und einem <hi rendition="#g">Alles</hi> verlieren<lb/> mache. — Wenn das wäre! — Dann lief' ich wie ein Chriſt,<lb/> um einen Feind, das heißt mein Gedächtniß, zu retten. —<lb/> Der Ort ſoll ſicher ſein, ja für mein Gedächtniß, aber nicht<lb/> für mich; mir gibt das Grab mehr Sicherheit, es ſchafft<lb/> mir wenigſtens <hi rendition="#g">Vergeſſen</hi>. Es tödtet mein Gedächtniß.<lb/> Dort aber lebt mein Gedächtniß und tödtet mich. Ich oder<lb/> es? Die Antwort iſt leicht. <stage>(Er erhebt ſich und kehrt um.)</stage> —<lb/> Ich kokettire mit dem Tod, es iſt ganz angenehm, ſo aus<lb/> der Ferne mit dem Lorgnon mit ihm zu liebäugeln. — Eigent-<lb/> lich muß ich über die ganze Geſchichte lachen. Es iſt ein<lb/> Gefühl des Bleibens in mir, was mir ſagt: morgen und<lb/> übermorgen und weiter hinaus iſt Alles wie eben. Das<lb/> iſt ein leerer Lärm, man will mich ſchrecken; ſie werden's<lb/> nicht wagen!</p> <stage> <hi rendition="#et">(Ab.)</hi> </stage> </sp> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div type="scene" n="4"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Ein Zimmer</hi>.</hi> </hi> </hi> </head><lb/> <stage> <hi rendition="#c">(Es iſt Nacht.)</hi> </stage><lb/> <sp who="#DANTON"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Danton</hi> </hi> </speaker> <stage>(am Fenſter)</stage> <p>Will denn das nie aufhören?<lb/> Wird das Licht nie ausglühen und der Schall nie modern?<lb/> Will's denn nie ſtill und dunkel werden, daß wir uns die<lb/> garſtigen Sünden einander nicht mehr anhören und anſehen?<lb/> — September! —</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [47/0243]
meines Athems nicht Lärmen machen. (Er ſetzt ſich nieder, nach
einer Pauſe.) Man hat mir von einer Krankheit erzählt, die
einem das Gedächtniß verlieren mache. Der Tod ſoll etwas
davon haben. Dann kommt mir manchmal die Hoffnung, daß
er vielleicht noch kräftiger wirke und einem Alles verlieren
mache. — Wenn das wäre! — Dann lief' ich wie ein Chriſt,
um einen Feind, das heißt mein Gedächtniß, zu retten. —
Der Ort ſoll ſicher ſein, ja für mein Gedächtniß, aber nicht
für mich; mir gibt das Grab mehr Sicherheit, es ſchafft
mir wenigſtens Vergeſſen. Es tödtet mein Gedächtniß.
Dort aber lebt mein Gedächtniß und tödtet mich. Ich oder
es? Die Antwort iſt leicht. (Er erhebt ſich und kehrt um.) —
Ich kokettire mit dem Tod, es iſt ganz angenehm, ſo aus
der Ferne mit dem Lorgnon mit ihm zu liebäugeln. — Eigent-
lich muß ich über die ganze Geſchichte lachen. Es iſt ein
Gefühl des Bleibens in mir, was mir ſagt: morgen und
übermorgen und weiter hinaus iſt Alles wie eben. Das
iſt ein leerer Lärm, man will mich ſchrecken; ſie werden's
nicht wagen! (Ab.)
Ein Zimmer.
(Es iſt Nacht.)
Danton (am Fenſter) Will denn das nie aufhören?
Wird das Licht nie ausglühen und der Schall nie modern?
Will's denn nie ſtill und dunkel werden, daß wir uns die
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— September! —
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