Dem Diebstahl verwandt, aber sowohl von diesem als vom Raube verschieden, ist eine Gruppe von Missethaten, die man als Unter- schlagung oder als diebliches Behalten zusammenfassen kann. Der Unterschlagung fehlt das Merkmal der Verletzung fremden Gewahr- sams. An die Stelle des auferre, wie es den Diebstahl und Raub charakterisiert, tritt bei der Unterschlagung das Verheimlichen oder Verleugnen der Sache.
Unterschlagung kann begangen werden, wenn der Thäter den Besitz der Sache zwar ohne den Willen des Eigentümers, aber doch ohne strafbare Handlung erlangt hat. So, wenn man eine Sache findet, aber den Fund verheimlicht und die vorgeschriebene Verlaut- barung versäumt101; wenn ein flüchtiger Knecht oder ein Tier dem Nichteigentümer zuläuft und er sie dem Herrn gegenüber verleugnet102 oder sie nicht vorschriftsmässig aufbietet103; wenn ein Knecht, der dem Herrn entflieht, Vermögensstücke einem Dritten anvertraut und dieser sie dem Herrn ableugnet104; wenn jemand eine fremde Sache Dieben oder Räubern abjagt und für sich behält105; wenn der Pfand- nehmer die Pfandnahme dem Eigentümer des gepfändeten Tieres nicht anzeigt oder, falls er ihm unbekannt ist, die Pfändung nicht verlaut- bart106; wenn jemand eine Sache irrtümlich als die eigene in Besitz nimmt und, nachdem er den Irrtum erkannt hat, dem Eigentümer keine Anzeige erstattet107. Diebliches Behalten wird in den gedachten Fällen regelmässig mit der Diebstahlsbusse bedroht108. Doch scheinen die peinlichen Strafen des Diebstahls auf die Unterschlagung nicht ausgedehnt worden zu sein. In nachfränkischer Zeit ist die Anefangs- klage gegen jeden Besitzer der dieblich behaltenen Sache zulässig. Ob und wie weit das bereits in der fränkischen Zeit der Fall war, bleibt zweifelhaft.
Das westgotische und das bairische Recht rechnen zum dieblichen Behalten auch den Fall, dass jemand die Sache durch Vertrag gegen
101 Lex Rib. 75: fur iudicandus est. Lex Baiuw. II 12, 2: furti reputetur.
102 Lex Fris. Add. 7: reddat aut ipsum, quod suscepit, aut aliud simile vel pretium ipsius et pro furto weregildum suum ad partem regis componat.
103 Lex Rib 75.
104 Roth. 262: pro furtum eas (res) reddat.
105 Lex Rib. 75.
106 Siehe oben S. 534, Anm. 17.
107 Roth. 342: reddat eum (caballum) in octogild.
108 Das friesische Recht legt nur einfachen, nicht zweifachen Ersatz auf. Siehe oben Anm. 102.
§ 139. Diebstahl, Raub und Unterschlagung.
3. Die Unterschlagung.
Dem Diebstahl verwandt, aber sowohl von diesem als vom Raube verschieden, ist eine Gruppe von Missethaten, die man als Unter- schlagung oder als diebliches Behalten zusammenfassen kann. Der Unterschlagung fehlt das Merkmal der Verletzung fremden Gewahr- sams. An die Stelle des auferre, wie es den Diebstahl und Raub charakterisiert, tritt bei der Unterschlagung das Verheimlichen oder Verleugnen der Sache.
Unterschlagung kann begangen werden, wenn der Thäter den Besitz der Sache zwar ohne den Willen des Eigentümers, aber doch ohne strafbare Handlung erlangt hat. So, wenn man eine Sache findet, aber den Fund verheimlicht und die vorgeschriebene Verlaut- barung versäumt101; wenn ein flüchtiger Knecht oder ein Tier dem Nichteigentümer zuläuft und er sie dem Herrn gegenüber verleugnet102 oder sie nicht vorschriftsmäſsig aufbietet103; wenn ein Knecht, der dem Herrn entflieht, Vermögensstücke einem Dritten anvertraut und dieser sie dem Herrn ableugnet104; wenn jemand eine fremde Sache Dieben oder Räubern abjagt und für sich behält105; wenn der Pfand- nehmer die Pfandnahme dem Eigentümer des gepfändeten Tieres nicht anzeigt oder, falls er ihm unbekannt ist, die Pfändung nicht verlaut- bart106; wenn jemand eine Sache irrtümlich als die eigene in Besitz nimmt und, nachdem er den Irrtum erkannt hat, dem Eigentümer keine Anzeige erstattet107. Diebliches Behalten wird in den gedachten Fällen regelmäſsig mit der Diebstahlsbuſse bedroht108. Doch scheinen die peinlichen Strafen des Diebstahls auf die Unterschlagung nicht ausgedehnt worden zu sein. In nachfränkischer Zeit ist die Anefangs- klage gegen jeden Besitzer der dieblich behaltenen Sache zulässig. Ob und wie weit das bereits in der fränkischen Zeit der Fall war, bleibt zweifelhaft.
Das westgotische und das bairische Recht rechnen zum dieblichen Behalten auch den Fall, daſs jemand die Sache durch Vertrag gegen
101 Lex Rib. 75: fur iudicandus est. Lex Baiuw. II 12, 2: furti reputetur.
102 Lex Fris. Add. 7: reddat aut ipsum, quod suscepit, aut aliud simile vel pretium ipsius et pro furto weregildum suum ad partem regis componat.
103 Lex Rib 75.
104 Roth. 262: pro furtum eas (res) reddat.
105 Lex Rib. 75.
106 Siehe oben S. 534, Anm. 17.
107 Roth. 342: reddat eum (caballum) in octogild.
108 Das friesische Recht legt nur einfachen, nicht zweifachen Ersatz auf. Siehe oben Anm. 102.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0668"n="650"/><fwplace="top"type="header">§ 139. Diebstahl, Raub und Unterschlagung.</fw><lb/><divn="4"><head>3. Die Unterschlagung.</head><lb/><p>Dem Diebstahl verwandt, aber sowohl von diesem als vom Raube<lb/>
verschieden, ist eine Gruppe von Missethaten, die man als Unter-<lb/>
schlagung oder als diebliches Behalten zusammenfassen kann. Der<lb/>
Unterschlagung fehlt das Merkmal der Verletzung fremden Gewahr-<lb/>
sams. An die Stelle des auferre, wie es den Diebstahl und Raub<lb/>
charakterisiert, tritt bei der Unterschlagung das Verheimlichen oder<lb/>
Verleugnen der Sache.</p><lb/><p>Unterschlagung kann begangen werden, wenn der Thäter den<lb/>
Besitz der Sache zwar ohne den Willen des Eigentümers, aber doch<lb/>
ohne strafbare Handlung erlangt hat. So, wenn man eine Sache<lb/>
findet, aber den Fund verheimlicht und die vorgeschriebene Verlaut-<lb/>
barung versäumt<noteplace="foot"n="101">Lex Rib. 75: fur iudicandus est. Lex Baiuw. II 12, 2: furti reputetur.</note>; wenn ein flüchtiger Knecht oder ein Tier dem<lb/>
Nichteigentümer zuläuft und er sie dem Herrn gegenüber verleugnet<noteplace="foot"n="102">Lex Fris. Add. 7: reddat aut ipsum, quod suscepit, aut aliud simile vel<lb/>
pretium ipsius et pro furto weregildum suum ad partem regis componat.</note><lb/>
oder sie nicht vorschriftsmäſsig aufbietet<noteplace="foot"n="103">Lex Rib 75.</note>; wenn ein Knecht, der<lb/>
dem Herrn entflieht, Vermögensstücke einem Dritten anvertraut und<lb/>
dieser sie dem Herrn ableugnet<noteplace="foot"n="104">Roth. 262: pro furtum eas (res) reddat.</note>; wenn jemand eine fremde Sache<lb/>
Dieben oder Räubern abjagt und für sich behält<noteplace="foot"n="105">Lex Rib. 75.</note>; wenn der Pfand-<lb/>
nehmer die Pfandnahme dem Eigentümer des gepfändeten Tieres nicht<lb/>
anzeigt oder, falls er ihm unbekannt ist, die Pfändung nicht verlaut-<lb/>
bart<noteplace="foot"n="106">Siehe oben S. 534, Anm. 17.</note>; wenn jemand eine Sache irrtümlich als die eigene in Besitz<lb/>
nimmt und, nachdem er den Irrtum erkannt hat, dem Eigentümer keine<lb/>
Anzeige erstattet<noteplace="foot"n="107">Roth. 342: reddat eum (caballum) in octogild.</note>. Diebliches Behalten wird in den gedachten<lb/>
Fällen regelmäſsig mit der Diebstahlsbuſse bedroht<noteplace="foot"n="108">Das friesische Recht legt nur einfachen, nicht zweifachen Ersatz auf. Siehe<lb/>
oben Anm. 102.</note>. Doch scheinen<lb/>
die peinlichen Strafen des Diebstahls auf die Unterschlagung nicht<lb/>
ausgedehnt worden zu sein. In nachfränkischer Zeit ist die Anefangs-<lb/>
klage gegen jeden Besitzer der dieblich behaltenen Sache zulässig.<lb/>
Ob und wie weit das bereits in der fränkischen Zeit der Fall war,<lb/>
bleibt zweifelhaft.</p><lb/><p>Das westgotische und das bairische Recht rechnen zum dieblichen<lb/>
Behalten auch den Fall, daſs jemand die Sache durch Vertrag gegen<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[650/0668]
§ 139. Diebstahl, Raub und Unterschlagung.
3. Die Unterschlagung.
Dem Diebstahl verwandt, aber sowohl von diesem als vom Raube
verschieden, ist eine Gruppe von Missethaten, die man als Unter-
schlagung oder als diebliches Behalten zusammenfassen kann. Der
Unterschlagung fehlt das Merkmal der Verletzung fremden Gewahr-
sams. An die Stelle des auferre, wie es den Diebstahl und Raub
charakterisiert, tritt bei der Unterschlagung das Verheimlichen oder
Verleugnen der Sache.
Unterschlagung kann begangen werden, wenn der Thäter den
Besitz der Sache zwar ohne den Willen des Eigentümers, aber doch
ohne strafbare Handlung erlangt hat. So, wenn man eine Sache
findet, aber den Fund verheimlicht und die vorgeschriebene Verlaut-
barung versäumt 101; wenn ein flüchtiger Knecht oder ein Tier dem
Nichteigentümer zuläuft und er sie dem Herrn gegenüber verleugnet 102
oder sie nicht vorschriftsmäſsig aufbietet 103; wenn ein Knecht, der
dem Herrn entflieht, Vermögensstücke einem Dritten anvertraut und
dieser sie dem Herrn ableugnet 104; wenn jemand eine fremde Sache
Dieben oder Räubern abjagt und für sich behält 105; wenn der Pfand-
nehmer die Pfandnahme dem Eigentümer des gepfändeten Tieres nicht
anzeigt oder, falls er ihm unbekannt ist, die Pfändung nicht verlaut-
bart 106; wenn jemand eine Sache irrtümlich als die eigene in Besitz
nimmt und, nachdem er den Irrtum erkannt hat, dem Eigentümer keine
Anzeige erstattet 107. Diebliches Behalten wird in den gedachten
Fällen regelmäſsig mit der Diebstahlsbuſse bedroht 108. Doch scheinen
die peinlichen Strafen des Diebstahls auf die Unterschlagung nicht
ausgedehnt worden zu sein. In nachfränkischer Zeit ist die Anefangs-
klage gegen jeden Besitzer der dieblich behaltenen Sache zulässig.
Ob und wie weit das bereits in der fränkischen Zeit der Fall war,
bleibt zweifelhaft.
Das westgotische und das bairische Recht rechnen zum dieblichen
Behalten auch den Fall, daſs jemand die Sache durch Vertrag gegen
101 Lex Rib. 75: fur iudicandus est. Lex Baiuw. II 12, 2: furti reputetur.
102 Lex Fris. Add. 7: reddat aut ipsum, quod suscepit, aut aliud simile vel
pretium ipsius et pro furto weregildum suum ad partem regis componat.
103 Lex Rib 75.
104 Roth. 262: pro furtum eas (res) reddat.
105 Lex Rib. 75.
106 Siehe oben S. 534, Anm. 17.
107 Roth. 342: reddat eum (caballum) in octogild.
108 Das friesische Recht legt nur einfachen, nicht zweifachen Ersatz auf. Siehe
oben Anm. 102.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 650. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/668>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.