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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 114. Acht- und Strafvollzug.
zellan, alts. fartelljan, mhd. verzellen 26. Sie geschah nach nordischen
Rechten durch Waffenschlag 27, im Gebiete des sächsischen Rechtes
'mit Fingern und Zungen', durch Aufstippen, Aufrecken der Finger,
nach fränkischen Rechten, indem der Richter eine Fackel schwang 28
oder den Stab zerbrach 29.

§ 114. Acht- und Strafvollzug.

Wilda, Strafrecht S. 281 ff. 484 ff. H. Brunner, Abspaltungen der Friedlosig-
keit Z2 f. RG XI 62. v. Amira, Recht S. 175. 199. Grimm, RA S. 882.
v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 164. Dreyer, Nebenstunden S. 177. Der-
selbe
, Antiquarische Anmerkungen über einige ... in Teutschland und im Norden
üblich gewesene Lebens-, Leibes- und Ehrenstrafen 1792. Sam. Fr. Boehmer,
De executionis poenarum capitalium honestate 1745.

Der Achtvollzug war ursprünglich im allgemeinen Sache der Ge-
samtheit, die den Ächter als ihren gemeinsamen Feind betrachtete
und behandelte. Ihn zu verfolgen, zu töten oder doch wenigstens
festzunehmen, war nicht nur Recht, sondern auch Pflicht der Volks-
genossen. Ebenso waren sie verpflichtet, bei der vermögensrechtlichen
Vollstreckung der Friedlosigkeit dem Aufgebot zur Wüstung des An-
wesens, zum Zugriff auf das Vermögen Folge zu leisten 1.

Jene allgemeine Verfolgungspflicht schloss nicht aus, dass der
öffentliche Beamte selbst gegen den Ächter einschritt oder Organe
bestellte, um ihn aufzuspüren und zu töten, oder dass er im einzelnen
Falle die Gerichtsgemeinde zur Achtvollstreckung bannte. Auch gab

26 Frensdorff a. O. S. 460. Jo. Friedr. Klotzsch, Das Verzellen nach
seiner Bedeutung aus der alten Rechtsverfassung untersucht und durch Urkunden
erläutert, Dresden 1765.
27 Siehe oben I 155.
28 Siehe oben I 170.
29 v. Amira führt S. 176 unter den Förmlichkeiten der Friedloslegung das
Stabbrechen in Klammern und mit einem Fragezeichen an. Dass nach anglo-nor-
mannischem Rechte über den utlagatus der Stab gebrochen wurde, scheint mir aus
Fleta I 38, § 16 (S. 56) hervorzugehen, wo es heisst: utlagati autem et illi, qui
regnum abiuraverunt, et de felonia convicti ab omni appello et libera voce sint
interdicti, eo quod iudicia sua secum deferunt sicut sententialiter condemnati et
igitur frangitur talium baculus. Vgl. Bracton fol. 152: nullum habent
appellum versus aliquem fidelem nec infidelem, quia omnino frangitur eorum bacu-
lus. Über das Stabbrechen aus Anlass des Todesurteils siehe Grimm, RA S. 135 f.
Haltaus, Gloss. Sp. 1714. Die daselbst angeführten Belege gehen nicht sehr
hoch hinauf. Die Rechtssitte wäre einer eingehenden Untersuchung wert.
1 Siehe oben S. 227. 453.
30*

§ 114. Acht- und Strafvollzug.
zellan, alts. fartelljan, mhd. verzellen 26. Sie geschah nach nordischen
Rechten durch Waffenschlag 27, im Gebiete des sächsischen Rechtes
‘mit Fingern und Zungen’, durch Aufstippen, Aufrecken der Finger,
nach fränkischen Rechten, indem der Richter eine Fackel schwang 28
oder den Stab zerbrach 29.

§ 114. Acht- und Strafvollzug.

Wilda, Strafrecht S. 281 ff. 484 ff. H. Brunner, Abspaltungen der Friedlosig-
keit Z2 f. RG XI 62. v. Amira, Recht S. 175. 199. Grimm, RA S. 882.
v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 164. Dreyer, Nebenstunden S. 177. Der-
selbe
, Antiquarische Anmerkungen über einige … in Teutschland und im Norden
üblich gewesene Lebens-, Leibes- und Ehrenstrafen 1792. Sam. Fr. Boehmer,
De executionis poenarum capitalium honestate 1745.

Der Achtvollzug war ursprünglich im allgemeinen Sache der Ge-
samtheit, die den Ächter als ihren gemeinsamen Feind betrachtete
und behandelte. Ihn zu verfolgen, zu töten oder doch wenigstens
festzunehmen, war nicht nur Recht, sondern auch Pflicht der Volks-
genossen. Ebenso waren sie verpflichtet, bei der vermögensrechtlichen
Vollstreckung der Friedlosigkeit dem Aufgebot zur Wüstung des An-
wesens, zum Zugriff auf das Vermögen Folge zu leisten 1.

Jene allgemeine Verfolgungspflicht schloſs nicht aus, daſs der
öffentliche Beamte selbst gegen den Ächter einschritt oder Organe
bestellte, um ihn aufzuspüren und zu töten, oder daſs er im einzelnen
Falle die Gerichtsgemeinde zur Achtvollstreckung bannte. Auch gab

26 Frensdorff a. O. S. 460. Jo. Friedr. Klotzsch, Das Verzellen nach
seiner Bedeutung aus der alten Rechtsverfassung untersucht und durch Urkunden
erläutert, Dresden 1765.
27 Siehe oben I 155.
28 Siehe oben I 170.
29 v. Amira führt S. 176 unter den Förmlichkeiten der Friedloslegung das
Stabbrechen in Klammern und mit einem Fragezeichen an. Daſs nach anglo-nor-
mannischem Rechte über den utlagatus der Stab gebrochen wurde, scheint mir aus
Fleta I 38, § 16 (S. 56) hervorzugehen, wo es heiſst: utlagati autem et illi, qui
regnum abiuraverunt, et de felonia convicti ab omni appello et libera voce sint
interdicti, eo quod iudicia sua secum deferunt sicut sententialiter condemnati et
igitur frangitur talium baculus. Vgl. Bracton fol. 152: nullum habent
appellum versus aliquem fidelem nec infidelem, quia omnino frangitur eorum bacu-
lus. Über das Stabbrechen aus Anlaſs des Todesurteils siehe Grimm, RA S. 135 f.
Haltaus, Gloss. Sp. 1714. Die daselbst angeführten Belege gehen nicht sehr
hoch hinauf. Die Rechtssitte wäre einer eingehenden Untersuchung wert.
1 Siehe oben S. 227. 453.
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[467/0485] § 114. Acht- und Strafvollzug. zellan, alts. fartelljan, mhd. verzellen 26. Sie geschah nach nordischen Rechten durch Waffenschlag 27, im Gebiete des sächsischen Rechtes ‘mit Fingern und Zungen’, durch Aufstippen, Aufrecken der Finger, nach fränkischen Rechten, indem der Richter eine Fackel schwang 28 oder den Stab zerbrach 29. § 114. Acht- und Strafvollzug. Wilda, Strafrecht S. 281 ff. 484 ff. H. Brunner, Abspaltungen der Friedlosig- keit Z2 f. RG XI 62. v. Amira, Recht S. 175. 199. Grimm, RA S. 882. v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 164. Dreyer, Nebenstunden S. 177. Der- selbe, Antiquarische Anmerkungen über einige … in Teutschland und im Norden üblich gewesene Lebens-, Leibes- und Ehrenstrafen 1792. Sam. Fr. Boehmer, De executionis poenarum capitalium honestate 1745. Der Achtvollzug war ursprünglich im allgemeinen Sache der Ge- samtheit, die den Ächter als ihren gemeinsamen Feind betrachtete und behandelte. Ihn zu verfolgen, zu töten oder doch wenigstens festzunehmen, war nicht nur Recht, sondern auch Pflicht der Volks- genossen. Ebenso waren sie verpflichtet, bei der vermögensrechtlichen Vollstreckung der Friedlosigkeit dem Aufgebot zur Wüstung des An- wesens, zum Zugriff auf das Vermögen Folge zu leisten 1. Jene allgemeine Verfolgungspflicht schloſs nicht aus, daſs der öffentliche Beamte selbst gegen den Ächter einschritt oder Organe bestellte, um ihn aufzuspüren und zu töten, oder daſs er im einzelnen Falle die Gerichtsgemeinde zur Achtvollstreckung bannte. Auch gab 26 Frensdorff a. O. S. 460. Jo. Friedr. Klotzsch, Das Verzellen nach seiner Bedeutung aus der alten Rechtsverfassung untersucht und durch Urkunden erläutert, Dresden 1765. 27 Siehe oben I 155. 28 Siehe oben I 170. 29 v. Amira führt S. 176 unter den Förmlichkeiten der Friedloslegung das Stabbrechen in Klammern und mit einem Fragezeichen an. Daſs nach anglo-nor- mannischem Rechte über den utlagatus der Stab gebrochen wurde, scheint mir aus Fleta I 38, § 16 (S. 56) hervorzugehen, wo es heiſst: utlagati autem et illi, qui regnum abiuraverunt, et de felonia convicti ab omni appello et libera voce sint interdicti, eo quod iudicia sua secum deferunt sicut sententialiter condemnati et igitur frangitur talium baculus. Vgl. Bracton fol. 152: nullum habent appellum versus aliquem fidelem nec infidelem, quia omnino frangitur eorum bacu- lus. Über das Stabbrechen aus Anlaſs des Todesurteils siehe Grimm, RA S. 135 f. Haltaus, Gloss. Sp. 1714. Die daselbst angeführten Belege gehen nicht sehr hoch hinauf. Die Rechtssitte wäre einer eingehenden Untersuchung wert. 1 Siehe oben S. 227. 453. 30*

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/485>, abgerufen am 21.11.2024.