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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 108. Das Beweisverfahren.
1. Der Eidgang.

Dem Eidgang1 war wesentlich das Sprechen des Eides, nieder-
ländisch und nordisch Eidspiel2 genannt, und das Antasten des Gegen-
standes, auf den geschworen wurde. Das Sprechen des Eides ist an
bestimmte Worte gebunden. Der Eid wird geleistet cum verborum
contemplatione3. Regelmässig nimmt ihn dem Schwörenden der
Gegner (später der Richter) ab, indem er einen Stab in der Hand
hält und die Eidesformel vorsagt, pronunciat4. Das Abnehmen des
Eides heisst daher auch Eid staben, ein solcher Eid gestabter Eid,
die Eidesleistung und die Eidesformel Eidstab5. Der gestabte Eid
wird wohl auch gestellter Eid6 oder geteilter Eid7, im altfranzösischen
und normannischen Rechte iuramentum escariatum8, in England angel-
sächsich Reimeid, rimad9, anglo-normannisch iuramentum fractum oder
frangens10 genannt. Denn in einzelne Absätze geteilt, muss die Eides-
formel vorgesagt ('gegeben') und nachgesprochen werden. Den Gegensatz
zum gestabten Eide bildet der mit schlichten Worten geschworene, der
ungestabte Eid, nachmals als iuramentum planum, lex plana be-
zeichnet11.


1 Im Nordischen ganga lagh. Grimm, RA S. 893, v. Amira, Recht S. 193.
Sacramenta percurrunt sagen merowingische Urkunden. Siehe unten S. 432, Anm. 44.
2 Eedspel in den Dingtalen von Südholland bei Fruin, Dordrecht II 291, in
den westfriesischen Dingtalen ed. Fruin S. 4. Eidspjall in den Gragas und in der
Njalssaga. Friesisch Ethspil bedeutet dagegen den Amtssprengel oder die Abtei-
lungen einer Stadt (eet hiess auch die Gilde und ihr Versammlungsort, Stallaert,
Gloss. I 390) Rh. WB S. 722. 1041.
3 Lex Rib. 67, 5. Verborum observantiis, Leges Henrici primi 64, 1. Con-
ceptis ritu patrio verbis schon bei Ammian 17, 1, 13.
4 Lex Rib. 67, 3. Dazu Siegel, GV S. 226.
5 Eidstab in Notkers Psalmenübersetzung, Graff, Sprachschatz VI 612. Ed-
staf swerian im Heliand. Nord. eidstafr, ags. adstaef. Grimm, RA S. 902 f.
6 Gestalt eid bei den Baiern. Schmeller, WB II 747. Vgl. Osen-
brüggen
, Alam. Strafrecht S. 388.
7 Deelen den eet, Stallaert, Gloss. I 389. Altfranzösisch deviser le sere-
ment. H. Brunner, Wort und Form im altfranz. Prozess S. 719.
8 Von ahd. *scarjan, scerjan einordnen, zuteilen.
9 Von rim, series, numerus. Aethelstan II 9.
10 Wort und Form S. 720. Die Stelle in Leges Henrici primi 64, 1: con-
tingit etiam anteiuramentum non dari non frangi per alterum, fieri a re ipsa, a
persona, praelatione, natione, merito, verstehe ich dahin, es beruhe auf der Streit-
sache, Person, Rang u. s. w., dass unter Umständen der Voreid nicht vom Gegner
gegeben (über Eid geben Grimm, RA S. 902), nicht gestabt, sondern schlicht ge-
schworen werde; so bei Thanen, Messepriestern, Franken, Fremden u. s. w. Der
folgende Satz: malorum autem infestationibus .. will sagen, der Stabeid sei so ge-
fahrvoll gestaltet, damit der Beweispflichtige lieber ein Ordal wähle.
11 Concilium Lillebonnense v. J. 1080 bei Teulet, Layettes du tresor des
§ 108. Das Beweisverfahren.
1. Der Eidgang.

Dem Eidgang1 war wesentlich das Sprechen des Eides, nieder-
ländisch und nordisch Eidspiel2 genannt, und das Antasten des Gegen-
standes, auf den geschworen wurde. Das Sprechen des Eides ist an
bestimmte Worte gebunden. Der Eid wird geleistet cum verborum
contemplatione3. Regelmäſsig nimmt ihn dem Schwörenden der
Gegner (später der Richter) ab, indem er einen Stab in der Hand
hält und die Eidesformel vorsagt, pronunciat4. Das Abnehmen des
Eides heiſst daher auch Eid staben, ein solcher Eid gestabter Eid,
die Eidesleistung und die Eidesformel Eidstab5. Der gestabte Eid
wird wohl auch gestellter Eid6 oder geteilter Eid7, im altfranzösischen
und normannischen Rechte iuramentum escariatum8, in England angel-
sächsich Reimeid, rímáđ9, anglo-normannisch iuramentum fractum oder
frangens10 genannt. Denn in einzelne Absätze geteilt, muſs die Eides-
formel vorgesagt (‘gegeben’) und nachgesprochen werden. Den Gegensatz
zum gestabten Eide bildet der mit schlichten Worten geschworene, der
ungestabte Eid, nachmals als iuramentum planum, lex plana be-
zeichnet11.


1 Im Nordischen ganga lagh. Grimm, RA S. 893, v. Amira, Recht S. 193.
Sacramenta percurrunt sagen merowingische Urkunden. Siehe unten S. 432, Anm. 44.
2 Eedspel in den Dingtalen von Südholland bei Fruin, Dordrecht II 291, in
den westfriesischen Dingtalen ed. Fruin S. 4. Eiđspjall in den Grágás und in der
Njálssaga. Friesisch Ethspil bedeutet dagegen den Amtssprengel oder die Abtei-
lungen einer Stadt (eet hieſs auch die Gilde und ihr Versammlungsort, Stallaert,
Gloss. I 390) Rh. WB S. 722. 1041.
3 Lex Rib. 67, 5. Verborum observantiis, Leges Henrici primi 64, 1. Con-
ceptis ritu patrio verbis schon bei Ammian 17, 1, 13.
4 Lex Rib. 67, 3. Dazu Siegel, GV S. 226.
5 Eidstab in Notkers Psalmenübersetzung, Graff, Sprachschatz VI 612. Ed-
staf swerian im Heliand. Nord. eiđstafr, ags. áđstæf. Grimm, RA S. 902 f.
6 Gestalt eid bei den Baiern. Schmeller, WB II 747. Vgl. Osen-
brüggen
, Alam. Strafrecht S. 388.
7 Deelen den eet, Stallaert, Gloss. I 389. Altfranzösisch deviser le sere-
ment. H. Brunner, Wort und Form im altfranz. Prozeſs S. 719.
8 Von ahd. *scarjan, scerjan einordnen, zuteilen.
9 Von rím, series, numerus. Aethelstan II 9.
10 Wort und Form S. 720. Die Stelle in Leges Henrici primi 64, 1: con-
tingit etiam anteiuramentum non dari non frangi per alterum, fieri a re ipsa, a
persona, praelatione, natione, merito, verstehe ich dahin, es beruhe auf der Streit-
sache, Person, Rang u. s. w., daſs unter Umständen der Voreid nicht vom Gegner
gegeben (über Eid geben Grimm, RA S. 902), nicht gestabt, sondern schlicht ge-
schworen werde; so bei Thanen, Messepriestern, Franken, Fremden u. s. w. Der
folgende Satz: malorum autem infestationibus .. will sagen, der Stabeid sei so ge-
fahrvoll gestaltet, damit der Beweispflichtige lieber ein Ordal wähle.
11 Concilium Lillebonnense v. J. 1080 bei Teulet, Layettes du trésor des
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[427/0445] § 108. Das Beweisverfahren. 1. Der Eidgang. Dem Eidgang 1 war wesentlich das Sprechen des Eides, nieder- ländisch und nordisch Eidspiel 2 genannt, und das Antasten des Gegen- standes, auf den geschworen wurde. Das Sprechen des Eides ist an bestimmte Worte gebunden. Der Eid wird geleistet cum verborum contemplatione 3. Regelmäſsig nimmt ihn dem Schwörenden der Gegner (später der Richter) ab, indem er einen Stab in der Hand hält und die Eidesformel vorsagt, pronunciat 4. Das Abnehmen des Eides heiſst daher auch Eid staben, ein solcher Eid gestabter Eid, die Eidesleistung und die Eidesformel Eidstab 5. Der gestabte Eid wird wohl auch gestellter Eid 6 oder geteilter Eid 7, im altfranzösischen und normannischen Rechte iuramentum escariatum 8, in England angel- sächsich Reimeid, rímáđ 9, anglo-normannisch iuramentum fractum oder frangens 10 genannt. Denn in einzelne Absätze geteilt, muſs die Eides- formel vorgesagt (‘gegeben’) und nachgesprochen werden. Den Gegensatz zum gestabten Eide bildet der mit schlichten Worten geschworene, der ungestabte Eid, nachmals als iuramentum planum, lex plana be- zeichnet 11. 1 Im Nordischen ganga lagh. Grimm, RA S. 893, v. Amira, Recht S. 193. Sacramenta percurrunt sagen merowingische Urkunden. Siehe unten S. 432, Anm. 44. 2 Eedspel in den Dingtalen von Südholland bei Fruin, Dordrecht II 291, in den westfriesischen Dingtalen ed. Fruin S. 4. Eiđspjall in den Grágás und in der Njálssaga. Friesisch Ethspil bedeutet dagegen den Amtssprengel oder die Abtei- lungen einer Stadt (eet hieſs auch die Gilde und ihr Versammlungsort, Stallaert, Gloss. I 390) Rh. WB S. 722. 1041. 3 Lex Rib. 67, 5. Verborum observantiis, Leges Henrici primi 64, 1. Con- ceptis ritu patrio verbis schon bei Ammian 17, 1, 13. 4 Lex Rib. 67, 3. Dazu Siegel, GV S. 226. 5 Eidstab in Notkers Psalmenübersetzung, Graff, Sprachschatz VI 612. Ed- staf swerian im Heliand. Nord. eiđstafr, ags. áđstæf. Grimm, RA S. 902 f. 6 Gestalt eid bei den Baiern. Schmeller, WB II 747. Vgl. Osen- brüggen, Alam. Strafrecht S. 388. 7 Deelen den eet, Stallaert, Gloss. I 389. Altfranzösisch deviser le sere- ment. H. Brunner, Wort und Form im altfranz. Prozeſs S. 719. 8 Von ahd. *scarjan, scerjan einordnen, zuteilen. 9 Von rím, series, numerus. Aethelstan II 9. 10 Wort und Form S. 720. Die Stelle in Leges Henrici primi 64, 1: con- tingit etiam anteiuramentum non dari non frangi per alterum, fieri a re ipsa, a persona, praelatione, natione, merito, verstehe ich dahin, es beruhe auf der Streit- sache, Person, Rang u. s. w., daſs unter Umständen der Voreid nicht vom Gegner gegeben (über Eid geben Grimm, RA S. 902), nicht gestabt, sondern schlicht ge- schworen werde; so bei Thanen, Messepriestern, Franken, Fremden u. s. w. Der folgende Satz: malorum autem infestationibus .. will sagen, der Stabeid sei so ge- fahrvoll gestaltet, damit der Beweispflichtige lieber ein Ordal wähle. 11 Concilium Lillebonnense v. J. 1080 bei Teulet, Layettes du trésor des

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/445>, abgerufen am 21.11.2024.