Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 82. Centenar und Vikar.
comes fremd. Auch nachmals ist er hier, mit Ausnahme Lothringens,
nicht heimisch geworden. Ein Beamter, der im ostfränkischen Reiche
dem vicecomes der westfränkischen Ämterverfassung ungefähr ent-
spricht, fällt daselbst unter die Kategorie der Grafen 82.

§ 82. Centenar und Vikar.

Waitz, VG II 2, S. 13. 41. 131. III 391. Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung
I 213 ff. Bethmann-Hollweg, Civilprozess IV 414, V 10 ff. Schröder, RG
S. 126. Dahn, Deutsche Geschichte II 591. Beauchet, Histoire de l'organisa-
tion judiciaire en France 1886, S. 11 ff. 217 ff. Fustel de Coulanges, Recher-
ches sur quelques problemes d'histoire 1885, S. 404. Derselbe, Monarchie
franque S. 220. Wilhelm Sickel, Mittheilungen des Instit. f. österr. Geschichts-
forsch. IV 623 ff. Derselbe in den Götting. gel. Anzeigen 1886, S. 559 ff.;
1890, S. 576.

Centenar und Vikar sind anfangs grundsätzlich verschiedene Be-
amte. Ihre Stellung ist eine andere in merowingischer als in karo-
lingischer Zeit.

Der Centenar 1 oder Hunne stand als Volksbeamter an der Spitze
der Hundertschaft. Neben der militärischen Stellung, die er als
Führer der Hundertschaft besass 2, hatte er richterliche und polizei-
liche 3 Funktionen. Der Centenar der Lex Salica vertritt den Thungin
im gebotenen Gericht 4. Als Vorsitzenden eines Mallus kennt ihn
auch das ribuarische Volksrecht 5. Ein Gesetz Childeberts II. zählt
ihn zu den iudices 6. Auch der Centenar oder Centurio der Lex Ala-
mannorum fungiert als Richter 7 und bestimmt als solcher den Ge-

82 Schon der Comes iunior, welcher gegen Ende des neunten Jahrhunderts
in einer alamannischen Formel erscheint (Coll. Sangall. Add. 4, Zeumer S. 435
nach einer Urkunde v. J. 894), dürfte als ein dem Vicecomes analoger Untergraf
zu erklären sein.
1 Die ältesten urkundlichen Fundstellen bei Waitz, VG II 2, S. 13, Anm. 2.
2 Vgl. Waitz, VG II 2, S. 212. Nur in militärischer Stellung kennt den
Centenar die Lex Baiuwariorum II 5.
3 So das Aufgebot und die Führung der Centene bei Verfolgung flüchtiger
Verbrecher. Siehe oben S. 148.
4 Siehe oben S. 150 f.
5 Lex Rib. 50.
6 Decr. Childeb. c. 9: centenario aut cuilibet iudice.
7 Lex Alam. 36, 1--3. Sohm a. O. S. 405. 418 folgert aus Lex Alam. 36, 1
(coram comite aut suo misso et coram centenario), der Centenar habe nur den Mit-
vorsitz neben dem Grafen oder neben dessen Missus gehabt. Dass aber der ala-
mannische Centenar auch allein präsidieren konnte, ergeben Lex Alam. 36, 3: si quis
... semetipsum non praesentaverit aut comite aut centenario aut ad missum comiti
in placito, und 36, 2: wadium suum donet .. illo centenario, qui praeest, eine

§ 82. Centenar und Vikar.
comes fremd. Auch nachmals ist er hier, mit Ausnahme Lothringens,
nicht heimisch geworden. Ein Beamter, der im ostfränkischen Reiche
dem vicecomes der westfränkischen Ämterverfassung ungefähr ent-
spricht, fällt daselbst unter die Kategorie der Grafen 82.

§ 82. Centenar und Vikar.

Waitz, VG II 2, S. 13. 41. 131. III 391. Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung
I 213 ff. Bethmann-Hollweg, Civilprozeſs IV 414, V 10 ff. Schröder, RG
S. 126. Dahn, Deutsche Geschichte II 591. Beauchet, Histoire de l’organisa-
tion judiciaire en France 1886, S. 11 ff. 217 ff. Fustel de Coulanges, Recher-
ches sur quelques problèmes d’histoire 1885, S. 404. Derselbe, Monarchie
franque S. 220. Wilhelm Sickel, Mittheilungen des Instit. f. österr. Geschichts-
forsch. IV 623 ff. Derselbe in den Götting. gel. Anzeigen 1886, S. 559 ff.;
1890, S. 576.

Centenar und Vikar sind anfangs grundsätzlich verschiedene Be-
amte. Ihre Stellung ist eine andere in merowingischer als in karo-
lingischer Zeit.

Der Centenar 1 oder Hunne stand als Volksbeamter an der Spitze
der Hundertschaft. Neben der militärischen Stellung, die er als
Führer der Hundertschaft besaſs 2, hatte er richterliche und polizei-
liche 3 Funktionen. Der Centenar der Lex Salica vertritt den Thungin
im gebotenen Gericht 4. Als Vorsitzenden eines Mallus kennt ihn
auch das ribuarische Volksrecht 5. Ein Gesetz Childeberts II. zählt
ihn zu den iudices 6. Auch der Centenar oder Centurio der Lex Ala-
mannorum fungiert als Richter 7 und bestimmt als solcher den Ge-

82 Schon der Comes iunior, welcher gegen Ende des neunten Jahrhunderts
in einer alamannischen Formel erscheint (Coll. Sangall. Add. 4, Zeumer S. 435
nach einer Urkunde v. J. 894), dürfte als ein dem Vicecomes analoger Untergraf
zu erklären sein.
1 Die ältesten urkundlichen Fundstellen bei Waitz, VG II 2, S. 13, Anm. 2.
2 Vgl. Waitz, VG II 2, S. 212. Nur in militärischer Stellung kennt den
Centenar die Lex Baiuwariorum II 5.
3 So das Aufgebot und die Führung der Centene bei Verfolgung flüchtiger
Verbrecher. Siehe oben S. 148.
4 Siehe oben S. 150 f.
5 Lex Rib. 50.
6 Decr. Childeb. c. 9: centenario aut cuilibet iudice.
7 Lex Alam. 36, 1—3. Sohm a. O. S. 405. 418 folgert aus Lex Alam. 36, 1
(coram comite aut suo misso et coram centenario), der Centenar habe nur den Mit-
vorsitz neben dem Grafen oder neben dessen Missus gehabt. Daſs aber der ala-
mannische Centenar auch allein präsidieren konnte, ergeben Lex Alam. 36, 3: si quis
… semetipsum non praesentaverit aut comite aut centenario aut ad missum comiti
in placito, und 36, 2: wadium suum donet .. illo centenario, qui praeest, eine
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0192" n="174"/><fw place="top" type="header">§ 82. Centenar und Vikar.</fw><lb/>
comes fremd. Auch nachmals ist er hier, mit Ausnahme Lothringens,<lb/>
nicht heimisch geworden. Ein Beamter, der im ostfränkischen Reiche<lb/>
dem vicecomes der westfränkischen Ämterverfassung ungefähr ent-<lb/>
spricht, fällt daselbst unter die Kategorie der Grafen <note place="foot" n="82">Schon der Comes iunior, welcher gegen Ende des neunten Jahrhunderts<lb/>
in einer alamannischen Formel erscheint (Coll. Sangall. Add. 4, Zeumer S. 435<lb/>
nach einer Urkunde v. J. 894), dürfte als ein dem Vicecomes analoger Untergraf<lb/>
zu erklären sein.</note>.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§ 82. <hi rendition="#g">Centenar und Vikar.</hi></head><lb/>
            <p>
              <bibl><hi rendition="#g">Waitz,</hi> VG II 2, S. 13. 41. 131. III 391. <hi rendition="#g">Sohm,</hi> Reichs- und Gerichtsverfassung<lb/>
I 213 ff. <hi rendition="#g">Bethmann-Hollweg,</hi> Civilproze&#x017F;s IV 414, V 10 ff. <hi rendition="#g">Schröder,</hi> RG<lb/>
S. 126. <hi rendition="#g">Dahn,</hi> Deutsche Geschichte II 591. <hi rendition="#g">Beauchet,</hi> Histoire de l&#x2019;organisa-<lb/>
tion judiciaire en France 1886, S. 11 ff. 217 ff. <hi rendition="#g">Fustel de Coulanges,</hi> Recher-<lb/>
ches sur quelques problèmes d&#x2019;histoire 1885, S. 404. <hi rendition="#g">Derselbe,</hi> Monarchie<lb/>
franque S. 220. <hi rendition="#g">Wilhelm Sickel,</hi> Mittheilungen des Instit. f. österr. Geschichts-<lb/>
forsch. IV 623 ff. <hi rendition="#g">Derselbe</hi> in den Götting. gel. Anzeigen 1886, S. 559 ff.;<lb/><hi rendition="#c">1890, S. 576.</hi></bibl>
            </p><lb/>
            <p>Centenar und Vikar sind anfangs grundsätzlich verschiedene Be-<lb/>
amte. Ihre Stellung ist eine andere in merowingischer als in karo-<lb/>
lingischer Zeit.</p><lb/>
            <p>Der Centenar <note place="foot" n="1">Die ältesten urkundlichen Fundstellen bei <hi rendition="#g">Waitz,</hi> VG II 2, S. 13, Anm. 2.</note> oder Hunne stand als Volksbeamter an der Spitze<lb/>
der Hundertschaft. Neben der militärischen Stellung, die er als<lb/>
Führer der Hundertschaft besa&#x017F;s <note place="foot" n="2">Vgl. <hi rendition="#g">Waitz,</hi> VG II 2, S. 212. Nur in militärischer Stellung kennt den<lb/>
Centenar die Lex Baiuwariorum II 5.</note>, hatte er richterliche und polizei-<lb/>
liche <note place="foot" n="3">So das Aufgebot und die Führung der Centene bei Verfolgung flüchtiger<lb/>
Verbrecher. Siehe oben S. 148.</note> Funktionen. Der Centenar der Lex Salica vertritt den Thungin<lb/>
im gebotenen Gericht <note place="foot" n="4">Siehe oben S. 150 f.</note>. Als Vorsitzenden eines Mallus kennt ihn<lb/>
auch das ribuarische Volksrecht <note place="foot" n="5">Lex Rib. 50.</note>. Ein Gesetz Childeberts II. zählt<lb/>
ihn zu den iudices <note place="foot" n="6">Decr. Childeb. c. 9: centenario aut cuilibet iudice.</note>. Auch der Centenar oder Centurio der Lex Ala-<lb/>
mannorum fungiert als Richter <note xml:id="seg2pn_40_1" next="#seg2pn_40_2" place="foot" n="7">Lex Alam. 36, 1&#x2014;3. <hi rendition="#g">Sohm</hi> a. O. S. 405. 418 folgert aus Lex Alam. 36, 1<lb/>
(coram comite aut suo misso et coram centenario), der Centenar habe nur den Mit-<lb/>
vorsitz neben dem Grafen oder neben dessen Missus gehabt. Da&#x017F;s aber der ala-<lb/>
mannische Centenar auch allein präsidieren konnte, ergeben Lex Alam. 36, 3: si quis<lb/>
&#x2026; semetipsum non praesentaverit aut comite aut centenario aut ad missum comiti<lb/>
in placito, und 36, 2: wadium suum donet .. illo centenario, qui praeest, eine</note> und bestimmt als solcher den Ge-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0192] § 82. Centenar und Vikar. comes fremd. Auch nachmals ist er hier, mit Ausnahme Lothringens, nicht heimisch geworden. Ein Beamter, der im ostfränkischen Reiche dem vicecomes der westfränkischen Ämterverfassung ungefähr ent- spricht, fällt daselbst unter die Kategorie der Grafen 82. § 82. Centenar und Vikar. Waitz, VG II 2, S. 13. 41. 131. III 391. Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung I 213 ff. Bethmann-Hollweg, Civilprozeſs IV 414, V 10 ff. Schröder, RG S. 126. Dahn, Deutsche Geschichte II 591. Beauchet, Histoire de l’organisa- tion judiciaire en France 1886, S. 11 ff. 217 ff. Fustel de Coulanges, Recher- ches sur quelques problèmes d’histoire 1885, S. 404. Derselbe, Monarchie franque S. 220. Wilhelm Sickel, Mittheilungen des Instit. f. österr. Geschichts- forsch. IV 623 ff. Derselbe in den Götting. gel. Anzeigen 1886, S. 559 ff.; 1890, S. 576. Centenar und Vikar sind anfangs grundsätzlich verschiedene Be- amte. Ihre Stellung ist eine andere in merowingischer als in karo- lingischer Zeit. Der Centenar 1 oder Hunne stand als Volksbeamter an der Spitze der Hundertschaft. Neben der militärischen Stellung, die er als Führer der Hundertschaft besaſs 2, hatte er richterliche und polizei- liche 3 Funktionen. Der Centenar der Lex Salica vertritt den Thungin im gebotenen Gericht 4. Als Vorsitzenden eines Mallus kennt ihn auch das ribuarische Volksrecht 5. Ein Gesetz Childeberts II. zählt ihn zu den iudices 6. Auch der Centenar oder Centurio der Lex Ala- mannorum fungiert als Richter 7 und bestimmt als solcher den Ge- 82 Schon der Comes iunior, welcher gegen Ende des neunten Jahrhunderts in einer alamannischen Formel erscheint (Coll. Sangall. Add. 4, Zeumer S. 435 nach einer Urkunde v. J. 894), dürfte als ein dem Vicecomes analoger Untergraf zu erklären sein. 1 Die ältesten urkundlichen Fundstellen bei Waitz, VG II 2, S. 13, Anm. 2. 2 Vgl. Waitz, VG II 2, S. 212. Nur in militärischer Stellung kennt den Centenar die Lex Baiuwariorum II 5. 3 So das Aufgebot und die Führung der Centene bei Verfolgung flüchtiger Verbrecher. Siehe oben S. 148. 4 Siehe oben S. 150 f. 5 Lex Rib. 50. 6 Decr. Childeb. c. 9: centenario aut cuilibet iudice. 7 Lex Alam. 36, 1—3. Sohm a. O. S. 405. 418 folgert aus Lex Alam. 36, 1 (coram comite aut suo misso et coram centenario), der Centenar habe nur den Mit- vorsitz neben dem Grafen oder neben dessen Missus gehabt. Daſs aber der ala- mannische Centenar auch allein präsidieren konnte, ergeben Lex Alam. 36, 3: si quis … semetipsum non praesentaverit aut comite aut centenario aut ad missum comiti in placito, und 36, 2: wadium suum donet .. illo centenario, qui praeest, eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/192
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/192>, abgerufen am 21.11.2024.