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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 22. Friedlosigkeit und Opfertod.
eigentlichen Friedensbrüchen als Rechtsbrüche gegenüberstellen 47. Die
Zahlung der Bussen verbürgte die dem widerspenstigen Schuldner
drohende Friedlosigkeit.

§ 22. Friedlosigkeit und Opfertod.

S. die Litteratur zu § 21, insbes. Wilda, Strafr. der Germanen; v. Amira, Das
altnorwegische Vollstreckungsverfahren; ferner derselbe, Zweck und Mittel der
germ. RG S 57 f.; K. Maurer, KrV XVI 83; v. Richthofen, Zur Lex Saxonum,
1868, § 16: die Todesstrafen des sächs. Rechts; Thonissen, Mem. sur les peines
capitales dans la legislation merovingienne, 1877.

Die Friedlosigkeit schliesst den freien Volksgenossen von der
Friedens- und Rechtsgemeinschaft aus. Den Ausgeschlossenen schirmt
der allgemeine Friede nicht, er ist "friedlos". Die Rechtsordnung
ist für ihn nicht vorhanden, er ist exlex, angelsächsisch autlah, mittel-
niederdeutsch uutlagh, nordisch utlagr. Wie die Fehde die Feind-
schaft einer zur Rache berechtigten Sippe, bedeutet die Friedlosigkeit
die Feindschaft allen Volkes 1. Der Mangel des Friedens und Rechts-
schutzes stellt die negative, die Feindschaft der Gesamtheit die posi-
tive Seite der Friedlosigkeit dar.

Der Friedlose kann nicht bloss, sondern er soll, weil er Feind
des Volkes, von jedermann verfolgt werden. Wird er getötet, so liegt
er busslos. Wer ihn tötet, handelt im Interesse und im Namen der
Gesamtheit, deren Willen er vollstreckt 2. In Staatswesen, in welchen
einerseits das Gemeingefühl eine Abschwächung erfahren hatte, andrer-
seits aber die Strafe der Friedlosigkeit zu ausgedehnter Anwendung
kam, sah man sich veranlasst, von Staats wegen einen Preis auf den Kopf
jedes Friedlosen zu setzen 3. Weil der Friedlose die Gesamtheit zum
Feinde hat, ist es jedermann bei Strafe verboten, ihm Unterstützung
zu gewähren, ihm Obdach oder Unterhalt zu geben, ihn zu speisen,
zu hausen und zu hofen 4. Dieses Verbot gilt auch für die Bluts-

47 Vgl. v. Wächter, Beil. 79; Wilda S 268; K. Maurer, KrÜ III 30.
1 Der Friedlose heisst daher in friesischen Rechtsquellen fath (faidosus) and
frethelas. v. Richthofen, RQ S 186, 25. 188, 8. 190, 8. In dem angelsächsischen
Gesetze, Edmund II 1 § 3 Feind des Königs und seiner Freunde, gefah wid thone
cyning and wid ealle his frynd.
2 v. Amira, Vollstreckungsverfahren S 40.
3 So auf Island. Wilda, Strafrecht S 282 f. Bei den Angels. K. Maurer,
KrÜ III 38 Anm 2.
4 Lex Sal. 56: et quicumque eum aut paverit aut hospitalem dederit, etiam
si uxor sua proxima, sol. 15 culp. iudicetur. Lex Sal. 55, 2. Cap. 1 zur Lex Sal.
c. 5 (Hessels Tit. 70). Cap. 2 zur Lex Sal. c. 8 (Hessels Tit. 106). Lex Rib. 87.

§ 22. Friedlosigkeit und Opfertod.
eigentlichen Friedensbrüchen als Rechtsbrüche gegenüberstellen 47. Die
Zahlung der Buſsen verbürgte die dem widerspenstigen Schuldner
drohende Friedlosigkeit.

§ 22. Friedlosigkeit und Opfertod.

S. die Litteratur zu § 21, insbes. Wilda, Strafr. der Germanen; v. Amira, Das
altnorwegische Vollstreckungsverfahren; ferner derselbe, Zweck und Mittel der
germ. RG S 57 f.; K. Maurer, KrV XVI 83; v. Richthofen, Zur Lex Saxonum,
1868, § 16: die Todesstrafen des sächs. Rechts; Thonissen, Mém. sur les peines
capitales dans la législation mérovingienne, 1877.

Die Friedlosigkeit schlieſst den freien Volksgenossen von der
Friedens- und Rechtsgemeinschaft aus. Den Ausgeschlossenen schirmt
der allgemeine Friede nicht, er ist „friedlos“. Die Rechtsordnung
ist für ihn nicht vorhanden, er ist exlex, angelsächsisch ûtlah, mittel-
niederdeutsch uutlagh, nordisch útlagr. Wie die Fehde die Feind-
schaft einer zur Rache berechtigten Sippe, bedeutet die Friedlosigkeit
die Feindschaft allen Volkes 1. Der Mangel des Friedens und Rechts-
schutzes stellt die negative, die Feindschaft der Gesamtheit die posi-
tive Seite der Friedlosigkeit dar.

Der Friedlose kann nicht bloſs, sondern er soll, weil er Feind
des Volkes, von jedermann verfolgt werden. Wird er getötet, so liegt
er buſslos. Wer ihn tötet, handelt im Interesse und im Namen der
Gesamtheit, deren Willen er vollstreckt 2. In Staatswesen, in welchen
einerseits das Gemeingefühl eine Abschwächung erfahren hatte, andrer-
seits aber die Strafe der Friedlosigkeit zu ausgedehnter Anwendung
kam, sah man sich veranlaſst, von Staats wegen einen Preis auf den Kopf
jedes Friedlosen zu setzen 3. Weil der Friedlose die Gesamtheit zum
Feinde hat, ist es jedermann bei Strafe verboten, ihm Unterstützung
zu gewähren, ihm Obdach oder Unterhalt zu geben, ihn zu speisen,
zu hausen und zu hofen 4. Dieses Verbot gilt auch für die Bluts-

47 Vgl. v. Wächter, Beil. 79; Wilda S 268; K. Maurer, KrÜ III 30.
1 Der Friedlose heiſst daher in friesischen Rechtsquellen fath (faidosus) and
frethelas. v. Richthofen, RQ S 186, 25. 188, 8. 190, 8. In dem angelsächsischen
Gesetze, Edmund II 1 § 3 Feind des Königs und seiner Freunde, gefâh wiđ þone
cyning and wiđ ealle his frŷnd.
2 v. Amira, Vollstreckungsverfahren S 40.
3 So auf Island. Wilda, Strafrecht S 282 f. Bei den Angels. K. Maurer,
KrÜ III 38 Anm 2.
4 Lex Sal. 56: et quicumque eum aut paverit aut hospitalem dederit, etiam
si uxor sua proxima, sol. 15 culp. iudicetur. Lex Sal. 55, 2. Cap. 1 zur Lex Sal.
c. 5 (Hessels Tit. 70). Cap. 2 zur Lex Sal. c. 8 (Hessels Tit. 106). Lex Rib. 87.
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[166/0184] § 22. Friedlosigkeit und Opfertod. eigentlichen Friedensbrüchen als Rechtsbrüche gegenüberstellen 47. Die Zahlung der Buſsen verbürgte die dem widerspenstigen Schuldner drohende Friedlosigkeit. § 22. Friedlosigkeit und Opfertod. S. die Litteratur zu § 21, insbes. Wilda, Strafr. der Germanen; v. Amira, Das altnorwegische Vollstreckungsverfahren; ferner derselbe, Zweck und Mittel der germ. RG S 57 f.; K. Maurer, KrV XVI 83; v. Richthofen, Zur Lex Saxonum, 1868, § 16: die Todesstrafen des sächs. Rechts; Thonissen, Mém. sur les peines capitales dans la législation mérovingienne, 1877. Die Friedlosigkeit schlieſst den freien Volksgenossen von der Friedens- und Rechtsgemeinschaft aus. Den Ausgeschlossenen schirmt der allgemeine Friede nicht, er ist „friedlos“. Die Rechtsordnung ist für ihn nicht vorhanden, er ist exlex, angelsächsisch ûtlah, mittel- niederdeutsch uutlagh, nordisch útlagr. Wie die Fehde die Feind- schaft einer zur Rache berechtigten Sippe, bedeutet die Friedlosigkeit die Feindschaft allen Volkes 1. Der Mangel des Friedens und Rechts- schutzes stellt die negative, die Feindschaft der Gesamtheit die posi- tive Seite der Friedlosigkeit dar. Der Friedlose kann nicht bloſs, sondern er soll, weil er Feind des Volkes, von jedermann verfolgt werden. Wird er getötet, so liegt er buſslos. Wer ihn tötet, handelt im Interesse und im Namen der Gesamtheit, deren Willen er vollstreckt 2. In Staatswesen, in welchen einerseits das Gemeingefühl eine Abschwächung erfahren hatte, andrer- seits aber die Strafe der Friedlosigkeit zu ausgedehnter Anwendung kam, sah man sich veranlaſst, von Staats wegen einen Preis auf den Kopf jedes Friedlosen zu setzen 3. Weil der Friedlose die Gesamtheit zum Feinde hat, ist es jedermann bei Strafe verboten, ihm Unterstützung zu gewähren, ihm Obdach oder Unterhalt zu geben, ihn zu speisen, zu hausen und zu hofen 4. Dieses Verbot gilt auch für die Bluts- 47 Vgl. v. Wächter, Beil. 79; Wilda S 268; K. Maurer, KrÜ III 30. 1 Der Friedlose heiſst daher in friesischen Rechtsquellen fath (faidosus) and frethelas. v. Richthofen, RQ S 186, 25. 188, 8. 190, 8. In dem angelsächsischen Gesetze, Edmund II 1 § 3 Feind des Königs und seiner Freunde, gefâh wiđ þone cyning and wiđ ealle his frŷnd. 2 v. Amira, Vollstreckungsverfahren S 40. 3 So auf Island. Wilda, Strafrecht S 282 f. Bei den Angels. K. Maurer, KrÜ III 38 Anm 2. 4 Lex Sal. 56: et quicumque eum aut paverit aut hospitalem dederit, etiam si uxor sua proxima, sol. 15 culp. iudicetur. Lex Sal. 55, 2. Cap. 1 zur Lex Sal. c. 5 (Hessels Tit. 70). Cap. 2 zur Lex Sal. c. 8 (Hessels Tit. 106). Lex Rib. 87.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/184>, abgerufen am 13.11.2024.