Mein Gott! der, jüngst noch, dürre Baum ist ganz mit grünem Laub bedecket, Es haben sich die nackten Aeste in grüne Blätter ganz verstecket, Was todt schien, scheinet itzt zu leben, sein ganzes Wesen scheint verwandelt. Woher entstehet die Verändrung? Wer hat die Bäume so behandelt? Wie geht dieß zu? fragt die Vernunft: doch kann sie dieses nicht ergründen, Nur die Erfahrung bloß allein, die große Lehrerinn, kann finden, Da es im Lenzen stets geschieht, daß es durch keine Zauberey, Wie es jedoch das Ansehn hat, gewirket und entstanden sey. So bleibt denn der Vernunft nichts übrig, wenn sie es, wie sie soll, betrachtet, Als daß sie dieses für ein Wunder des wirkenden Natur- geists achtet. Allein, was ist denn der Naturgeist? wird man sie darauf billig fragen. Hierauf wird, wenn sie redlich beichtet, sie dir nichts anders können sagen, Als: Er muß eine rege Kraft, die ordentlich verfähret, seyn; (Denn alles, was sie wirkt und formt, stimmt mit ein- ander überein
Und
zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.
Ueberlegungen zur Fruͤhlingszeit.
Mein Gott! der, juͤngſt noch, duͤrre Baum iſt ganz mit gruͤnem Laub bedecket, Es haben ſich die nackten Aeſte in gruͤne Blaͤtter ganz verſtecket, Was todt ſchien, ſcheinet itzt zu leben, ſein ganzes Weſen ſcheint verwandelt. Woher entſtehet die Veraͤndrung? Wer hat die Baͤume ſo behandelt? Wie geht dieß zu? fragt die Vernunft: doch kann ſie dieſes nicht ergruͤnden, Nur die Erfahrung bloß allein, die große Lehrerinn, kann finden, Da es im Lenzen ſtets geſchieht, daß es durch keine Zauberey, Wie es jedoch das Anſehn hat, gewirket und entſtanden ſey. So bleibt denn der Vernunft nichts uͤbrig, wenn ſie es, wie ſie ſoll, betrachtet, Als daß ſie dieſes fuͤr ein Wunder des wirkenden Natur- geiſts achtet. Allein, was iſt denn der Naturgeiſt? wird man ſie darauf billig fragen. Hierauf wird, wenn ſie redlich beichtet, ſie dir nichts anders koͤnnen ſagen, Als: Er muß eine rege Kraft, die ordentlich verfaͤhret, ſeyn; (Denn alles, was ſie wirkt und formt, ſtimmt mit ein- ander uͤberein
Und
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zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.
Ueberlegungen zur Fruͤhlingszeit.
Mein Gott! der, juͤngſt noch, duͤrre Baum iſt ganz
mit gruͤnem Laub bedecket,
Es haben ſich die nackten Aeſte in gruͤne Blaͤtter ganz
verſtecket,
Was todt ſchien, ſcheinet itzt zu leben, ſein ganzes Weſen
ſcheint verwandelt.
Woher entſtehet die Veraͤndrung? Wer hat die Baͤume
ſo behandelt?
Wie geht dieß zu? fragt die Vernunft: doch kann ſie
dieſes nicht ergruͤnden,
Nur die Erfahrung bloß allein, die große Lehrerinn,
kann finden,
Da es im Lenzen ſtets geſchieht, daß es durch keine
Zauberey,
Wie es jedoch das Anſehn hat, gewirket und entſtanden
ſey.
So bleibt denn der Vernunft nichts uͤbrig, wenn ſie es,
wie ſie ſoll, betrachtet,
Als daß ſie dieſes fuͤr ein Wunder des wirkenden Natur-
geiſts achtet.
Allein, was iſt denn der Naturgeiſt? wird man ſie
darauf billig fragen.
Hierauf wird, wenn ſie redlich beichtet, ſie dir nichts
anders koͤnnen ſagen,
Als: Er muß eine rege Kraft, die ordentlich verfaͤhret,
ſeyn;
(Denn alles, was ſie wirkt und formt, ſtimmt mit ein-
ander uͤberein
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/335>, abgerufen am 22.02.2025.
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