Ein recht sonderbar Geschöpf, halb ein Hirsch und halb ein Pferd, Jst das Elend, das nicht minder unserer Betrachtung werth: Sein Geweih ist ganz besonders, und als sonst kein Thier es träget, Eines Adlers Schwingen gleich, wenn er sie herunter schläget. Von der Klauen saget man, daß sie große Kräfte heget, Und im Krampf und Nervenschmerzen Linderung und Hülfe bringet. Da die Dicke seiner Haut weder Hieb noch Stich durch- dringet, Wird mit ihr, an Panzers Statt, im Gefecht, die Brust umringet. Seines Körpers Schwere gleicht einer ziemlich starken Kuh, Vorn am Halse ist es zotticht, aber glatt nach hinten zu: Um sein langes Obermaul soll man es nicht vorwerts gehen, (Daß es nicht im Grafen hindre) sondern rückwerts wei- den sehen. Langen Durst und schwere Arbeit ist es tüchtig zu er- tragen. Kann man also auch mit Recht von dem Elendthiere sagen, Daß es einen weisen Schöpfer uns erweis' und noch dabey, Daß es bloß von ihm aus Liebe uns zum Nutz erschaffen sey.
Die
Betrachtungen
Das Elendthier.
Ein recht ſonderbar Geſchoͤpf, halb ein Hirſch und halb ein Pferd, Jſt das Elend, das nicht minder unſerer Betrachtung werth: Sein Geweih iſt ganz beſonders, und als ſonſt kein Thier es traͤget, Eines Adlers Schwingen gleich, wenn er ſie herunter ſchlaͤget. Von der Klauen ſaget man, daß ſie große Kraͤfte heget, Und im Krampf und Nervenſchmerzen Linderung und Huͤlfe bringet. Da die Dicke ſeiner Haut weder Hieb noch Stich durch- dringet, Wird mit ihr, an Panzers Statt, im Gefecht, die Bruſt umringet. Seines Koͤrpers Schwere gleicht einer ziemlich ſtarken Kuh, Vorn am Halſe iſt es zotticht, aber glatt nach hinten zu: Um ſein langes Obermaul ſoll man es nicht vorwerts gehen, (Daß es nicht im Grafen hindre) ſondern ruͤckwerts wei- den ſehen. Langen Durſt und ſchwere Arbeit iſt es tuͤchtig zu er- tragen. Kann man alſo auch mit Recht von dem Elendthiere ſagen, Daß es einen weiſen Schoͤpfer uns erweiſ’ und noch dabey, Daß es bloß von ihm aus Liebe uns zum Nutz erſchaffen ſey.
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Betrachtungen
Das Elendthier.
Ein recht ſonderbar Geſchoͤpf, halb ein Hirſch und
halb ein Pferd,
Jſt das Elend, das nicht minder unſerer Betrachtung
werth:
Sein Geweih iſt ganz beſonders, und als ſonſt kein Thier
es traͤget,
Eines Adlers Schwingen gleich, wenn er ſie herunter
ſchlaͤget.
Von der Klauen ſaget man, daß ſie große Kraͤfte heget,
Und im Krampf und Nervenſchmerzen Linderung und
Huͤlfe bringet.
Da die Dicke ſeiner Haut weder Hieb noch Stich durch-
dringet,
Wird mit ihr, an Panzers Statt, im Gefecht, die Bruſt
umringet.
Seines Koͤrpers Schwere gleicht einer ziemlich ſtarken
Kuh,
Vorn am Halſe iſt es zotticht, aber glatt nach hinten zu:
Um ſein langes Obermaul ſoll man es nicht vorwerts
gehen,
(Daß es nicht im Grafen hindre) ſondern ruͤckwerts wei-
den ſehen.
Langen Durſt und ſchwere Arbeit iſt es tuͤchtig zu er-
tragen.
Kann man alſo auch mit Recht von dem Elendthiere ſagen,
Daß es einen weiſen Schoͤpfer uns erweiſ’ und noch
dabey,
Daß es bloß von ihm aus Liebe uns zum Nutz erſchaffen
ſey.
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/294>, abgerufen am 22.02.2025.
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