Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
Betrachtungen
Das Elendthier.
Ein recht sonderbar Geschöpf, halb ein Hirsch und
halb ein Pferd,
Jst das Elend, das nicht minder unserer Betrachtung
werth:
Sein Geweih ist ganz besonders, und als sonst kein Thier
es träget,
Eines Adlers Schwingen gleich, wenn er sie herunter
schläget.
Von der Klauen saget man, daß sie große Kräfte heget,
Und im Krampf und Nervenschmerzen Linderung und
Hülfe bringet.
Da die Dicke seiner Haut weder Hieb noch Stich durch-
dringet,
Wird mit ihr, an Panzers Statt, im Gefecht, die Brust
umringet.
Seines Körpers Schwere gleicht einer ziemlich starken
Kuh,
Vorn am Halse ist es zotticht, aber glatt nach hinten zu:
Um sein langes Obermaul soll man es nicht vorwerts
gehen,
(Daß es nicht im Grafen hindre) sondern rückwerts wei-
den sehen.
Langen Durst und schwere Arbeit ist es tüchtig zu er-
tragen.
Kann man also auch mit Recht von dem Elendthiere sagen,
Daß es einen weisen Schöpfer uns erweis' und noch
dabey,
Daß es bloß von ihm aus Liebe uns zum Nutz erschaffen
sey.


Die
Betrachtungen
Das Elendthier.
Ein recht ſonderbar Geſchoͤpf, halb ein Hirſch und
halb ein Pferd,
Jſt das Elend, das nicht minder unſerer Betrachtung
werth:
Sein Geweih iſt ganz beſonders, und als ſonſt kein Thier
es traͤget,
Eines Adlers Schwingen gleich, wenn er ſie herunter
ſchlaͤget.
Von der Klauen ſaget man, daß ſie große Kraͤfte heget,
Und im Krampf und Nervenſchmerzen Linderung und
Huͤlfe bringet.
Da die Dicke ſeiner Haut weder Hieb noch Stich durch-
dringet,
Wird mit ihr, an Panzers Statt, im Gefecht, die Bruſt
umringet.
Seines Koͤrpers Schwere gleicht einer ziemlich ſtarken
Kuh,
Vorn am Halſe iſt es zotticht, aber glatt nach hinten zu:
Um ſein langes Obermaul ſoll man es nicht vorwerts
gehen,
(Daß es nicht im Grafen hindre) ſondern ruͤckwerts wei-
den ſehen.
Langen Durſt und ſchwere Arbeit iſt es tuͤchtig zu er-
tragen.
Kann man alſo auch mit Recht von dem Elendthiere ſagen,
Daß es einen weiſen Schoͤpfer uns erweiſ’ und noch
dabey,
Daß es bloß von ihm aus Liebe uns zum Nutz erſchaffen
ſey.


Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0294" n="274"/>
        <fw place="top" type="header">Betrachtungen</fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Das Elendthier.</hi> </head><lb/>
          <lg type="poem">
            <l><hi rendition="#in">E</hi>in recht &#x017F;onderbar Ge&#x017F;cho&#x0364;pf, halb ein Hir&#x017F;ch und</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">halb ein Pferd,</hi> </l><lb/>
            <l>J&#x017F;t das Elend, das nicht minder un&#x017F;erer Betrachtung</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">werth:</hi> </l><lb/>
            <l>Sein Geweih i&#x017F;t ganz be&#x017F;onders, und als &#x017F;on&#x017F;t kein Thier</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">es tra&#x0364;get,</hi> </l><lb/>
            <l>Eines Adlers Schwingen gleich, wenn er &#x017F;ie herunter</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">&#x017F;chla&#x0364;get.</hi> </l><lb/>
            <l>Von der Klauen &#x017F;aget man, daß &#x017F;ie große Kra&#x0364;fte heget,</l><lb/>
            <l>Und im Krampf und Nerven&#x017F;chmerzen Linderung und</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Hu&#x0364;lfe bringet.</hi> </l><lb/>
            <l>Da die Dicke &#x017F;einer Haut weder Hieb noch Stich durch-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">dringet,</hi> </l><lb/>
            <l>Wird mit ihr, an Panzers Statt, im Gefecht, die Bru&#x017F;t</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">umringet.</hi> </l><lb/>
            <l>Seines Ko&#x0364;rpers Schwere gleicht einer ziemlich &#x017F;tarken</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Kuh,</hi> </l><lb/>
            <l>Vorn am Hal&#x017F;e i&#x017F;t es zotticht, aber glatt nach hinten zu:</l><lb/>
            <l>Um &#x017F;ein langes Obermaul &#x017F;oll man es nicht vorwerts</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">gehen,</hi> </l><lb/>
            <l>(Daß es nicht im Grafen hindre) &#x017F;ondern ru&#x0364;ckwerts wei-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">den &#x017F;ehen.</hi> </l><lb/>
            <l>Langen Dur&#x017F;t und &#x017F;chwere Arbeit i&#x017F;t es tu&#x0364;chtig zu er-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">tragen.</hi> </l><lb/>
            <l>Kann man al&#x017F;o auch mit Recht von dem Elendthiere &#x017F;agen,</l><lb/>
            <l>Daß es einen wei&#x017F;en Scho&#x0364;pfer uns erwei&#x017F;&#x2019; und noch</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">dabey,</hi> </l><lb/>
            <l>Daß es bloß von ihm aus Liebe uns zum Nutz er&#x017F;chaffen</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">&#x017F;ey.</hi> </l>
          </lg>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Die</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[274/0294] Betrachtungen Das Elendthier. Ein recht ſonderbar Geſchoͤpf, halb ein Hirſch und halb ein Pferd, Jſt das Elend, das nicht minder unſerer Betrachtung werth: Sein Geweih iſt ganz beſonders, und als ſonſt kein Thier es traͤget, Eines Adlers Schwingen gleich, wenn er ſie herunter ſchlaͤget. Von der Klauen ſaget man, daß ſie große Kraͤfte heget, Und im Krampf und Nervenſchmerzen Linderung und Huͤlfe bringet. Da die Dicke ſeiner Haut weder Hieb noch Stich durch- dringet, Wird mit ihr, an Panzers Statt, im Gefecht, die Bruſt umringet. Seines Koͤrpers Schwere gleicht einer ziemlich ſtarken Kuh, Vorn am Halſe iſt es zotticht, aber glatt nach hinten zu: Um ſein langes Obermaul ſoll man es nicht vorwerts gehen, (Daß es nicht im Grafen hindre) ſondern ruͤckwerts wei- den ſehen. Langen Durſt und ſchwere Arbeit iſt es tuͤchtig zu er- tragen. Kann man alſo auch mit Recht von dem Elendthiere ſagen, Daß es einen weiſen Schoͤpfer uns erweiſ’ und noch dabey, Daß es bloß von ihm aus Liebe uns zum Nutz erſchaffen ſey. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/294
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/294>, abgerufen am 21.12.2024.