Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
Vernunft und Glaube.
Es ist unsere Vernunft, in uns, ein lebendigs Licht,
Welches das, was wahr und irrig, zeigt, bemerkt
und selbft empfindet.

Von dem Großen Geist der Geister ist es in uns ange-
zündet.

Man verachte denn den Wehrt dieser großen Gabe nicht.
Ob nun gleich die helle Fackel ins Unendliche nicht
glänzet,

Jst sie, bey der ganzen Menschheit, und bey jedem, gleich
begränzet;

So befugt dieß uns doch nicht, daß wir sie vom Glauben
trennen,

Weil wir, ohne die Vernunft, nimmermehr recht glauben
können.

Heiden, Juden, Türken glauben. Bloß nur die Ver-
nunft allein

Muß, daß unser besser sey, Richtschnur, Prob' und Richter
seyn.
Nun ist des Verstandes Kraft, die Erfahrung lehrts
hienieden

Fast bey jedem andrer Gattung, und unglaublich unter-
schieden;

Doch besteht dieß nur in Graden, und der Grund ist
allgemein.

Denn ein Licht bleibt doch ein Licht, ist dieß groß, gleich
jenes klein.
Wann
O o 4
Vernunft und Glaube.
Es iſt unſere Vernunft, in uns, ein lebendigs Licht,
Welches das, was wahr und irrig, zeigt, bemerkt
und ſelbft empfindet.

Von dem Großen Geiſt der Geiſter iſt es in uns ange-
zuͤndet.

Man verachte denn den Wehrt dieſer großen Gabe nicht.
Ob nun gleich die helle Fackel ins Unendliche nicht
glaͤnzet,

Jſt ſie, bey der ganzen Menſchheit, und bey jedem, gleich
begraͤnzet;

So befugt dieß uns doch nicht, daß wir ſie vom Glauben
trennen,

Weil wir, ohne die Vernunft, nimmermehr recht glauben
koͤnnen.

Heiden, Juden, Tuͤrken glauben. Bloß nur die Ver-
nunft allein

Muß, daß unſer beſſer ſey, Richtſchnur, Prob’ und Richter
ſeyn.
Nun iſt des Verſtandes Kraft, die Erfahrung lehrts
hienieden

Faſt bey jedem andrer Gattung, und unglaublich unter-
ſchieden;

Doch beſteht dieß nur in Graden, und der Grund iſt
allgemein.

Denn ein Licht bleibt doch ein Licht, iſt dieß groß, gleich
jenes klein.
Wann
O o 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0597" n="583"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Vernunft und Glaube.</hi> </head><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l><hi rendition="#in">E</hi>s i&#x017F;t un&#x017F;ere Vernunft, in uns, ein lebendigs Licht,</l><lb/>
                <l>Welches das, was wahr und irrig, zeigt, bemerkt<lb/><hi rendition="#et">und &#x017F;elbft empfindet.</hi></l><lb/>
                <l>Von dem Großen Gei&#x017F;t der Gei&#x017F;ter i&#x017F;t es in uns ange-<lb/><hi rendition="#et">zu&#x0364;ndet.</hi></l><lb/>
                <l>Man verachte denn den Wehrt die&#x017F;er großen Gabe nicht.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="2">
                <l>Ob nun gleich die helle Fackel ins Unendliche nicht<lb/><hi rendition="#et">gla&#x0364;nzet,</hi></l><lb/>
                <l>J&#x017F;t &#x017F;ie, bey der ganzen Men&#x017F;chheit, und bey jedem, gleich<lb/><hi rendition="#et">begra&#x0364;nzet;</hi></l><lb/>
                <l>So befugt dieß uns doch nicht, daß wir &#x017F;ie vom Glauben<lb/><hi rendition="#et">trennen,</hi></l><lb/>
                <l>Weil wir, ohne die Vernunft, nimmermehr recht glauben<lb/><hi rendition="#et">ko&#x0364;nnen.</hi></l><lb/>
                <l>Heiden, Juden, Tu&#x0364;rken glauben. Bloß nur die Ver-<lb/><hi rendition="#et">nunft allein</hi></l><lb/>
                <l>Muß, daß un&#x017F;er be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ey, Richt&#x017F;chnur, Prob&#x2019; und Richter<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;eyn.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <lg n="3">
                <l>Nun i&#x017F;t des Ver&#x017F;tandes Kraft, die Erfahrung lehrts<lb/><hi rendition="#et">hienieden</hi></l><lb/>
                <l>Fa&#x017F;t bey jedem andrer Gattung, und unglaublich unter-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chieden;</hi></l><lb/>
                <l>Doch be&#x017F;teht dieß nur in Graden, und der Grund i&#x017F;t<lb/><hi rendition="#et">allgemein.</hi></l><lb/>
                <l>Denn ein Licht bleibt doch ein Licht, i&#x017F;t dieß groß, gleich<lb/><hi rendition="#et">jenes klein.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">O o 4</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">Wann</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[583/0597] Vernunft und Glaube. Es iſt unſere Vernunft, in uns, ein lebendigs Licht, Welches das, was wahr und irrig, zeigt, bemerkt und ſelbft empfindet. Von dem Großen Geiſt der Geiſter iſt es in uns ange- zuͤndet. Man verachte denn den Wehrt dieſer großen Gabe nicht. Ob nun gleich die helle Fackel ins Unendliche nicht glaͤnzet, Jſt ſie, bey der ganzen Menſchheit, und bey jedem, gleich begraͤnzet; So befugt dieß uns doch nicht, daß wir ſie vom Glauben trennen, Weil wir, ohne die Vernunft, nimmermehr recht glauben koͤnnen. Heiden, Juden, Tuͤrken glauben. Bloß nur die Ver- nunft allein Muß, daß unſer beſſer ſey, Richtſchnur, Prob’ und Richter ſeyn. Nun iſt des Verſtandes Kraft, die Erfahrung lehrts hienieden Faſt bey jedem andrer Gattung, und unglaublich unter- ſchieden; Doch beſteht dieß nur in Graden, und der Grund iſt allgemein. Denn ein Licht bleibt doch ein Licht, iſt dieß groß, gleich jenes klein. Wann O o 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/597
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/597>, abgerufen am 30.12.2024.