Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
Schädliche Verabsäumung der Kräfte
unsers Gedächtnisses.
Die meisten halten dieß für wahr, daß der Verstand
aus dreyen Kräften,

Gedächtniß, Phantasey, Verstand, bestehe. Wenn
wir nun bisher,

Um Gott zu kennen, uns allein an den Verstand am
meisten heften,

Und, was Gott sey, begreifen wollen; das aber unbe-
greiflich schwehr,

Und viele Ketzerey gewirkt: so wär' es wohl zu überlegen,
Ob, da die andern Kräfte ganz hintangesetzt, wir dieser-
wegen

Nicht in den Labyrinth gerathen. "Wenn wir, bey
allen Wunder-Gaben,

"Die wir, aus Gottes Huld und Liebe, besitzen, und
empfangen haben,

"Nur das Gedächtniß angestreckt, und, durch der
Gaben große Zahl,

"Zum Danken uns geschickt gemacht, und zur Be-
wunderung zumal;

"So scheinet fast von selbst zu folgen, daß Gott, von
allem Zanken frey,

"Weit würdiger verehret worden, und immer zu ver-
ehren sey:

"Daß es einfolglich unsre Pflicht, anstatt ein schwül-
stiges Begreifen,

"Das gar dem Glauben widerspricht, stets die Erinne-
rung zu häufen;

"Und
K k 4
Schaͤdliche Verabſaͤumung der Kraͤfte
unſers Gedaͤchtniſſes.
Die meiſten halten dieß fuͤr wahr, daß der Verſtand
aus dreyen Kraͤften,

Gedaͤchtniß, Phantaſey, Verſtand, beſtehe. Wenn
wir nun bisher,

Um Gott zu kennen, uns allein an den Verſtand am
meiſten heften,

Und, was Gott ſey, begreifen wollen; das aber unbe-
greiflich ſchwehr,

Und viele Ketzerey gewirkt: ſo waͤr’ es wohl zu uͤberlegen,
Ob, da die andern Kraͤfte ganz hintangeſetzt, wir dieſer-
wegen

Nicht in den Labyrinth gerathen. “Wenn wir, bey
allen Wunder-Gaben,

“Die wir, aus Gottes Huld und Liebe, beſitzen, und
empfangen haben,

“Nur das Gedaͤchtniß angeſtreckt, und, durch der
Gaben große Zahl,

“Zum Danken uns geſchickt gemacht, und zur Be-
wunderung zumal;

“So ſcheinet faſt von ſelbſt zu folgen, daß Gott, von
allem Zanken frey,

“Weit wuͤrdiger verehret worden, und immer zu ver-
ehren ſey:

“Daß es einfolglich unſre Pflicht, anſtatt ein ſchwuͤl-
ſtiges Begreifen,

“Das gar dem Glauben widerſpricht, ſtets die Erinne-
rung zu haͤufen;

“Und
K k 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0533" n="519"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Scha&#x0364;dliche Verab&#x017F;a&#x0364;umung der Kra&#x0364;fte<lb/>
un&#x017F;ers Geda&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;es.</hi> </head><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l><hi rendition="#in">D</hi>ie mei&#x017F;ten halten dieß fu&#x0364;r wahr, daß der Ver&#x017F;tand<lb/><hi rendition="#et">aus dreyen Kra&#x0364;ften,</hi></l><lb/>
                <l><hi rendition="#fr">Geda&#x0364;chtniß, Phanta&#x017F;ey, Ver&#x017F;tand,</hi> be&#x017F;tehe. Wenn<lb/><hi rendition="#et">wir nun bisher,</hi></l><lb/>
                <l>Um Gott zu kennen, uns allein an den <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;tand</hi> am<lb/><hi rendition="#et">mei&#x017F;ten heften,</hi></l><lb/>
                <l>Und, was Gott &#x017F;ey, begreifen wollen; das aber unbe-<lb/><hi rendition="#et">greiflich &#x017F;chwehr,</hi></l><lb/>
                <l>Und viele Ketzerey gewirkt: &#x017F;o wa&#x0364;r&#x2019; es wohl zu u&#x0364;berlegen,</l><lb/>
                <l>Ob, da die andern Kra&#x0364;fte ganz hintange&#x017F;etzt, wir die&#x017F;er-<lb/><hi rendition="#et">wegen</hi></l><lb/>
                <l>Nicht in den Labyrinth gerathen. &#x201C;Wenn wir, bey<lb/><hi rendition="#et">allen Wunder-Gaben,</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Die wir, aus Gottes Huld und Liebe, be&#x017F;itzen, und<lb/><hi rendition="#et">empfangen haben,</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Nur das <hi rendition="#fr">Geda&#x0364;chtniß</hi> ange&#x017F;treckt, und, durch der<lb/><hi rendition="#et">Gaben große Zahl,</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Zum Danken uns ge&#x017F;chickt gemacht, und zur <hi rendition="#fr">Be-</hi><lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#fr">wunderung</hi> zumal;</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;So &#x017F;cheinet fa&#x017F;t von &#x017F;elb&#x017F;t zu folgen, daß Gott, von<lb/><hi rendition="#et">allem Zanken frey,</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Weit wu&#x0364;rdiger verehret worden, und immer zu ver-<lb/><hi rendition="#et">ehren &#x017F;ey:</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Daß es einfolglich un&#x017F;re Pflicht, an&#x017F;tatt ein &#x017F;chwu&#x0364;l-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;tiges Begreifen,</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Das gar dem Glauben wider&#x017F;pricht, &#x017F;tets die <hi rendition="#fr">Erinne-</hi><lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#fr">rung</hi> zu ha&#x0364;ufen;</hi></l><lb/>
                <fw place="bottom" type="sig">K k 4</fw>
                <fw place="bottom" type="catch">&#x201C;Und</fw><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[519/0533] Schaͤdliche Verabſaͤumung der Kraͤfte unſers Gedaͤchtniſſes. Die meiſten halten dieß fuͤr wahr, daß der Verſtand aus dreyen Kraͤften, Gedaͤchtniß, Phantaſey, Verſtand, beſtehe. Wenn wir nun bisher, Um Gott zu kennen, uns allein an den Verſtand am meiſten heften, Und, was Gott ſey, begreifen wollen; das aber unbe- greiflich ſchwehr, Und viele Ketzerey gewirkt: ſo waͤr’ es wohl zu uͤberlegen, Ob, da die andern Kraͤfte ganz hintangeſetzt, wir dieſer- wegen Nicht in den Labyrinth gerathen. “Wenn wir, bey allen Wunder-Gaben, “Die wir, aus Gottes Huld und Liebe, beſitzen, und empfangen haben, “Nur das Gedaͤchtniß angeſtreckt, und, durch der Gaben große Zahl, “Zum Danken uns geſchickt gemacht, und zur Be- wunderung zumal; “So ſcheinet faſt von ſelbſt zu folgen, daß Gott, von allem Zanken frey, “Weit wuͤrdiger verehret worden, und immer zu ver- ehren ſey: “Daß es einfolglich unſre Pflicht, anſtatt ein ſchwuͤl- ſtiges Begreifen, “Das gar dem Glauben widerſpricht, ſtets die Erinne- rung zu haͤufen; “Und K k 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/533
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/533>, abgerufen am 30.12.2024.