Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
Guter Rath.
Wenn, ausser unsrer Erden etwan, vernünftgen We-
sen, von der Welt

Besondrer Schönheit, Anmuth, Ordnung, würd' irgend
etwas vorgestellt;

So könnten sie nicht anders denken, als daß, in unge-
störten Lüsten,

Der Erden Bürger und Bewohner, ohn' allen Zweifel,
leben müßten.
Erführen sie, daß wir dennoch in Unruh, Gram und
Sorgen schwebten,

Und, sonder einiges Vergnügen, in solchem schönen Orte,
lebten;

So würden sie unmöglich anders gedenken, und dabey
verbleiben:

Die Schuld davon wär' anders niemand, als unserm
Geiste, zuzuschreiben.
Betrachteten sie nun den Geist des Menschen, um
ihn zu ergründen;

So würden sie in seinem Wesen, mehr als es jemals
zu vermuthen,

Von Klugheit und von Unverstand, von Größ' und
Kleinheit, Bös- und Guten,

Ein nicht entwickelbar Gewebe, ein ordentliches Chaos,
finden.
Wo sie sich nun, in diesem Stande, mit uns so viel
befassen wollten,

Um einen Rath uns zu ertheilen, wie wir uns hier
verhalten sollten,

Um
Guter Rath.
Wenn, auſſer unſrer Erden etwan, vernuͤnftgen We-
ſen, von der Welt

Beſondrer Schoͤnheit, Anmuth, Ordnung, wuͤrd’ irgend
etwas vorgeſtellt;

So koͤnnten ſie nicht anders denken, als daß, in unge-
ſtoͤrten Luͤſten,

Der Erden Buͤrger und Bewohner, ohn’ allen Zweifel,
leben muͤßten.
Erfuͤhren ſie, daß wir dennoch in Unruh, Gram und
Sorgen ſchwebten,

Und, ſonder einiges Vergnuͤgen, in ſolchem ſchoͤnen Orte,
lebten;

So wuͤrden ſie unmoͤglich anders gedenken, und dabey
verbleiben:

Die Schuld davon waͤr’ anders niemand, als unſerm
Geiſte, zuzuſchreiben.
Betrachteten ſie nun den Geiſt des Menſchen, um
ihn zu ergruͤnden;

So wuͤrden ſie in ſeinem Weſen, mehr als es jemals
zu vermuthen,

Von Klugheit und von Unverſtand, von Groͤß’ und
Kleinheit, Boͤſ- und Guten,

Ein nicht entwickelbar Gewebe, ein ordentliches Chaos,
finden.
Wo ſie ſich nun, in dieſem Stande, mit uns ſo viel
befaſſen wollten,

Um einen Rath uns zu ertheilen, wie wir uns hier
verhalten ſollten,

Um
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0526" n="512"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Guter Rath.</hi> </head><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l><hi rendition="#in">W</hi>enn, au&#x017F;&#x017F;er un&#x017F;rer Erden etwan, vernu&#x0364;nftgen We-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;en, von der Welt</hi></l><lb/>
                <l>Be&#x017F;ondrer Scho&#x0364;nheit, Anmuth, Ordnung, wu&#x0364;rd&#x2019; irgend<lb/><hi rendition="#et">etwas vorge&#x017F;tellt;</hi></l><lb/>
                <l>So ko&#x0364;nnten &#x017F;ie nicht anders denken, als daß, in unge-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;to&#x0364;rten Lu&#x0364;&#x017F;ten,</hi></l><lb/>
                <l>Der Erden Bu&#x0364;rger und Bewohner, ohn&#x2019; allen Zweifel,<lb/><hi rendition="#et">leben mu&#x0364;ßten.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <lg n="2">
                <l>Erfu&#x0364;hren &#x017F;ie, daß wir dennoch in Unruh, Gram und<lb/><hi rendition="#et">Sorgen &#x017F;chwebten,</hi></l><lb/>
                <l>Und, &#x017F;onder einiges Vergnu&#x0364;gen, in &#x017F;olchem &#x017F;cho&#x0364;nen Orte,<lb/><hi rendition="#et">lebten;</hi></l><lb/>
                <l>So wu&#x0364;rden &#x017F;ie unmo&#x0364;glich anders gedenken, und dabey<lb/><hi rendition="#et">verbleiben:</hi></l><lb/>
                <l>Die Schuld davon wa&#x0364;r&#x2019; anders niemand, als un&#x017F;erm<lb/><hi rendition="#et">Gei&#x017F;te, zuzu&#x017F;chreiben.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <lg n="3">
                <l>Betrachteten &#x017F;ie nun den Gei&#x017F;t des Men&#x017F;chen, um<lb/><hi rendition="#et">ihn zu ergru&#x0364;nden;</hi></l><lb/>
                <l>So wu&#x0364;rden &#x017F;ie in &#x017F;einem We&#x017F;en, mehr als es jemals<lb/><hi rendition="#et">zu vermuthen,</hi></l><lb/>
                <l>Von Klugheit und von Unver&#x017F;tand, von Gro&#x0364;ß&#x2019; und<lb/><hi rendition="#et">Kleinheit, Bo&#x0364;&#x017F;- und Guten,</hi></l><lb/>
                <l>Ein nicht entwickelbar Gewebe, ein ordentliches Chaos,<lb/><hi rendition="#et">finden.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <lg n="4">
                <l>Wo &#x017F;ie &#x017F;ich nun, in die&#x017F;em Stande, mit uns &#x017F;o viel<lb/><hi rendition="#et">befa&#x017F;&#x017F;en wollten,</hi></l><lb/>
                <l>Um einen Rath uns zu ertheilen, wie wir uns hier<lb/><hi rendition="#et">verhalten &#x017F;ollten,</hi></l><lb/>
                <fw place="bottom" type="catch">Um</fw><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[512/0526] Guter Rath. Wenn, auſſer unſrer Erden etwan, vernuͤnftgen We- ſen, von der Welt Beſondrer Schoͤnheit, Anmuth, Ordnung, wuͤrd’ irgend etwas vorgeſtellt; So koͤnnten ſie nicht anders denken, als daß, in unge- ſtoͤrten Luͤſten, Der Erden Buͤrger und Bewohner, ohn’ allen Zweifel, leben muͤßten. Erfuͤhren ſie, daß wir dennoch in Unruh, Gram und Sorgen ſchwebten, Und, ſonder einiges Vergnuͤgen, in ſolchem ſchoͤnen Orte, lebten; So wuͤrden ſie unmoͤglich anders gedenken, und dabey verbleiben: Die Schuld davon waͤr’ anders niemand, als unſerm Geiſte, zuzuſchreiben. Betrachteten ſie nun den Geiſt des Menſchen, um ihn zu ergruͤnden; So wuͤrden ſie in ſeinem Weſen, mehr als es jemals zu vermuthen, Von Klugheit und von Unverſtand, von Groͤß’ und Kleinheit, Boͤſ- und Guten, Ein nicht entwickelbar Gewebe, ein ordentliches Chaos, finden. Wo ſie ſich nun, in dieſem Stande, mit uns ſo viel befaſſen wollten, Um einen Rath uns zu ertheilen, wie wir uns hier verhalten ſollten, Um

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/526
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/526>, abgerufen am 21.12.2024.