Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.Der Hochmuth, die Quelle des menschlichen Unglücks. Ogroßer Gott! was ist der Mensch? Ein Wesen, welches überleget; Das allenthalben Wahrheit sucht: und, wenn er alles recht erweget; Doch allenthalben Jrrthum findet. Wenn er sein Jnnerstes ergründet, Wenn er nach Billigkeit verfährt; so sollt' ihn ja der Fehler Menge, Der Leidenschaften zähe Stricke, des Labyrinths ver- worrne Gänge, Die er bey sich und andern spührt, doch auch auf die Gedanken bringen: "Wer gab denn dir allein Befugniß, die Wahr- heit aus der Gruft zu ziehn, "Jn welche sie gesenket scheint? Wer gab denn dir das Richter-Amt? "Jst es denn bloß in deiner Brust, wo Weisheit unbetrieglich flammt? "Ein jeder deines gleichen denkt und urtheilt eben so von sich, "Als du von dir und deinem Geist. Von wem wird dieser Zwist entschieden? "Du hast nicht den geringsten Vorzug: du kamst, und bist, wie er, hienieden. "Ein jeder deines gleichen fühlt sowohl, als du, sein denkend Jch, "Und J i 2
Der Hochmuth, die Quelle des menſchlichen Ungluͤcks. Ogroßer Gott! was iſt der Menſch? Ein Weſen, welches uͤberleget; Das allenthalben Wahrheit ſucht: und, wenn er alles recht erweget; Doch allenthalben Jrrthum findet. Wenn er ſein Jnnerſtes ergruͤndet, Wenn er nach Billigkeit verfaͤhrt; ſo ſollt’ ihn ja der Fehler Menge, Der Leidenſchaften zaͤhe Stricke, des Labyrinths ver- worrne Gaͤnge, Die er bey ſich und andern ſpuͤhrt, doch auch auf die Gedanken bringen: “Wer gab denn dir allein Befugniß, die Wahr- heit aus der Gruft zu ziehn, “Jn welche ſie geſenket ſcheint? Wer gab denn dir das Richter-Amt? “Jſt es denn bloß in deiner Bruſt, wo Weisheit unbetrieglich flammt? “Ein jeder deines gleichen denkt und urtheilt eben ſo von ſich, “Als du von dir und deinem Geiſt. Von wem wird dieſer Zwiſt entſchieden? “Du haſt nicht den geringſten Vorzug: du kamſt, und biſt, wie er, hienieden. “Ein jeder deines gleichen fuͤhlt ſowohl, als du, ſein denkend Jch, “Und J i 2
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Der Hochmuth,
die Quelle des menſchlichen Ungluͤcks.
Ogroßer Gott! was iſt der Menſch? Ein Weſen,
welches uͤberleget;
Das allenthalben Wahrheit ſucht: und, wenn er alles
recht erweget;
Doch allenthalben Jrrthum findet.
Wenn er ſein Jnnerſtes ergruͤndet,
Wenn er nach Billigkeit verfaͤhrt; ſo ſollt’ ihn ja der
Fehler Menge,
Der Leidenſchaften zaͤhe Stricke, des Labyrinths ver-
worrne Gaͤnge,
Die er bey ſich und andern ſpuͤhrt, doch auch auf die
Gedanken bringen:
“Wer gab denn dir allein Befugniß, die Wahr-
heit aus der Gruft zu ziehn,
“Jn welche ſie geſenket ſcheint? Wer gab denn
dir das Richter-Amt?
“Jſt es denn bloß in deiner Bruſt, wo Weisheit
unbetrieglich flammt?
“Ein jeder deines gleichen denkt und urtheilt eben
ſo von ſich,
“Als du von dir und deinem Geiſt. Von wem
wird dieſer Zwiſt entſchieden?
“Du haſt nicht den geringſten Vorzug: du kamſt,
und biſt, wie er, hienieden.
“Ein jeder deines gleichen fuͤhlt ſowohl, als du,
ſein denkend Jch,
“Und
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