Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
Das wahre Leben.
Wir leben; aber welch ein Leben, wenn man nicht,
daß wir leben, denkt!

Jnzwischen, daß sich unsre Zeit beständig, wie ein Strohm,
versenkt,

Wird man, mit eitlem Tand beschäfftigt, kaum, daß
wir leben, einst gewahr;

Und eh wir merken, daß wir leben, zeigt sich bereits die
Todten-Baar.
Wir suchen Brodt, wir suchen Reichthum, wir streben
nach dem Schmuck der Ehre,

Als wenn, geehrt und reich zu seyn, der Endzweck un-
sers Daseyns wäre:

Da doch Natur, Vernunft und Schrift, nebst unsern
Sinnen, unserm Geist,

Jn einer allgemeinen Sprache, ganz einen andern End-
zweck weist.
Es predigt uns die ganze Welt den wahren Satz:
"Der Schöpfer wolle,

"Daß man, in Seinen Werken, Jhn bewundernd,
sich vergnügen solle.

"Zu dieser Absicht scheinet uns das Leben, auf der Welt,
gegeben.

"Zum Ruhm des Schöpfers sich vergnügen, das
ist allein ein wahres Leben.


Gottes
Das wahre Leben.
Wir leben; aber welch ein Leben, wenn man nicht,
daß wir leben, denkt!

Jnzwiſchen, daß ſich unſre Zeit beſtaͤndig, wie ein Strohm,
verſenkt,

Wird man, mit eitlem Tand beſchaͤfftigt, kaum, daß
wir leben, einſt gewahr;

Und eh wir merken, daß wir leben, zeigt ſich bereits die
Todten-Baar.
Wir ſuchen Brodt, wir ſuchen Reichthum, wir ſtreben
nach dem Schmuck der Ehre,

Als wenn, geehrt und reich zu ſeyn, der Endzweck un-
ſers Daſeyns waͤre:

Da doch Natur, Vernunft und Schrift, nebſt unſern
Sinnen, unſerm Geiſt,

Jn einer allgemeinen Sprache, ganz einen andern End-
zweck weiſt.
Es predigt uns die ganze Welt den wahren Satz:
“Der Schoͤpfer wolle,

“Daß man, in Seinen Werken, Jhn bewundernd,
ſich vergnuͤgen ſolle.

“Zu dieſer Abſicht ſcheinet uns das Leben, auf der Welt,
gegeben.

Zum Ruhm des Schoͤpfers ſich vergnuͤgen, das
iſt allein ein wahres Leben.


Gottes
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0494" n="480"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Das wahre Leben.</hi> </head><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l><hi rendition="#in">W</hi>ir leben; aber welch ein Leben, wenn man nicht,<lb/><hi rendition="#et">daß wir leben, denkt!</hi></l><lb/>
                <l>Jnzwi&#x017F;chen, daß &#x017F;ich un&#x017F;re Zeit be&#x017F;ta&#x0364;ndig, wie ein Strohm,<lb/><hi rendition="#et">ver&#x017F;enkt,</hi></l><lb/>
                <l>Wird man, mit eitlem Tand be&#x017F;cha&#x0364;fftigt, kaum, daß<lb/><hi rendition="#et">wir leben, ein&#x017F;t gewahr;</hi></l><lb/>
                <l>Und eh wir merken, daß wir leben, zeigt &#x017F;ich bereits die<lb/><hi rendition="#et">Todten-Baar.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <lg n="2">
                <l>Wir &#x017F;uchen Brodt, wir &#x017F;uchen Reichthum, wir &#x017F;treben<lb/><hi rendition="#et">nach dem Schmuck der Ehre,</hi></l><lb/>
                <l>Als wenn, geehrt und reich zu &#x017F;eyn, der Endzweck un-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ers Da&#x017F;eyns wa&#x0364;re:</hi></l><lb/>
                <l>Da doch Natur, Vernunft und Schrift, neb&#x017F;t un&#x017F;ern<lb/><hi rendition="#et">Sinnen, un&#x017F;erm Gei&#x017F;t,</hi></l><lb/>
                <l>Jn einer allgemeinen Sprache, ganz einen andern End-<lb/><hi rendition="#et">zweck wei&#x017F;t.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <lg n="3">
                <l>Es predigt uns die ganze Welt den wahren Satz:<lb/><hi rendition="#et">&#x201C;Der Scho&#x0364;pfer wolle,</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Daß man, in Seinen Werken, Jhn bewundernd,<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ich vergnu&#x0364;gen &#x017F;olle.</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Zu die&#x017F;er Ab&#x017F;icht &#x017F;cheinet uns das Leben, auf der Welt,<lb/><hi rendition="#et">gegeben.</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;<hi rendition="#fr">Zum Ruhm des Scho&#x0364;pfers &#x017F;ich vergnu&#x0364;gen, das</hi></l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#et">i&#x017F;t allein ein wahres Leben.</hi> </hi> </l>
              </lg>
            </lg>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Gottes</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[480/0494] Das wahre Leben. Wir leben; aber welch ein Leben, wenn man nicht, daß wir leben, denkt! Jnzwiſchen, daß ſich unſre Zeit beſtaͤndig, wie ein Strohm, verſenkt, Wird man, mit eitlem Tand beſchaͤfftigt, kaum, daß wir leben, einſt gewahr; Und eh wir merken, daß wir leben, zeigt ſich bereits die Todten-Baar. Wir ſuchen Brodt, wir ſuchen Reichthum, wir ſtreben nach dem Schmuck der Ehre, Als wenn, geehrt und reich zu ſeyn, der Endzweck un- ſers Daſeyns waͤre: Da doch Natur, Vernunft und Schrift, nebſt unſern Sinnen, unſerm Geiſt, Jn einer allgemeinen Sprache, ganz einen andern End- zweck weiſt. Es predigt uns die ganze Welt den wahren Satz: “Der Schoͤpfer wolle, “Daß man, in Seinen Werken, Jhn bewundernd, ſich vergnuͤgen ſolle. “Zu dieſer Abſicht ſcheinet uns das Leben, auf der Welt, gegeben. “Zum Ruhm des Schoͤpfers ſich vergnuͤgen, das iſt allein ein wahres Leben. Gottes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/494
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/494>, abgerufen am 03.12.2024.