Der Mensch ist ein vernünftigs Thier. Wer sagt es? Wir. Nun wohl! es sey. So laßt dann sehn, Worinn die Proben der Vernunft, bey uns, denn eigent- lich bestehn?
Es zeigt und lehrt uns die Vernunft: "Daß wir der Sinnen Schätz' und Gaben, "Um, Gott zum Ruhm, die schöne Welt zu nützen, überkommen haben. Es lehret die Vernunft uns weiter: "Daß die Ver- nunft, bey dem Genuß, "Gebraucht seyn, und nicht fehlen muß; "Weil Sehn und Hören, ohn Erwegen, ein thierisch Sehn, ein viehisch Hören.
Nun mag uns die Erfahrung lehren: Ob die so sehr vernünftge Pflicht, Von den sich selbst so nennenden vernünftgen Bürgern dieser Erde, Vernünftig ausgerichtet werde? "So lange dieses nicht geschicht, "Und du, zu Deines Schöpfers Ruhm, nicht riechest, hörest, schmeckst und fühlest, "Dir selbst die dir gegönnte Lust, dem Geber Seine Ehre, stiehlest; "Wie werden andre Wesen, Geister, und Engel, dich, mit Fug, wohl können "Ein mit Vernunft begabtes Thier, wie du dich selber nennest, nennen?
Das
Der unvernuͤnftige Menſch.
Der Menſch iſt ein vernuͤnftigs Thier. Wer ſagt es? Wir. Nun wohl! es ſey. So laßt dann ſehn, Worinn die Proben der Vernunft, bey uns, denn eigent- lich beſtehn?
Es zeigt und lehrt uns die Vernunft: “Daß wir der Sinnen Schaͤtz’ und Gaben, “Um, Gott zum Ruhm, die ſchoͤne Welt zu nuͤtzen, uͤberkommen haben. Es lehret die Vernunft uns weiter: “Daß die Ver- nunft, bey dem Genuß, “Gebraucht ſeyn, und nicht fehlen muß; “Weil Sehn und Hoͤren, ohn Erwegen, ein thieriſch Sehn, ein viehiſch Hoͤren.
Nun mag uns die Erfahrung lehren: Ob die ſo ſehr vernuͤnftge Pflicht, Von den ſich ſelbſt ſo nennenden vernuͤnftgen Buͤrgern dieſer Erde, Vernuͤnftig ausgerichtet werde? “So lange dieſes nicht geſchicht, “Und du, zu Deines Schoͤpfers Ruhm, nicht riecheſt, hoͤreſt, ſchmeckſt und fuͤhleſt, “Dir ſelbſt die dir gegoͤnnte Luſt, dem Geber Seine Ehre, ſtiehleſt; “Wie werden andre Weſen, Geiſter, und Engel, dich, mit Fug, wohl koͤnnen “Ein mit Vernunft begabtes Thier, wie du dich ſelber nenneſt, nennen?
Das
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Der unvernuͤnftige Menſch.
Der Menſch iſt ein vernuͤnftigs Thier.
Wer ſagt es? Wir.
Nun wohl! es ſey. So laßt dann ſehn,
Worinn die Proben der Vernunft, bey uns, denn eigent-
lich beſtehn?
Es zeigt und lehrt uns die Vernunft: “Daß wir
der Sinnen Schaͤtz’ und Gaben,
“Um, Gott zum Ruhm, die ſchoͤne Welt zu nuͤtzen,
uͤberkommen haben.
Es lehret die Vernunft uns weiter: “Daß die Ver-
nunft, bey dem Genuß,
“Gebraucht ſeyn, und nicht fehlen muß;
“Weil Sehn und Hoͤren, ohn Erwegen, ein thieriſch
Sehn, ein viehiſch Hoͤren.
Nun mag uns die Erfahrung lehren:
Ob die ſo ſehr vernuͤnftge Pflicht,
Von den ſich ſelbſt ſo nennenden vernuͤnftgen Buͤrgern
dieſer Erde,
Vernuͤnftig ausgerichtet werde?
“So lange dieſes nicht geſchicht,
“Und du, zu Deines Schoͤpfers Ruhm, nicht riecheſt,
hoͤreſt, ſchmeckſt und fuͤhleſt,
“Dir ſelbſt die dir gegoͤnnte Luſt, dem Geber Seine
Ehre, ſtiehleſt;
“Wie werden andre Weſen, Geiſter, und Engel, dich,
mit Fug, wohl koͤnnen
“Ein mit Vernunft begabtes Thier, wie du dich ſelber
nenneſt, nennen?
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/493>, abgerufen am 22.02.2025.
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