Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
Das wahre Leben.
Wenn wir auf unser ganzes Leben,
So wie wir sollten, Achtung geben,
Mit rechtem Ernst; so findet sich:
Vom Leben komm' uns eigentlich
Nur eine einzige Minute,
Zum Nutz, und in der That, zu gute.
Denn die Minute, die verschwunden,
Jst weg, gehöret uns nicht mehr;
Die künftge fehlt uns ja so sehr,
Da sie sich noch nicht eingefunden.
Hieraus nun folget diese Lehr:
"Daß, da, von unsern Lebens-Theilen,
"Die alle flüchtig sind und eilen,
"Die einzige Minut' allein,
"Die gegenwärtig, uns gehöret;
"Wir desto mehr verpflichtet seyn,
"Wo uns kein Schmerz noch Gram beschwehret;
"Dieselbe fröhlich zu gebrauchen: sie ungenutzet
nicht vergehn,

"Und ungeprüft verschwinden lassen. Es wird uns
die Erfahrung geben,

"Daß wir, wenn solches nicht geschicht, ob wir gleich
leben, doch nicht leben:

"Geschichts hingegen; daß wir leben, und Gott,
in unsrer Freud', erhöhn.


Der
G g 5
Das wahre Leben.
Wenn wir auf unſer ganzes Leben,
So wie wir ſollten, Achtung geben,
Mit rechtem Ernſt; ſo findet ſich:
Vom Leben komm’ uns eigentlich
Nur eine einzige Minute,
Zum Nutz, und in der That, zu gute.
Denn die Minute, die verſchwunden,
Jſt weg, gehoͤret uns nicht mehr;
Die kuͤnftge fehlt uns ja ſo ſehr,
Da ſie ſich noch nicht eingefunden.
Hieraus nun folget dieſe Lehr:
“Daß, da, von unſern Lebens-Theilen,
“Die alle fluͤchtig ſind und eilen,
“Die einzige Minut’ allein,
“Die gegenwaͤrtig, uns gehoͤret;
“Wir deſto mehr verpflichtet ſeyn,
“Wo uns kein Schmerz noch Gram beſchwehret;
“Dieſelbe froͤhlich zu gebrauchen: ſie ungenutzet
nicht vergehn,

“Und ungepruͤft verſchwinden laſſen. Es wird uns
die Erfahrung geben,

“Daß wir, wenn ſolches nicht geſchicht, ob wir gleich
leben, doch nicht leben:

“Geſchichts hingegen; daß wir leben, und Gott,
in unſrer Freud’, erhoͤhn.


Der
G g 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0487" n="473"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Das wahre Leben.</hi> </head><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l><hi rendition="#in">W</hi>enn wir auf un&#x017F;er ganzes Leben,</l><lb/>
                <l>So wie wir &#x017F;ollten, Achtung geben,</l><lb/>
                <l>Mit rechtem Ern&#x017F;t; &#x017F;o findet &#x017F;ich:</l><lb/>
                <l>Vom Leben komm&#x2019; uns eigentlich</l><lb/>
                <l>Nur eine einzige Minute,</l><lb/>
                <l>Zum Nutz, und in der That, zu gute.</l><lb/>
                <l>Denn die Minute, die ver&#x017F;chwunden,</l><lb/>
                <l>J&#x017F;t weg, geho&#x0364;ret uns nicht mehr;</l><lb/>
                <l>Die ku&#x0364;nftge fehlt uns ja &#x017F;o &#x017F;ehr,</l><lb/>
                <l>Da &#x017F;ie &#x017F;ich noch nicht eingefunden.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="2">
                <l>Hieraus nun folget die&#x017F;e Lehr:</l><lb/>
                <l>&#x201C;Daß, da, von un&#x017F;ern Lebens-Theilen,</l><lb/>
                <l>&#x201C;Die alle flu&#x0364;chtig &#x017F;ind und eilen,</l><lb/>
                <l>&#x201C;Die einzige Minut&#x2019; allein,</l><lb/>
                <l>&#x201C;Die gegenwa&#x0364;rtig, uns geho&#x0364;ret;</l><lb/>
                <l>&#x201C;Wir de&#x017F;to mehr verpflichtet &#x017F;eyn,</l><lb/>
                <l>&#x201C;Wo uns kein Schmerz noch Gram be&#x017F;chwehret;</l><lb/>
                <l>&#x201C;Die&#x017F;elbe fro&#x0364;hlich zu gebrauchen: &#x017F;ie ungenutzet<lb/><hi rendition="#et">nicht vergehn,</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Und ungepru&#x0364;ft ver&#x017F;chwinden la&#x017F;&#x017F;en. Es wird uns<lb/><hi rendition="#et">die Erfahrung geben,</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Daß wir, wenn &#x017F;olches nicht ge&#x017F;chicht, ob wir gleich<lb/><hi rendition="#et">leben, doch nicht leben:</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Ge&#x017F;chichts hingegen; daß wir leben, und Gott,<lb/><hi rendition="#et">in un&#x017F;rer Freud&#x2019;, erho&#x0364;hn.</hi></l>
              </lg>
            </lg>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">G g 5</fw>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Der</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[473/0487] Das wahre Leben. Wenn wir auf unſer ganzes Leben, So wie wir ſollten, Achtung geben, Mit rechtem Ernſt; ſo findet ſich: Vom Leben komm’ uns eigentlich Nur eine einzige Minute, Zum Nutz, und in der That, zu gute. Denn die Minute, die verſchwunden, Jſt weg, gehoͤret uns nicht mehr; Die kuͤnftge fehlt uns ja ſo ſehr, Da ſie ſich noch nicht eingefunden. Hieraus nun folget dieſe Lehr: “Daß, da, von unſern Lebens-Theilen, “Die alle fluͤchtig ſind und eilen, “Die einzige Minut’ allein, “Die gegenwaͤrtig, uns gehoͤret; “Wir deſto mehr verpflichtet ſeyn, “Wo uns kein Schmerz noch Gram beſchwehret; “Dieſelbe froͤhlich zu gebrauchen: ſie ungenutzet nicht vergehn, “Und ungepruͤft verſchwinden laſſen. Es wird uns die Erfahrung geben, “Daß wir, wenn ſolches nicht geſchicht, ob wir gleich leben, doch nicht leben: “Geſchichts hingegen; daß wir leben, und Gott, in unſrer Freud’, erhoͤhn. Der G g 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/487
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/487>, abgerufen am 21.11.2024.