Wenn wir auf unser ganzes Leben, So wie wir sollten, Achtung geben, Mit rechtem Ernst; so findet sich: Vom Leben komm' uns eigentlich Nur eine einzige Minute, Zum Nutz, und in der That, zu gute. Denn die Minute, die verschwunden, Jst weg, gehöret uns nicht mehr; Die künftge fehlt uns ja so sehr, Da sie sich noch nicht eingefunden.
Hieraus nun folget diese Lehr: "Daß, da, von unsern Lebens-Theilen, "Die alle flüchtig sind und eilen, "Die einzige Minut' allein, "Die gegenwärtig, uns gehöret; "Wir desto mehr verpflichtet seyn, "Wo uns kein Schmerz noch Gram beschwehret; "Dieselbe fröhlich zu gebrauchen: sie ungenutzet nicht vergehn, "Und ungeprüft verschwinden lassen. Es wird uns die Erfahrung geben, "Daß wir, wenn solches nicht geschicht, ob wir gleich leben, doch nicht leben: "Geschichts hingegen; daß wir leben, und Gott, in unsrer Freud', erhöhn.
Der
G g 5
Das wahre Leben.
Wenn wir auf unſer ganzes Leben, So wie wir ſollten, Achtung geben, Mit rechtem Ernſt; ſo findet ſich: Vom Leben komm’ uns eigentlich Nur eine einzige Minute, Zum Nutz, und in der That, zu gute. Denn die Minute, die verſchwunden, Jſt weg, gehoͤret uns nicht mehr; Die kuͤnftge fehlt uns ja ſo ſehr, Da ſie ſich noch nicht eingefunden.
Hieraus nun folget dieſe Lehr: “Daß, da, von unſern Lebens-Theilen, “Die alle fluͤchtig ſind und eilen, “Die einzige Minut’ allein, “Die gegenwaͤrtig, uns gehoͤret; “Wir deſto mehr verpflichtet ſeyn, “Wo uns kein Schmerz noch Gram beſchwehret; “Dieſelbe froͤhlich zu gebrauchen: ſie ungenutzet nicht vergehn, “Und ungepruͤft verſchwinden laſſen. Es wird uns die Erfahrung geben, “Daß wir, wenn ſolches nicht geſchicht, ob wir gleich leben, doch nicht leben: “Geſchichts hingegen; daß wir leben, und Gott, in unſrer Freud’, erhoͤhn.
Der
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Das wahre Leben.
Wenn wir auf unſer ganzes Leben,
So wie wir ſollten, Achtung geben,
Mit rechtem Ernſt; ſo findet ſich:
Vom Leben komm’ uns eigentlich
Nur eine einzige Minute,
Zum Nutz, und in der That, zu gute.
Denn die Minute, die verſchwunden,
Jſt weg, gehoͤret uns nicht mehr;
Die kuͤnftge fehlt uns ja ſo ſehr,
Da ſie ſich noch nicht eingefunden.
Hieraus nun folget dieſe Lehr:
“Daß, da, von unſern Lebens-Theilen,
“Die alle fluͤchtig ſind und eilen,
“Die einzige Minut’ allein,
“Die gegenwaͤrtig, uns gehoͤret;
“Wir deſto mehr verpflichtet ſeyn,
“Wo uns kein Schmerz noch Gram beſchwehret;
“Dieſelbe froͤhlich zu gebrauchen: ſie ungenutzet
nicht vergehn,
“Und ungepruͤft verſchwinden laſſen. Es wird uns
die Erfahrung geben,
“Daß wir, wenn ſolches nicht geſchicht, ob wir gleich
leben, doch nicht leben:
“Geſchichts hingegen; daß wir leben, und Gott,
in unſrer Freud’, erhoͤhn.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/487>, abgerufen am 21.11.2024.
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