Welch ein reges, allgemeines, pressendes, belebt Ge- dränge Muß, zur holden Lenzen-Zeit, Jn nie unterbrochener, unvermerkter Aemsigkeit, Zu dem unsrer Erden Fläche itzt bedeckenden Gepränge, Luft und Land, und überall alles, was man siehet, füllen! Alle Säfte gähren gleichsam, allenthalben sieht man fast, Bald aus ungeschlachter Erde, bald aus einem dürren Ast, Gras und Kräuter, Bluhmen, Knospen, Blüht' und junge Blätter quillen, Auch mit ihnen, junge Schatten. Was, vor einer Stunde, noch Ungeformt im Klumpen saß, trennet und entwickelt sich, Färbt, formirt sich, und erscheinet. Wie geschiehet dieses doch? Wird es denn aus den Behältern mit Gewalt hervorgedrun- gen? Kommt es etwan von sich selber aus der Knosp' hervor- gesprungen? Oder zieht von aussen etwas sie aus ihrem Sitz herfür? Wie bereitet sich in ihnen ihrer Form- und Farben Zier?
Wenn wir etwas zierlichs bilden, so geschicht es durch die Hand, Diese führet und regieret der sie leitende Verstand, Und dieß nennen wir denn Kunst. Aber hier erblicken wir Etwas, welches, sonder Zuthun unsrer Seel und Hand, sich bildet, Sich bewundernswürdig färbt, sich versilbert, sich ver- güldet.
Läßt
D 2
Neue Fruͤhlings-Betrachtung.
Welch ein reges, allgemeines, preſſendes, belebt Ge- draͤnge Muß, zur holden Lenzen-Zeit, Jn nie unterbrochener, unvermerkter Aemſigkeit, Zu dem unſrer Erden Flaͤche itzt bedeckenden Gepraͤnge, Luft und Land, und uͤberall alles, was man ſiehet, fuͤllen! Alle Saͤfte gaͤhren gleichſam, allenthalben ſieht man faſt, Bald aus ungeſchlachter Erde, bald aus einem duͤrren Aſt, Gras und Kraͤuter, Bluhmen, Knoſpen, Bluͤht’ und junge Blaͤtter quillen, Auch mit ihnen, junge Schatten. Was, vor einer Stunde, noch Ungeformt im Klumpen ſaß, trennet und entwickelt ſich, Faͤrbt, formirt ſich, und erſcheinet. Wie geſchiehet dieſes doch? Wird es denn aus den Behaͤltern mit Gewalt hervorgedrun- gen? Kommt es etwan von ſich ſelber aus der Knoſp’ hervor- geſprungen? Oder zieht von auſſen etwas ſie aus ihrem Sitz herfuͤr? Wie bereitet ſich in ihnen ihrer Form- und Farben Zier?
Wenn wir etwas zierlichs bilden, ſo geſchicht es durch die Hand, Dieſe fuͤhret und regieret der ſie leitende Verſtand, Und dieß nennen wir denn Kunſt. Aber hier erblicken wir Etwas, welches, ſonder Zuthun unſrer Seel und Hand, ſich bildet, Sich bewundernswuͤrdig faͤrbt, ſich verſilbert, ſich ver- guͤldet.
Laͤßt
D 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0069"n="51"/><divn="3"><head><hirendition="#b">Neue Fruͤhlings-Betrachtung.</hi></head><lb/><lgtype="poem"><lgn="1"><l><hirendition="#in">W</hi>elch ein reges, allgemeines, preſſendes, belebt Ge-</l><lb/><l><hirendition="#et">draͤnge</hi></l><lb/><l>Muß, zur holden Lenzen-Zeit,</l><lb/><l>Jn nie unterbrochener, unvermerkter Aemſigkeit,</l><lb/><l>Zu dem unſrer Erden Flaͤche itzt bedeckenden Gepraͤnge,</l><lb/><l>Luft und Land, und uͤberall alles, was man ſiehet, fuͤllen!</l><lb/><l>Alle Saͤfte gaͤhren gleichſam, allenthalben ſieht man faſt,</l><lb/><l>Bald aus ungeſchlachter Erde, bald aus einem duͤrren Aſt,</l><lb/><l>Gras und Kraͤuter, Bluhmen, Knoſpen, Bluͤht’ und junge</l><lb/><l><hirendition="#et">Blaͤtter quillen,</hi></l><lb/><l>Auch mit ihnen, junge Schatten. Was, vor einer Stunde,</l><lb/><l><hirendition="#et">noch</hi></l><lb/><l>Ungeformt im Klumpen ſaß, trennet und entwickelt ſich,</l><lb/><l>Faͤrbt, formirt ſich, und erſcheinet. Wie geſchiehet dieſes</l><lb/><l><hirendition="#et">doch?</hi></l><lb/><l>Wird es denn aus den Behaͤltern mit Gewalt hervorgedrun-</l><lb/><l><hirendition="#et">gen?</hi></l><lb/><l>Kommt es etwan von ſich ſelber aus der Knoſp’ hervor-</l><lb/><l><hirendition="#et">geſprungen?</hi></l><lb/><l>Oder zieht von auſſen etwas ſie aus ihrem Sitz herfuͤr?</l><lb/><l>Wie bereitet ſich in ihnen ihrer Form- und Farben Zier?</l></lg><lb/><lgn="2"><l>Wenn wir etwas zierlichs bilden, ſo geſchicht es durch</l><lb/><l><hirendition="#et">die Hand,</hi></l><lb/><l>Dieſe fuͤhret und regieret der ſie leitende Verſtand,</l><lb/><l>Und dieß nennen wir denn Kunſt. Aber hier erblicken</l><lb/><l><hirendition="#et">wir</hi></l><lb/><l>Etwas, welches, ſonder Zuthun unſrer Seel und Hand, ſich</l><lb/><l><hirendition="#et">bildet,</hi></l><lb/><l>Sich bewundernswuͤrdig faͤrbt, ſich verſilbert, ſich ver-</l><lb/><l><hirendition="#et">guͤldet.</hi></l></lg><lb/><fwplace="bottom"type="sig">D 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Laͤßt</fw><lb/></lg></div></div></div></body></text></TEI>
[51/0069]
Neue Fruͤhlings-Betrachtung.
Welch ein reges, allgemeines, preſſendes, belebt Ge-
draͤnge
Muß, zur holden Lenzen-Zeit,
Jn nie unterbrochener, unvermerkter Aemſigkeit,
Zu dem unſrer Erden Flaͤche itzt bedeckenden Gepraͤnge,
Luft und Land, und uͤberall alles, was man ſiehet, fuͤllen!
Alle Saͤfte gaͤhren gleichſam, allenthalben ſieht man faſt,
Bald aus ungeſchlachter Erde, bald aus einem duͤrren Aſt,
Gras und Kraͤuter, Bluhmen, Knoſpen, Bluͤht’ und junge
Blaͤtter quillen,
Auch mit ihnen, junge Schatten. Was, vor einer Stunde,
noch
Ungeformt im Klumpen ſaß, trennet und entwickelt ſich,
Faͤrbt, formirt ſich, und erſcheinet. Wie geſchiehet dieſes
doch?
Wird es denn aus den Behaͤltern mit Gewalt hervorgedrun-
gen?
Kommt es etwan von ſich ſelber aus der Knoſp’ hervor-
geſprungen?
Oder zieht von auſſen etwas ſie aus ihrem Sitz herfuͤr?
Wie bereitet ſich in ihnen ihrer Form- und Farben Zier?
Wenn wir etwas zierlichs bilden, ſo geſchicht es durch
die Hand,
Dieſe fuͤhret und regieret der ſie leitende Verſtand,
Und dieß nennen wir denn Kunſt. Aber hier erblicken
wir
Etwas, welches, ſonder Zuthun unſrer Seel und Hand, ſich
bildet,
Sich bewundernswuͤrdig faͤrbt, ſich verſilbert, ſich ver-
guͤldet.
Laͤßt
D 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/69>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.