Wie ich im Herbst in einem güldnen fast mehr, als gelben Walde ging, Und wie von roht- und gelber Farbe ein Feuer-gleicher Glanz ihn schmückte, Der überall zu lodern schien, mit ungemeiner Lust erblickte; So deucht mich, daß ein jeder Baum, ja jedes Blatt, das an ihm hing, Zu denen, die vorüber gingen, so gleichsam anzusprechen fing:
Du wolltest durch mein schönes Grün, Ob es gleich noch so lieblich schien, Nicht vom Gewohnheits-Schlaf erwachen; So laß mein Feuer-farbner Schein Dir itzt, statt eines Feuers, seyn, Der Andacht Flammen anzufachen! Jch müh' mich, mich aufs neu zu mahlen, Um besser dir ins Aug' zu strahlen, Beschaue mich! noch bin ich da; Beschaue mich! noch bin ich schön. Doch mußt du mich noch heute seh'n, Denn morgen ists um mich geschehn, Jch spühr es, mein Vergehn ist nah. Wenn du mich noch beschaust, und denkest: Wie schön ist dieses Baumes Pracht! Wie schön ist, was der Schöpfer macht! Wenn du nur ein GOtt-Lob Jhm schenkest; So hast du deine Pflicht vollbracht, Und da du mich dazu erlesen, Und auch, in mir, an GOtt gedacht; So hin ich nicht umsonst gewesen.
An
Herbſt-Gedanken.
Wie ich im Herbſt in einem guͤldnen faſt mehr, als gelben Walde ging, Und wie von roht- und gelber Farbe ein Feuer-gleicher Glanz ihn ſchmuͤckte, Der uͤberall zu lodern ſchien, mit ungemeiner Luſt erblickte; So deucht mich, daß ein jeder Baum, ja jedes Blatt, das an ihm hing, Zu denen, die voruͤber gingen, ſo gleichſam anzuſprechen fing:
Du wollteſt durch mein ſchoͤnes Gruͤn, Ob es gleich noch ſo lieblich ſchien, Nicht vom Gewohnheits-Schlaf erwachen; So laß mein Feuer-farbner Schein Dir itzt, ſtatt eines Feuers, ſeyn, Der Andacht Flammen anzufachen! Jch muͤh’ mich, mich aufs neu zu mahlen, Um beſſer dir ins Aug’ zu ſtrahlen, Beſchaue mich! noch bin ich da; Beſchaue mich! noch bin ich ſchoͤn. Doch mußt du mich noch heute ſeh’n, Denn morgen iſts um mich geſchehn, Jch ſpuͤhr es, mein Vergehn iſt nah. Wenn du mich noch beſchauſt, und denkeſt: Wie ſchoͤn iſt dieſes Baumes Pracht! Wie ſchoͤn iſt, was der Schoͤpfer macht! Wenn du nur ein GOtt-Lob Jhm ſchenkeſt; So haſt du deine Pflicht vollbracht, Und da du mich dazu erleſen, Und auch, in mir, an GOtt gedacht; So hin ich nicht umſonſt geweſen.
An
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Herbſt-Gedanken.
Wie ich im Herbſt in einem guͤldnen faſt mehr, als gelben
Walde ging,
Und wie von roht- und gelber Farbe ein Feuer-gleicher
Glanz ihn ſchmuͤckte,
Der uͤberall zu lodern ſchien, mit ungemeiner Luſt erblickte;
So deucht mich, daß ein jeder Baum, ja jedes Blatt, das
an ihm hing,
Zu denen, die voruͤber gingen, ſo gleichſam anzuſprechen fing:
Du wollteſt durch mein ſchoͤnes Gruͤn,
Ob es gleich noch ſo lieblich ſchien,
Nicht vom Gewohnheits-Schlaf erwachen;
So laß mein Feuer-farbner Schein
Dir itzt, ſtatt eines Feuers, ſeyn,
Der Andacht Flammen anzufachen!
Jch muͤh’ mich, mich aufs neu zu mahlen,
Um beſſer dir ins Aug’ zu ſtrahlen,
Beſchaue mich! noch bin ich da;
Beſchaue mich! noch bin ich ſchoͤn.
Doch mußt du mich noch heute ſeh’n,
Denn morgen iſts um mich geſchehn,
Jch ſpuͤhr es, mein Vergehn iſt nah.
Wenn du mich noch beſchauſt, und denkeſt:
Wie ſchoͤn iſt dieſes Baumes Pracht!
Wie ſchoͤn iſt, was der Schoͤpfer macht!
Wenn du nur ein GOtt-Lob Jhm ſchenkeſt;
So haſt du deine Pflicht vollbracht,
Und da du mich dazu erleſen,
Und auch, in mir, an GOtt gedacht;
So hin ich nicht umſonſt geweſen.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/465>, abgerufen am 03.12.2024.
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