Belustigende und erbauliche Morgen-Gedanken. Nach Anleitung Mr. Thomsons.
Es läßt das sanfte Morgen-Licht im bunten Osten sich schon seh'n, Die kühle Milch der grünen Pflanzen, der Thau, sinkt aus den grauen Höh'n. Man siehet an der dünnen Luft unsichtbarn Kreyses äussern Grenzen, Und, in und durch derselben Cörper, der Dämmrung annoch schwaches Glänzen Sich mit den dunklen Schatten mischen, und sie gemach, gemach besiegen. Die Nacht entweicht mit trägem Schritt, der junge Tag erscheinet schnell, Formieret eine schöne Weite, um unsre Augen zu vergnügen. Er zieht vor einem schönen Schauplatz die Decke weg, macht alles hell, Und stellet, was vor unser Aug' sich durch die Dunkelheit verlor, Als würd' es fast aufs neu' erschaffen, uns, durch den Wech- sel, schöner vor. Der fernen Berge neblicht Haupt, der hohen Felsen feuchte Gipfel, Der träuflenden gebognen Bäume gewölbte Wolken-gleiche Wipfel Erscheinen, nehmen sichtbarlich, mit dem gestärkten Tage, zu. Was bis daher im Schlaf begraben, wird munter, und ver- läßt die Ruh.
Auf
Beluſtigende und erbauliche Morgen-Gedanken. Nach Anleitung Mr. Thomſons.
Es laͤßt das ſanfte Morgen-Licht im bunten Oſten ſich ſchon ſeh’n, Die kuͤhle Milch der gruͤnen Pflanzen, der Thau, ſinkt aus den grauen Hoͤh’n. Man ſiehet an der duͤnnen Luft unſichtbarn Kreyſes aͤuſſern Grenzen, Und, in und durch derſelben Coͤrper, der Daͤmmrung annoch ſchwaches Glaͤnzen Sich mit den dunklen Schatten miſchen, und ſie gemach, gemach beſiegen. Die Nacht entweicht mit traͤgem Schritt, der junge Tag erſcheinet ſchnell, Formieret eine ſchoͤne Weite, um unſre Augen zu vergnuͤgen. Er zieht vor einem ſchoͤnen Schauplatz die Decke weg, macht alles hell, Und ſtellet, was vor unſer Aug’ ſich durch die Dunkelheit verlor, Als wuͤrd’ es faſt aufs neu’ erſchaffen, uns, durch den Wech- ſel, ſchoͤner vor. Der fernen Berge neblicht Haupt, der hohen Felſen feuchte Gipfel, Der traͤuflenden gebognen Baͤume gewoͤlbte Wolken-gleiche Wipfel Erſcheinen, nehmen ſichtbarlich, mit dem geſtaͤrkten Tage, zu. Was bis daher im Schlaf begraben, wird munter, und ver- laͤßt die Ruh.
Auf
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Beluſtigende und erbauliche
Morgen-Gedanken.
Nach Anleitung Mr. Thomſons.
Es laͤßt das ſanfte Morgen-Licht im bunten Oſten ſich
ſchon ſeh’n,
Die kuͤhle Milch der gruͤnen Pflanzen, der Thau, ſinkt aus
den grauen Hoͤh’n.
Man ſiehet an der duͤnnen Luft unſichtbarn Kreyſes aͤuſſern
Grenzen,
Und, in und durch derſelben Coͤrper, der Daͤmmrung annoch
ſchwaches Glaͤnzen
Sich mit den dunklen Schatten miſchen, und ſie gemach,
gemach beſiegen.
Die Nacht entweicht mit traͤgem Schritt, der junge Tag
erſcheinet ſchnell,
Formieret eine ſchoͤne Weite, um unſre Augen zu vergnuͤgen.
Er zieht vor einem ſchoͤnen Schauplatz die Decke weg, macht
alles hell,
Und ſtellet, was vor unſer Aug’ ſich durch die Dunkelheit
verlor,
Als wuͤrd’ es faſt aufs neu’ erſchaffen, uns, durch den Wech-
ſel, ſchoͤner vor.
Der fernen Berge neblicht Haupt, der hohen Felſen feuchte
Gipfel,
Der traͤuflenden gebognen Baͤume gewoͤlbte Wolken-gleiche
Wipfel
Erſcheinen, nehmen ſichtbarlich, mit dem geſtaͤrkten Tage, zu.
Was bis daher im Schlaf begraben, wird munter, und ver-
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/198>, abgerufen am 30.12.2024.
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