Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite
Gedanken bey einer Section.
Gedanken
bey der Section eines Körpers.
Kaum warf ich meinen Blick auf das zerstückte Weib,
Kaum sah ich den zum Theil von Haut entblößten Leib,
Jch kunnte kaum so bald die blutgen Muskeln schauen,
Als mich ein widriges und ekelhaftes Grauen
Den Augenblick befiel. Allein es hatte kaum
Der kluge Carpser angefangen;
Er ließ uns kaum so bald die weisen Wunder sehn,
Die von der bildenden Natur daran geschehn:
So macht die Regung gleich weit süßrer Regung Raum.
Furcht, Grauen, Ekel war den Augenblick vergangen;
Mich nahm Bewundrung erst, darauf Erstaunen ein,
Dem folgt Erniedrigung und Ehrfurcht allgemach,
Und diesem auf den Fuß Lob, Brunst und Andacht nach.
Es fing ein helles Feur von einer heilgen Lust
Jn meiner, Gott zum Ruhm, mit Dank erfüllten Brust,
Zur Ehre des, der hier so wunderbar
Des Körpers Wunderbau gefüget, an zu brennen.
Jch wußte selber nicht, wie mir zu Muthe war.
Den Menschen giebet sich der Schöpfer hell und klar
Am allerdeutlichsten am Menschen zu erkennen.
Es scheint, ob könne man in diesen Wunderwerken,
Jn diesem Meisterstück der bildenden Natur,
Von unserm Schöpfer selbst hier eine helle Spur,
Ganz überzeuglich klar und gleichsam sichtbar merken.
Ach! rief ich, laßt denn hier an diesem Schauplatz schreiben:
Hier kann kein Atheist ein Atheiste bleiben.


Zügel
Gedanken bey einer Section.
Gedanken
bey der Section eines Koͤrpers.
Kaum warf ich meinen Blick auf das zerſtuͤckte Weib,
Kaum ſah ich den zum Theil von Haut entbloͤßten Leib,
Jch kunnte kaum ſo bald die blutgen Muskeln ſchauen,
Als mich ein widriges und ekelhaftes Grauen
Den Augenblick befiel. Allein es hatte kaum
Der kluge Carpſer angefangen;
Er ließ uns kaum ſo bald die weiſen Wunder ſehn,
Die von der bildenden Natur daran geſchehn:
So macht die Regung gleich weit ſuͤßrer Regung Raum.
Furcht, Grauen, Ekel war den Augenblick vergangen;
Mich nahm Bewundrung erſt, darauf Erſtaunen ein,
Dem folgt Erniedrigung und Ehrfurcht allgemach,
Und dieſem auf den Fuß Lob, Brunſt und Andacht nach.
Es fing ein helles Feur von einer heilgen Luſt
Jn meiner, Gott zum Ruhm, mit Dank erfuͤllten Bruſt,
Zur Ehre des, der hier ſo wunderbar
Des Koͤrpers Wunderbau gefuͤget, an zu brennen.
Jch wußte ſelber nicht, wie mir zu Muthe war.
Den Menſchen giebet ſich der Schoͤpfer hell und klar
Am allerdeutlichſten am Menſchen zu erkennen.
Es ſcheint, ob koͤnne man in dieſen Wunderwerken,
Jn dieſem Meiſterſtuͤck der bildenden Natur,
Von unſerm Schoͤpfer ſelbſt hier eine helle Spur,
Ganz uͤberzeuglich klar und gleichſam ſichtbar merken.
Ach! rief ich, laßt denn hier an dieſem Schauplatz ſchreiben:
Hier kann kein Atheiſt ein Atheiſte bleiben.


Zuͤgel
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0322" n="298"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Gedanken bey einer Section.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Gedanken<lb/>
bey der Section eines Ko&#x0364;rpers.</hi> </head><lb/>
          <lg n="1">
            <l><hi rendition="#in">K</hi>aum warf ich meinen Blick auf das zer&#x017F;tu&#x0364;ckte Weib,</l><lb/>
            <l>Kaum &#x017F;ah ich den zum Theil von Haut entblo&#x0364;ßten Leib,</l><lb/>
            <l>Jch kunnte kaum &#x017F;o bald die blutgen Muskeln &#x017F;chauen,</l><lb/>
            <l>Als mich ein widriges und ekelhaftes Grauen</l><lb/>
            <l>Den Augenblick befiel. Allein es hatte kaum</l><lb/>
            <l>Der kluge Carp&#x017F;er angefangen;</l><lb/>
            <l>Er ließ uns kaum &#x017F;o bald die wei&#x017F;en Wunder &#x017F;ehn,</l><lb/>
            <l>Die von der bildenden Natur daran ge&#x017F;chehn:</l><lb/>
            <l>So macht die Regung gleich weit &#x017F;u&#x0364;ßrer Regung Raum.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="2">
            <l>Furcht, Grauen, Ekel war den Augenblick vergangen;</l><lb/>
            <l>Mich nahm Bewundrung er&#x017F;t, darauf Er&#x017F;taunen ein,</l><lb/>
            <l>Dem folgt Erniedrigung und Ehrfurcht allgemach,</l><lb/>
            <l>Und die&#x017F;em auf den Fuß Lob, Brun&#x017F;t und Andacht nach.</l><lb/>
            <l>Es fing ein helles Feur von einer heilgen Lu&#x017F;t</l><lb/>
            <l>Jn meiner, Gott zum Ruhm, mit Dank erfu&#x0364;llten Bru&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Zur Ehre des, der hier &#x017F;o wunderbar</l><lb/>
            <l>Des Ko&#x0364;rpers Wunderbau gefu&#x0364;get, an zu brennen.</l><lb/>
            <l>Jch wußte &#x017F;elber nicht, wie mir zu Muthe war.</l><lb/>
            <l>Den Men&#x017F;chen giebet &#x017F;ich der Scho&#x0364;pfer hell und klar</l><lb/>
            <l>Am allerdeutlich&#x017F;ten am Men&#x017F;chen zu erkennen.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="3">
            <l>Es &#x017F;cheint, ob ko&#x0364;nne man in die&#x017F;en Wunderwerken,</l><lb/>
            <l>Jn die&#x017F;em Mei&#x017F;ter&#x017F;tu&#x0364;ck der bildenden Natur,</l><lb/>
            <l>Von un&#x017F;erm Scho&#x0364;pfer &#x017F;elb&#x017F;t hier eine helle Spur,</l><lb/>
            <l>Ganz u&#x0364;berzeuglich klar und gleich&#x017F;am &#x017F;ichtbar merken.</l><lb/>
            <l>Ach! rief ich, laßt denn hier an die&#x017F;em Schauplatz &#x017F;chreiben:<lb/><hi rendition="#fr">Hier kann kein Athei&#x017F;t ein Athei&#x017F;te bleiben.</hi></l>
          </lg>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Zu&#x0364;gel</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[298/0322] Gedanken bey einer Section. Gedanken bey der Section eines Koͤrpers. Kaum warf ich meinen Blick auf das zerſtuͤckte Weib, Kaum ſah ich den zum Theil von Haut entbloͤßten Leib, Jch kunnte kaum ſo bald die blutgen Muskeln ſchauen, Als mich ein widriges und ekelhaftes Grauen Den Augenblick befiel. Allein es hatte kaum Der kluge Carpſer angefangen; Er ließ uns kaum ſo bald die weiſen Wunder ſehn, Die von der bildenden Natur daran geſchehn: So macht die Regung gleich weit ſuͤßrer Regung Raum. Furcht, Grauen, Ekel war den Augenblick vergangen; Mich nahm Bewundrung erſt, darauf Erſtaunen ein, Dem folgt Erniedrigung und Ehrfurcht allgemach, Und dieſem auf den Fuß Lob, Brunſt und Andacht nach. Es fing ein helles Feur von einer heilgen Luſt Jn meiner, Gott zum Ruhm, mit Dank erfuͤllten Bruſt, Zur Ehre des, der hier ſo wunderbar Des Koͤrpers Wunderbau gefuͤget, an zu brennen. Jch wußte ſelber nicht, wie mir zu Muthe war. Den Menſchen giebet ſich der Schoͤpfer hell und klar Am allerdeutlichſten am Menſchen zu erkennen. Es ſcheint, ob koͤnne man in dieſen Wunderwerken, Jn dieſem Meiſterſtuͤck der bildenden Natur, Von unſerm Schoͤpfer ſelbſt hier eine helle Spur, Ganz uͤberzeuglich klar und gleichſam ſichtbar merken. Ach! rief ich, laßt denn hier an dieſem Schauplatz ſchreiben: Hier kann kein Atheiſt ein Atheiſte bleiben. Zuͤgel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/322
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/322>, abgerufen am 21.11.2024.