Man sieht mit Lust, im frohen Lenzen, Die jungen Blätter lieblich glänzen. Sie scheinen selbst vergnügt, von lauer Luft gestreichelt, Getränkt, erfrischet, und geschmeichelt. Doch wenn die Luft nachher sie widriger begegnet, Sie, bald durch Dürre schwächt, bald sie zu stark beregnet, Bald durch die Stürme neckt, bald durch die Kälte quält, Und nimmer ruhen läßt: Scheint jedes, halb entseelt, Als ob sichs, länger so zu leben, abgewöhnte, Als wenn sichs wiederum nach seinem Ursprung sehnte, Und, nach der Mutter Schooß. Dahero wurden nun die Zweige plötzlich bloß, Jndem ein jegliches, von seinem Sitz herab, Sich nach der Mutter Schooß in aller Eil begab, Und sich mit ihr vereint. Der Blätterchen Betragen stellte mir, Wie ich es überlegt, ein nützlichs Beyspiel für, Wenn wir in unsrer Lebenszeit, Von Alter, Krankheit, Gram und Widerwärtigkeit, Recht mürb und matt gemacht: Wie, daß wir auch, wie sie Ohn allerley Bekümmerniß und Müh, Den irdschen Theil nicht gern zu seinem Ursprung senken, Damit der andere, von allem Kummer frey, Entfernt von Noth, Gefahr und Kränken, Jn einer ewgen Ruhe sey!
Rose
Herbſt-Blaͤtter.
Herbſt-Blaͤtter.
Man ſieht mit Luſt, im frohen Lenzen, Die jungen Blaͤtter lieblich glaͤnzen. Sie ſcheinen ſelbſt vergnuͤgt, von lauer Luft geſtreichelt, Getraͤnkt, erfriſchet, und geſchmeichelt. Doch wenn die Luft nachher ſie widriger begegnet, Sie, bald durch Duͤrre ſchwaͤcht, bald ſie zu ſtark beregnet, Bald durch die Stuͤrme neckt, bald durch die Kaͤlte quaͤlt, Und nimmer ruhen laͤßt: Scheint jedes, halb entſeelt, Als ob ſichs, laͤnger ſo zu leben, abgewoͤhnte, Als wenn ſichs wiederum nach ſeinem Urſprung ſehnte, Und, nach der Mutter Schooß. Dahero wurden nun die Zweige ploͤtzlich bloß, Jndem ein jegliches, von ſeinem Sitz herab, Sich nach der Mutter Schooß in aller Eil begab, Und ſich mit ihr vereint. Der Blaͤtterchen Betragen ſtellte mir, Wie ich es uͤberlegt, ein nuͤtzlichs Beyſpiel fuͤr, Wenn wir in unſrer Lebenszeit, Von Alter, Krankheit, Gram und Widerwaͤrtigkeit, Recht muͤrb und matt gemacht: Wie, daß wir auch, wie ſie Ohn allerley Bekuͤmmerniß und Muͤh, Den irdſchen Theil nicht gern zu ſeinem Urſprung ſenken, Damit der andere, von allem Kummer frey, Entfernt von Noth, Gefahr und Kraͤnken, Jn einer ewgen Ruhe ſey!
Roſe
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Herbſt-Blaͤtter.
Herbſt-Blaͤtter.
Man ſieht mit Luſt, im frohen Lenzen,
Die jungen Blaͤtter lieblich glaͤnzen.
Sie ſcheinen ſelbſt vergnuͤgt, von lauer Luft geſtreichelt,
Getraͤnkt, erfriſchet, und geſchmeichelt.
Doch wenn die Luft nachher ſie widriger begegnet,
Sie, bald durch Duͤrre ſchwaͤcht, bald ſie zu ſtark beregnet,
Bald durch die Stuͤrme neckt, bald durch die Kaͤlte quaͤlt,
Und nimmer ruhen laͤßt: Scheint jedes, halb entſeelt,
Als ob ſichs, laͤnger ſo zu leben, abgewoͤhnte,
Als wenn ſichs wiederum nach ſeinem Urſprung ſehnte,
Und, nach der Mutter Schooß.
Dahero wurden nun die Zweige ploͤtzlich bloß,
Jndem ein jegliches, von ſeinem Sitz herab,
Sich nach der Mutter Schooß in aller Eil begab,
Und ſich mit ihr vereint.
Der Blaͤtterchen Betragen ſtellte mir,
Wie ich es uͤberlegt, ein nuͤtzlichs Beyſpiel fuͤr,
Wenn wir in unſrer Lebenszeit,
Von Alter, Krankheit, Gram und Widerwaͤrtigkeit,
Recht muͤrb und matt gemacht: Wie, daß wir auch, wie ſie
Ohn allerley Bekuͤmmerniß und Muͤh,
Den irdſchen Theil nicht gern zu ſeinem Urſprung ſenken,
Damit der andere, von allem Kummer frey,
Entfernt von Noth, Gefahr und Kraͤnken,
Jn einer ewgen Ruhe ſey!
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/194>, abgerufen am 30.12.2024.
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