Jndem ich jüngst, im Frost annoch, Vor dick gefrornen Fenstern stand, Und meiner Bluhmen Balsam roch, Den ich recht ungemein erquickend lieblich fand, Und ich zu gleicher Zeit, bey diesem süssen Dufft, Des warmen Zimmers laue Lufft, Die sanft mir üm die Glieder spielte, Mit nicht geringer Anmuth, fühlte; Doch auch zugleich, wie draussen alles weiß, Und sich die Welt mit Reiff, mit Schnee und Eis, Jn Silber-gleichem Schimmer schmückte, Durchs dichte Fenster-Glas erblickte; Und auch zugleich von Wagen und von Karren Gefrorne Räder pfeiffen, knarren, Und vom getretnen Schnee ein lautes knirschen hörte; Gedacht ich bey mir selbst; wie soll ich dieses fassen? Kann meine Seele sich denn theilen lassen? Sie kann zu einer Zeit durch zweyer Sinnen Thüren Jm Winter, und durch zwey im Frühling, sich verspüren. Wo sind denn ihrer Kräffte Grentzen? Sie ist im Winter halb, und halb im Lentzen.
Der
Getheilte Sinnen.
Getheilte Sinnen.
Jndem ich juͤngſt, im Froſt annoch, Vor dick gefrornen Fenſtern ſtand, Und meiner Bluhmen Balſam roch, Den ich recht ungemein erquickend lieblich fand, Und ich zu gleicher Zeit, bey dieſem ſuͤſſen Dufft, Des warmen Zimmers laue Lufft, Die ſanft mir uͤm die Glieder ſpielte, Mit nicht geringer Anmuth, fuͤhlte; Doch auch zugleich, wie drauſſen alles weiß, Und ſich die Welt mit Reiff, mit Schnee und Eis, Jn Silber-gleichem Schimmer ſchmuͤckte, Durchs dichte Fenſter-Glas erblickte; Und auch zugleich von Wagen und von Karren Gefrorne Raͤder pfeiffen, knarren, Und vom getretnen Schnee ein lautes knirſchen hoͤrte; Gedacht ich bey mir ſelbſt; wie ſoll ich dieſes faſſen? Kann meine Seele ſich denn theilen laſſen? Sie kann zu einer Zeit durch zweyer Sinnen Thuͤren Jm Winter, und durch zwey im Fruͤhling, ſich verſpuͤren. Wo ſind denn ihrer Kraͤffte Grentzen? Sie iſt im Winter halb, und halb im Lentzen.
Der
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Getheilte Sinnen.
Getheilte Sinnen.
Jndem ich juͤngſt, im Froſt annoch,
Vor dick gefrornen Fenſtern ſtand,
Und meiner Bluhmen Balſam roch,
Den ich recht ungemein erquickend lieblich fand,
Und ich zu gleicher Zeit, bey dieſem ſuͤſſen Dufft,
Des warmen Zimmers laue Lufft,
Die ſanft mir uͤm die Glieder ſpielte,
Mit nicht geringer Anmuth, fuͤhlte;
Doch auch zugleich, wie drauſſen alles weiß,
Und ſich die Welt mit Reiff, mit Schnee und Eis,
Jn Silber-gleichem Schimmer ſchmuͤckte,
Durchs dichte Fenſter-Glas erblickte;
Und auch zugleich von Wagen und von Karren
Gefrorne Raͤder pfeiffen, knarren,
Und vom getretnen Schnee ein lautes knirſchen hoͤrte;
Gedacht ich bey mir ſelbſt; wie ſoll ich dieſes faſſen?
Kann meine Seele ſich denn theilen laſſen?
Sie kann zu einer Zeit durch zweyer Sinnen Thuͤren
Jm Winter, und durch zwey im Fruͤhling, ſich verſpuͤren.
Wo ſind denn ihrer Kraͤffte Grentzen?
Sie iſt im Winter halb, und halb im Lentzen.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/454>, abgerufen am 23.07.2024.
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