Geliebter Mensch, komm, sieh in mir Des Schöpfers Lieb' und Allmacht an! Jst's möglich, daß sich solche Zier, Als wie die meinige, von selbst wol bilden kann? Nimm ein Vergröss'rungs-Glas, und siehe, Was die Natur hervor gebracht! Sieh gleichsalls alles an, was mit so grosser Mühe Und aller Kunst der Mensch gemacht! So wirst du tausend Lieblichkeiten Jn jenen alsobald entdecken, Und sehn, wie Grob- und Unvollkommenheiten, Die nicht zu zählen sind, in diesen stecken. Du hast so viel Vollkommenheit; Du weist so manche Kunst zu fassen: Sprich: kann wol deine Tüchtigkeit Das kleinste Blühmchen werden lassen? Soll denn ein blindes Ungefehr, Was du nicht kannst, verrichten können, Und willt du lieber ihm die Ehr', Als einer grössern Weisheit, gönnen? Besinne dich! es kann nicht seyn. Wir sind ja gar zu wol gebildet; Zu schön ist uns'rer Farben Schein.
Wenn wir versilbert und vergüldet, Ja aus Rubinen, aus Sapphir Geschnitten und bereitet wären;
So
Die redende Bluhme.
Geliebter Menſch, komm, ſieh in mir Des Schoͤpfers Lieb’ und Allmacht an! Jſt’s moͤglich, daß ſich ſolche Zier, Als wie die meinige, von ſelbſt wol bilden kann? Nimm ein Vergroͤſſ’rungs-Glas, und ſiehe, Was die Natur hervor gebracht! Sieh gleichſalls alles an, was mit ſo groſſer Muͤhe Und aller Kunſt der Menſch gemacht! So wirſt du tauſend Lieblichkeiten Jn jenen alſobald entdecken, Und ſehn, wie Grob- und Unvollkommenheiten, Die nicht zu zaͤhlen ſind, in dieſen ſtecken. Du haſt ſo viel Vollkommenheit; Du weiſt ſo manche Kunſt zu faſſen: Sprich: kann wol deine Tuͤchtigkeit Das kleinſte Bluͤhmchen werden laſſen? Soll denn ein blindes Ungefehr, Was du nicht kannſt, verrichten koͤnnen, Und willt du lieber ihm die Ehr’, Als einer groͤſſern Weiſheit, goͤnnen? Beſinne dich! es kann nicht ſeyn. Wir ſind ja gar zu wol gebildet; Zu ſchoͤn iſt unſ’rer Farben Schein.
Wenn wir verſilbert und verguͤldet, Ja aus Rubinen, aus Sapphir Geſchnitten und bereitet waͤren;
So
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Die redende Bluhme.
Geliebter Menſch, komm, ſieh in mir
Des Schoͤpfers Lieb’ und Allmacht an!
Jſt’s moͤglich, daß ſich ſolche Zier,
Als wie die meinige, von ſelbſt wol bilden kann?
Nimm ein Vergroͤſſ’rungs-Glas, und ſiehe,
Was die Natur hervor gebracht!
Sieh gleichſalls alles an, was mit ſo groſſer Muͤhe
Und aller Kunſt der Menſch gemacht!
So wirſt du tauſend Lieblichkeiten
Jn jenen alſobald entdecken,
Und ſehn, wie Grob- und Unvollkommenheiten,
Die nicht zu zaͤhlen ſind, in dieſen ſtecken.
Du haſt ſo viel Vollkommenheit;
Du weiſt ſo manche Kunſt zu faſſen:
Sprich: kann wol deine Tuͤchtigkeit
Das kleinſte Bluͤhmchen werden laſſen?
Soll denn ein blindes Ungefehr,
Was du nicht kannſt, verrichten koͤnnen,
Und willt du lieber ihm die Ehr’,
Als einer groͤſſern Weiſheit, goͤnnen?
Beſinne dich! es kann nicht ſeyn.
Wir ſind ja gar zu wol gebildet;
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Ja aus Rubinen, aus Sapphir
Geſchnitten und bereitet waͤren;
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/92>, abgerufen am 22.02.2025.
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