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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727.

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Der verstockte Chrysander.
Als Gottlieb jüngst ins frische Gras sich setzte,
An einem reinen Bach, und sahe, wie die Flut,
Bestralet durch der Sonnen Gluht,
Beschäumt, durch Schilf und Bluhmen rann;
Bezeugt' er, wie ihn dieß recht inniglich ergetzte,
Und priese seine Lust Chrysandern an,
Der, wegen einiger Processen,
Jhn zu besuchen kommen war.
Wer kann die Herrlichkeit, sprach er, genug ermessen,
Die die Natur so wunderbar
An allen Orten uns vor Augen leget!
Mein Auge siehet sich nicht satt, wenn es erweget
Den dick-belaubten Wald, den bunt-beblühmten Klee,
Die helle Reinigkeit der glänzenden Krystallen,
Woran den ganzen Tag ich mich nicht müde seh.
Das würde mir unmöglich fallen,
Fiel ihm Chrysander ein. Was seh' ich mir daran?
Die Au' ist bunt, der Wald ist grün, der Bach ist klar;
Recht schön ist alles, das ist wahr.
Weil ich dieß aber schnell beschauen kann;
Warum soll ich die Zeit, worin ich was verdienen
Und Geld erwerben mag, hier, wie ein Frosch im Grünen,
Jm faulen Müssiggang verderben?
Sollt' ich nichts anders thun, ich wollte lieber sterben,
Als hier so müssig seyn.
Dem Gottlieb kamen zwar die Thränen in die Augen;
Allein er sag'te nichts. Jhm war bewust,
Daß nichts als Geiz Chrysanders Brust
Mit gelber Sucht erfüllt, daß folglich alle Lehren,
Jhn aus dem Labyrinth auf rechten Weg zu kehren,

Nur
Der verſtockte Chryſander.
Als Gottlieb juͤngſt ins friſche Gras ſich ſetzte,
An einem reinen Bach, und ſahe, wie die Flut,
Beſtralet durch der Sonnen Gluht,
Beſchaͤumt, durch Schilf und Bluhmen rann;
Bezeugt’ er, wie ihn dieß recht inniglich ergetzte,
Und prieſe ſeine Luſt Chryſandern an,
Der, wegen einiger Proceſſen,
Jhn zu beſuchen kommen war.
Wer kann die Herrlichkeit, ſprach er, genug ermeſſen,
Die die Natur ſo wunderbar
An allen Orten uns vor Augen leget!
Mein Auge ſiehet ſich nicht ſatt, wenn es erweget
Den dick-belaubten Wald, den bunt-bebluͤhmten Klee,
Die helle Reinigkeit der glaͤnzenden Kryſtallen,
Woran den ganzen Tag ich mich nicht muͤde ſeh.
Das wuͤrde mir unmoͤglich fallen,
Fiel ihm Chryſander ein. Was ſeh’ ich mir daran?
Die Au’ iſt bunt, der Wald iſt gruͤn, der Bach iſt klar;
Recht ſchoͤn iſt alles, das iſt wahr.
Weil ich dieß aber ſchnell beſchauen kann;
Warum ſoll ich die Zeit, worin ich was verdienen
Und Geld erwerben mag, hier, wie ein Froſch im Gruͤnen,
Jm faulen Muͤſſiggang verderben?
Sollt’ ich nichts anders thun, ich wollte lieber ſterben,
Als hier ſo muͤſſig ſeyn.
Dem Gottlieb kamen zwar die Thraͤnen in die Augen;
Allein er ſag’te nichts. Jhm war bewuſt,
Daß nichts als Geiz Chryſanders Bruſt
Mit gelber Sucht erfuͤllt, daß folglich alle Lehren,
Jhn aus dem Labyrinth auf rechten Weg zu kehren,

Nur
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[102/0138] Der verſtockte Chryſander. Als Gottlieb juͤngſt ins friſche Gras ſich ſetzte, An einem reinen Bach, und ſahe, wie die Flut, Beſtralet durch der Sonnen Gluht, Beſchaͤumt, durch Schilf und Bluhmen rann; Bezeugt’ er, wie ihn dieß recht inniglich ergetzte, Und prieſe ſeine Luſt Chryſandern an, Der, wegen einiger Proceſſen, Jhn zu beſuchen kommen war. Wer kann die Herrlichkeit, ſprach er, genug ermeſſen, Die die Natur ſo wunderbar An allen Orten uns vor Augen leget! Mein Auge ſiehet ſich nicht ſatt, wenn es erweget Den dick-belaubten Wald, den bunt-bebluͤhmten Klee, Die helle Reinigkeit der glaͤnzenden Kryſtallen, Woran den ganzen Tag ich mich nicht muͤde ſeh. Das wuͤrde mir unmoͤglich fallen, Fiel ihm Chryſander ein. Was ſeh’ ich mir daran? Die Au’ iſt bunt, der Wald iſt gruͤn, der Bach iſt klar; Recht ſchoͤn iſt alles, das iſt wahr. Weil ich dieß aber ſchnell beſchauen kann; Warum ſoll ich die Zeit, worin ich was verdienen Und Geld erwerben mag, hier, wie ein Froſch im Gruͤnen, Jm faulen Muͤſſiggang verderben? Sollt’ ich nichts anders thun, ich wollte lieber ſterben, Als hier ſo muͤſſig ſeyn. Dem Gottlieb kamen zwar die Thraͤnen in die Augen; Allein er ſag’te nichts. Jhm war bewuſt, Daß nichts als Geiz Chryſanders Bruſt Mit gelber Sucht erfuͤllt, daß folglich alle Lehren, Jhn aus dem Labyrinth auf rechten Weg zu kehren, Nur

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/138>, abgerufen am 21.12.2024.